Justiz - Berlin:Gutachten: Bei Trojaner-Angriff wohl Daten gestohlen

Abgeordnetenhaus
Dirk Behrendt sitzt bei einer Pressekonferenz. Foto: Annette Riedl/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Mehrere Monate nach der Cyberattacke auf das Berliner Kammergericht gehen Experten davon aus, dass "aller Wahrscheinlichkeit nach" doch Daten gestohlen wurden. Das teilte Gerichtspräsident Bernd Pickel am Montag zu einem jetzt vorgelegten Gutachten mit. Zuvor hatte der "Tagesspiegel" berichtet. Die Justizverwaltung äußerte sich ähnlich. "Es ist insoweit davon auszugehen, dass durch die Schadsoftware Passwörter, wie beispielsweise Browserpasswörter, abgeflossen sind", hieß es in einer Mitteilung.

Noch Ende Oktober hatte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses versichert, dass keine Daten gestohlen wurden. Jetzt will der Grünen-Politiker dem Gericht externen Sachverstand zur Seite stellen, um eine Technik-Sicherheit zu gewährleisten, die den aktuellen Anforderungen entspricht.

Zu dem vorläufigen Abschlussbericht zum Befall der Kammergerichts mit der Schadsoftware Emotet teilte der Gerichtspräsident mit, die Untersuchung bestätige die Einschätzung eines äußerst gefährlichen und schwerwiegenden Sicherheitsvorfalls.

Das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) hatte den Virus im Computersystem Ende September bemerkt. Die Rechner wurden daraufhin umgehend vom Internet getrennt, das Kammergericht vom Netz genommen. Deshalb nutzten abgeflossene Daten dem Angreifer nichts mehr, so der Gerichtspräsident. Es stimme nicht, dass Dokumente wie Urteile und Beschlüsse mit Inhalten, Namen und Daten abgeflossen seien.

Bis heute können Richterinnen und Richter aber nur eingeschränkt auf das Internet zugreifen. Noch sind nicht alle Computer ausgetauscht. Mails können nur von einigen Geräten verschickt werden. Vieles muss gefaxt oder per Telefon und Brief geklärt werden.

Die oppositionelle CDU-Fraktion sieht vor allem beim Senator mangelnden Aufklärungswillen. Im Rechtsausschuss an diesem Mittwoch solle Behrendt Stellung nehmen, teilte der rechtspolitische Sprecher Sven Rissmann mit. Es gebe bislang keine Informationen über Menge, Ziel und Zeitpunkt des Diebstahls. "Das macht den Vorfall umso brisanter."

Für die FDP-Opposition sagte Bernd Schlömer, das Datenproblem sei schwerer als erwartet. Es zeige sich, dass die schlechte Qualität des IT-Betriebs beim Kammergericht die Schäden wohl begünstigt habe.

Laut Deutschem Richterbund zeigt die Attacke, wie einfach sich die Justiz teilweise lahmlegen lasse, wenn sie technisch nicht auf der Höhe ist. Durch eine mangelhafte IT-Infrastruktur des Kammergerichts sei aus einem Standardangriff mit Schadsoftware ein massives Sicherheitsproblem geworden, so Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Die Datensicherheit in Gerichten müsse angesichts eines zunehmend elektronischen Rechtsverkehrs an oberster Stelle stehen, forderte Rebehn. Die Justizverwaltungen sollten bundesweit den Berliner Fall zum Anlass nehmen, Sicherheitskonzepte für die Gerichte zu überprüfen.

Das bisherige IT-System soll laut Kammergericht nicht wieder installiert werden. Vielmehr gehe es um einen vollständigen Neuaufbau einer IT-Infrastruktur unter dem Dach des Dienstleistungszentrums.

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