Deutsches Justizsystem:Wer Unterhalt verweigert, dem könnten bald ganz neue Strafen drohen

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In anderen Ländern ist der Führerscheinentzug als Strafe schon Standard. (Foto: Oliver Berg/dpa)

In anderen Ländern wird Eltern der Führerschein abgeknöpft, wenn sie keinen Unterhalt zahlen. Deutschland hingegen kennt nur starre Sanktionen: Geldstrafe oder Haft. Das könnte sich bald ändern.

Von Ulrike Heidenreich, München, und Ronen Steinke, Berlin

Es klingt wie erfunden: Ein Holocaust-Leugner muss zur Strafe fünf KZ-Gedenkstätten besuchen und anschließend einen Aufsatz über seine Gefühle verfassen. Dies ist aber das Urteil eines belgischen Gerichts von diesem Jahr. Wie lebensnah dürfen Richter urteilen? Wie direkt sollten sich verhängte Strafen auf das Handeln und Denken der Täter auswirken - und möglicherweise auf die Opfer? In Deutschland tastet sich die Justiz langsam vor, im europäischen Ausland und in den USA sind der Kreativität von Richtern keine engen Grenzen gesetzt.

Unter anderem sind es die ehemaligen KZs in Dachau und in Auschwitz, denen der rechtsextreme Politiker und Holocaust-Leugner Laurent Louis innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Besuch abstatten muss. Danach muss er "einen Text von mindestens 50 Zeilen" über das Gesehene und seine Gefühle verfassen und bei einem Brüsseler Berufungsgericht abgeben, so das Urteil vom September.

Louis, der Chef der rechtsextremen Partei "Debout Les Belges" und Abgeordneter im belgischen Repräsentantenhaus war, hatte 2014 wörtlich gesagt: "Der Holocaust ist von den Pionieren des Zionismus erfunden und finanziert worden". Den Schuldspruch für diese Aussage erhielt das Gericht aufrecht. Die Verurteilung aus der Vorinstanz zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung und 18 000 Euro Strafe setzten die Richter jedoch aus - im Gegenzug für Louis' Aufsätze über die KZ-Besuche. Er nahm das Urteil an.

Nur bei Bewährungsauflagen können Richter etwas Kreativität zeigen

Deutschlands Rechtssprechung ist da noch vergleichsweise strikt und traditionell. Geldstrafe, Freiheitsstrafe - mehr Möglichkeiten haben Richter in der Regel nicht, um einen Straftäter zu sanktionieren, jedenfalls einen Erwachsenen. Nur wenn es darum geht, Bewährungsauflagen zu verhängen, können Richter kreativer werden. Die Pflicht zu einer Therapie, die Pflicht zu einer bestimmten Arbeit, zu einem bestimmten Lebenswandel: Diese Auflagen können maßgeschneidert sein.

Weitaus größere Kreativität herrscht in Deutschland im Jugendstrafrecht. Hier hat der Richter die Freiheit, sich eine sogenannte Erziehungsmaßregel auszudenken, um den Lebensweg des Jugendlichen positiv zu beeinflussen (Paragraf 9 Jugendgerichtsgesetz) oder, strenger, eine Auflage erteilen, etwa "nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, Arbeitsleistungen zu erbringen oder einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen" (Paragraf 15 Jugendgerichtsgesetz).

So verurteilte eine Jugendrichterin am Amtsgericht München im Juni einen 19 Jahre alten Lageristen wegen Kennzeichenmissbrauchs zu einer "Leseweisung" von 20 Stunden. Der Mann war mit einem Motorrad erwischt worden, dessen hinteres Kennzeichen nur locker mit einem Gummiriemen befestigt und kaum erkennbar war. Nun darf er sich 20 Stunden lang mit zwei selbst ausgesuchten Büchern beschäftigen, um sich "auf intellektueller Ebene" mit der Tat auseinanderzusetzen.

In diesem Jahr hatte es in der Diskussion über das Thema schon zunehmend Lockerungsübungen gegeben. Um bessere Druckmittel zu haben, arbeitet man im Justizministerium bereits an Plänen, Unterhaltsschuldnern auch mal den Führerschein entziehen zu können, bis sie zahlen. Die Hälfte aller Kinder von Alleinerziehenden erhält kein Geld, weitere 25 Prozent bekommen weniger, als ihnen nach der Düsseldorfer Tabelle zusteht.

In anderen Ländern ist es Usus, derartige Mittel anzuwenden. In einigen amerikanischen Bundesstaaten etwa wird Eltern, es sind meist Männer, zum Beispiel der Angelschein abgeknöpft, bis sie regelmäßig und genügend Unterhalt zahlen. In Kanada, einem Land mit leidenschaftlichen Jägern, heißt es: kein Unterhalt, kein Jagdschein. Das Geld fließt dann meist ziemlich schnell auf das Konto des anderen Elternteils.

Zur Strafe Müll sortieren oder zu Fuß laufen

Ebenso effektiv ist es, den Führerschein einzuziehen, nach dem Motto: Wer Geld für den Unterhalt eines Autos hat, sollte auch für das eigene Kind etwas übrig haben. Im US-Staat Illinois etwa hat es nachweislich zu einer enormen Steigerung von Unterhaltszahlungen geführt, mit dem Entzug des Führerscheins zu drohen. In allen 50 US-Bundesstaaten gibt es Gesetze, die das den Behörden erlauben. Eine der strengsten Verordnungen hat Virginia: Das Fahrverbot gilt so lange, bis der letzte Dollar überwiesen ist.

Zu teils fragwürdiger Berühmtheit hat es ein Richter aus Painesville, Ohio, gebracht: Michael Cicconetti stellte etwa die 18 Jahre alte Victoria Bascom vor die Wahl, 30 Tage ins Gefängnis zugehen - oder 30 Meilen zu Fuß zu laufen. Sie hatte einen Taxifahrer geprellt, der sie über eine Distanz von 30 Meilen chauffiert hatte. Die Frau entschied sich für den Fußmarsch.

Eine weitere Angeklagte, Alyssa Morrow, stand vor dem Richter wegen Tierquälerei. Sie hatte ihren Pitbull eine Woche alleine in ihrem zugemüllten Messie-Haus gelassen. Anstatt 90 Tage in Haft zu gehen, nahm sie Cicconettis Angebot an, auf einer Halde Müll zu sortieren.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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