Justiz:"Eine Tötung war nicht angedacht"

Auftakt Mordprozess Johanna Bohnacker

Der 42-jährige Angeklagte beim Auftakt des Prozesses am 20. April 2018. Das Urteil wird im August erwartet.

(Foto: Fabian Sommer/dpa)

Rick J., der Peiniger des vor 19 Jahren gestorbenen Mädchens Johanna, windet sich vor Gericht, um einer Verurteilung als Mörder zu entgehen.

Von Susanne Höll, Gießen

Das Martyrium der acht Jahre alten Johanna Bohnacker aus Hessen und die Suche nach ihrem Peiniger ist ein bizarres Kapitel der deutschen Kriminalgeschichte. Ebenso bizarr präsentiert sich der Mann, der das Mädchen vor 19 Jahren entführt und seinen Tod zu verantworten hat. Rick J., 42 Jahre alt, einst Student, klein gewachsen, korpulent, lange rauschgiftsüchtig, hat eine sexuelle Vorliebe für junge Mädchen. Er ist eloquent, nicht einfältig, möchte das Landgericht Gießen überzeugen, dass er trotz vieler Schuld kein Mörder ist.

Für Mord muss man maximal lebenslang in Haft, Körperverletzung mit Todesfolge wird sanfter geahndet. Rick J. gibt am Mittwoch zu, das Mädchen verschleppt zu haben. Missbrauch und Mord bestreitet er. "Eine Tötung war nicht angedacht", sagt er in seiner Schilderung des für Johanna verhängnisvollen 2. September 1999. Rick J. hatte Drogen genommen, LSD und Crystal Meth, fuhr mit dem Auto durch die Gegend, offenkundig auf der Suche nach einem Mädchen. An einem Radweg will er Johanna entdeckt haben. Das Rauschgift habe ihn im Griff gehabt: "Crystal regt die Triebkräfte an. Die Geilheit kam über mich. Ich wollte das Mädchen haben." Er behauptet, geglaubt zu haben, sein Opfer sei 13 oder 14 Jahre alt. Die Fotos von Johanna aus jener Zeit zeigen ein deutlich jüngeres Kind. Er betäubte sie mit Chloroform, zog sie in den Kofferraum, fesselte sie und fuhr los, auf der Suche, wie er sagt, nach einem Platz zum Missbrauch. Dazu aber sei es nicht gekommen, bei einem Stopp habe er festgestellt, dass das Kind leblos war. Johannas Gesicht war nach Erkenntnissen der Ermittler mit 15 Meter Klebeband umwickelt. Der Angeklagte sagt, er habe Augen, Mund und Kopf verklebt, die Nase aber sei frei gewesen. Er will Johanna geschlagen haben, mit der flachen Hand ins Gesicht, als sie bei einem früheren Stopp aus der Betäubung aufgewacht sei. Eine sichtbare Verletzung habe er nicht bemerkt.

"Ich glaube Ihnen kein Wort", entfährt es der Richterin

Der Angeklagte verstrickt sich in Widersprüche, die auch die Richterin Regine Enders-Kunze irritieren. "Ich glaube Ihnen kein Wort", entfährt es ihr zwischenzeitlich. J. wurde erst im August 2017 verhaftet, eines abermals bizarren Vorgangs wegen. Spaziergänger im hessischen Nidda sahen in einem Maisfeld einen Mann, der ein junges Mädchen gefesselt hatte, offenbar in sexueller Absicht. Das Klebeband ähnelte dem, das man an der im Jahr 2000 tot aufgefundenen Johanna entdeckt hatte. J. wurde observiert, man durchsuchte seine Wohnung, fand Kinderpornos. Und stellte fest, dass der Teil eines Fingerabdrucks, der am Klebeband bei Johanna haftete, von ihm stammte.

Das Band ist bedeutsam. Rick J. will es nach der Entführung auf der Irrfahrt mit Johanna im Kofferraum an einem Rastplatz gekauft haben. Die Pächter des Ladens haben der Polizei jedoch versichert, dass sie niemals Paketband im Angebot hatten. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass J. den Missbrauch plante und Utensilien wie das Klebeband im Auto bereithielt. Der Angeklagte widerspricht. Er möchte sich in ein besseres Licht rücken. Als er erkannt habe, dass Johanna ein kleines Mädchen sei, habe er sein sexuelles Interesse verloren, habe sie freilassen wollen, irgendwohin, wo man sie finden könne, sagt er. Staatsanwalt Thomas Hauburger platzt der Kragen. Bei der Polizei habe J. doch angegeben, er habe nach einem Ort für eine Vergewaltigung gesucht. Der Verteidiger von J. bittet um eine Pause. Danach gibt der Angeklagte zu, die Unwahrheit gesagt zu haben. Ja, er habe das Mädchen missbrauchen wollen: "Es stimmt, dass ich versucht habe, etwas zu beschönigen. Es ist schrecklich, in der Öffentlichkeit zugeben zu müssen, dass man solche Gelüste hat."

Es ist das Recht eines Angeklagten, sich nach Gutdünken im Prozess zu verteidigen. Das Gericht hat die Pflicht, ihn anzuhören. Und es muss eine Strafe verhängen. Das Urteil für Rick J. wird im August erwartet.

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