Fall Jussie Smollett:Noch mal von vorn, bitte!

Fall Jussie Smollett: Sollte Jussie Smollett verurteilt werden, droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.

Sollte Jussie Smollett verurteilt werden, droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.

(Foto: Paul Beaty/AP)

Hollywood-Schauspieler Jussie Smollett, der einen rassistischen Angriff auf sich selbst orchestriert haben soll, muss nun doch vor Gericht. Der Fall hat politische Brisanz: Es geht um Geld - und um Wählerstimmen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es sind sieben Seiten, die Sonderermittler Dan Webb geschrieben hat, und man kann sich beim Lesen regelrecht vorstellen, wie er bei jedem Satz tief ausgeatmet und mit den Augen gerollt hat. Webb hat in den vergangenen sechs Monaten einiges erlebt bei den Ermittlungen in diesem Fall, der im vergangenen Jahr weltweit für Aufregung gesorgt hat und nun neu aufgerollt wird. Dabei geht es nun nicht mehr allein um den Schauspieler Jussie Smollett, der am Dienstag zu einer Anhörung vor Gericht erscheinen muss - es geht um sehr viel mehr.

Smollett, 37, ist vor einem Jahr das gewesen, was man in Hollywood einen Schauspieler auf dem Sprungbrett nennt: einstiger Kinderstar, danach kleinere Rollen, schließlich Durchbruch mit dem Hip-Hop-Familiendrama "Empire" - bereit für den Sprung auf die nächste Ebene. Er ist schwarz und schwul, und offensichtlich glaubte er, dass ihm das zum Nachteil gereiche - er war unzufrieden mit seiner Bezahlung, die bei knapp 100 000 Dollar pro Folge lag. Smollett heuerte die Brüder Olabinjo und Abimbola Osundairo an, die er von Dreharbeiten kannte und die, das kommt später heraus, auch Drogen für Smollett besorgt haben sollen.

Smollett wollte die aufgeheizte Stimmung in einem gespaltenen Land für seine Zwecke nutzen: Er bezahlte den beiden 3500 Dollar, damit sie ihn nachts überfallen, mit Bleiche übergießen und rassistisch beleidigen. Ein Drohbrief mit der Zeichnung eines Erhängten sowie den Buchstaben "MAGA" auf dem Umschlag als Hinweis auf Donald-Trump-Fans sollte den Verdacht erhärten, dass es sich um ein "Hate Crime" handelt, also ein durch Rassenhass, Homophobie, Sexismus oder Ausländerfeindlichkeit motiviertes Verbrechen.

Zunächst funktionierte es: Smollett wurde zum Symbol für die Opfer dieser Angriffe, deren Zahl laut Bundesbehörde FBI in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Selbst Trump sagte: "Das ist schrecklich."

Alle 16 Anklagepunkte wurden überraschend fallen gelassen

Es dauerte aber nicht lange, bis die Polizei von Chicago den Betrug aufdeckte. Smollett habe sich den Brief selbst geschickt und den Angriff Ende Januar vergangenen Jahres orchestriert, heißt es im Bericht. "Ich kenne die Rassenkluft und weiß, wie schwer es dieser Stadt und dieser Nation fällt, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen", sagte Polizeichef Eddie Johnson damals: "Jussie Smollett hat den Schmerz, der durch Rassismus entsteht, für seine Zwecke missbraucht, um seine Karriere voranzutreiben." Es hieß, dass Smollett bei einer Verurteilung mindestens ein Jahr lang ins Gefängnis müsse.

Ein paar Wochen später wurden alle 16 Anklagepunkte trotz zahlreicher Beschwerden überraschend fallen gelassen, Smollett galt als unschuldig. In den USA ist solch ein Vorgehen gar nicht mal so ungewöhnlich: Warum sollte man bei einem geklärten Fall, so die Denkweise, noch mehr Ressourcen binden, wenn es dringendere Probleme, Morde und Vergewaltigungen, gibt? Solange es nicht genügend Beweise für eine Straftat gibt, einigt man sich eben außergerichtlich - und genauso rühmte sich Bezirksstaatsanwältin Kim Foxx für diese Entscheidung: Sie stellte sich dar als tatkräftige Entscheiderin mit Blick aufs Budget. So was kommt gut an bei den Wählern.

Das Problem allerdings: Es gab gar keine Einigung. Zu der gehört gewöhnlich, dass der Angeklagte die Schuld eingesteht und sich öffentlich entschuldigt. Die Anklage jedoch wurde für Gegenleistungen fallen gelassen, die in den Augen des Sonderermittlers Dan Webb einem Witz gleichkommen: Smollett musste auf die Kaution in Höhe von 10 000 Dollar verzichten und 15 Sozialstunden leisten. Das war's. Das Vorgehen der Bezirksstaatsanwaltschaft hält Webb daher nicht nur für falsch, sondern für vorsätzlich nachlässig und gar politisch motiviert.

Smollett droht eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren

Wer so glimpflich davonkommt, der könnte die Geschichte des Geläuterten erzählen, die sie so sehr lieben in den USA und wegen der sie jedem, der sie reumütig erzählt, gerne eine zweite Chance bieten. Smollett jedoch gab den Trotzigen: Auf eine Zivilklage der Stadt, er solle die 1836 Überstunden(130 000 Dollar) bezahlen, die sein Fall Behördenmitarbeitern beschert habe, reagierte er mit einer Gegenklage: Die Polizei hätte in böser Absicht gegen ihn ermittelt.

Webbs Bericht allerdings legt nahe, dass Smollett aufgrund seiner Prominenz vielmehr eine Sonderbehandlung erfahren habe. Staatsanwältin Foxx habe, das fiel Webb bei seinen Recherchen auf, bei anderen Fällen nicht so milde reagiert wie bei Smollett.

Webb betont ausdrücklich, Smollett gelte nach wie vor als unschuldig. Sein Bericht aber, dessentwegen es am Dienstag eine Anhörung gibt, ist nicht nur eine neue Anklage gegen Smollett. Der Schauspieler muss sich nun auch, sollte es keine Einigung vor einem Prozess geben, wegen der ursprünglichen 16 Anklagepunkte verantworten. Sechs neue kommen nun hinzu, weshalb Smollett eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren droht.

Indirekte Anklage gegen die Staatsanwältin

Webbs Bericht ist, nun wird es politisch, natürlich auch eine indirekte Anklage gegen Staatsanwältin Kim Foxx. Am 17. März wird gewählt, die Demokratin Foxx hat gleich drei Gegenkandidaten - aus der eigenen Partei. Foxx steht nun nicht mehr als tatkräftig da, sondern vielmehr so, als habe sie einem berühmten Sohn der Stadt, der wegen seines gesellschaftlichen Engagements auch noch sehr beliebt ist, einen unrechtmäßigen Vorteil verschafft; ob sie das mit Blick auf mögliche Wählerstimmen getan hat, lässt Dan Webb offen: "Es gibt noch kein Ergebnis, die Untersuchung dauert noch an."

Kim Foxx hat, obwohl sie weder angeklagt noch im Bericht erwähnt wird, bereits reagiert: "Das Timing, 35 Tage vor der Wahl, kann nur als weitere Politisierung der Justiz gesehen werden - als etwas, das Wähler in der Ära von Donald Trump als widerwärtig sehen sollten." Fest steht: Der Fall Smollett ist weder für ihn noch für Foxx vorbei. Obwohl beide genau das gewollt hatten.

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