Süddeutsche Zeitung

Angriff auf Schauspieler Jussie Smollett:Das Opfer war ein Täter

Lesezeit: 4 min

Es sah nach einem Hassverbrechen aus: Der homosexuelle und schwarze US-Schauspieler Jussie Smollett wurde überfallen und beleidigt. Nun hat ein Gericht geurteilt, dass er die Attacke inszeniert hat - wohl, um sich berufliche Vorteile zu verschaffen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jussie Smollett hat diesen schrecklichen Überfall, dem er zum Opfer gefallen war, dieses vermeintlich rassistisch und sexistisch motivierte Verbrechen nur erfunden; und er hat Polizei und Öffentlichkeit in die Irre geführt. Die zwölf Geschworenen sahen es beim Prozess in Chicago als erwiesen an, dass der 39 Jahre alte US-Schauspieler diesen Überfall selbst orchestriert hatte, um sich in der aufgeheizten Stimmung in den Vereinigten Staaten in der Trump-Ära als Opfer zu inszenieren sowie Mitgefühl und Furor der Leute für seine Vermarktung als Schauspieler, Regisseur und Produzent zu nutzen. Sie sprachen ihn schuldig in fünf der sechs Anklagepunkte.

Das vermeintliche Opfer war also Täter, und darüber dürfte in den kommenden Wochen heftig debattiert werden. Der Fall hatte 2019 weltweit für Aufregung gesorgt - wegen der zahlreichen Wendungen. Smollett ist schwarz und homosexuell, und er war das, was sie in Hollywood als "on top - and still climbing" bezeichnen. Also: Er hatte es geschafft, er war vom Kinderstar ("Mighty Ducks") zum seriösen Schauspieler ("Revenge") aufgestiegen; der Durchbruch gelang ihm mit seiner Rolle im Hip-Hop-Familienepos "Empire", seine Darstellung einer schwarzen und homosexuellen Figur galt als gesellschaftlich relevant. Er war oben, aber es hieß, dass er noch weiter aufsteigen könne, also: Hauptrollen, vielleicht sogar ein Film-Superheld.

Dann die Nacht zum 29. Januar 2019: Smollett wurde in Chicago angegriffen, zwei Leute kippten eine Flüssigkeit über seinen Kopf, beleidigten ihn rassistisch und hängten einen Galgenstrick um seinen Hals. Der Fall schien klar zu sein: ein Hate Crime, ein durch Rassenhass, Homophobie, Sexismus oder Ausländerfeindlichkeit motiviertes Verbrechen. Smollett wurde zum Symbol für die aufgeladene Stimmung in einem gespaltenen Land. Er erzählte seine Version der Geschichte tränenreich in Talkshows; der damalige Präsident Donald Trump und die heutige Vizepräsidentin Kamala Harris gaben sich gleichermaßen bestürzt.

Angeblich 3500 Dollar Gage für den Überfall

Kurz darauf kam heraus: Es könnte ganz anders gewesen sein. Smollett sei mit seiner Bezahlung bei "Empire" (etwa 100 000 Dollar pro Folge) unzufrieden gewesen; er habe die Stimmung im Land für seine Zwecke nutzen wollen. Er habe die Brüder Olabinjo und Abimbola Osundairo angeheuert, die er von Dreharbeiten kannte, und er habe ihnen 3500 Dollar bezahlt, damit sie so tun, als wäre er das Opfer eines rassistisch motivierten Verbrechens, inklusive Drohbrief mit der Zeichnung eines Erhängten sowie den Buchstaben "MAGA" ("Make America Great Again") auf dem Umschlag als Hinweis auf Donald-Trump-Fans. Die Ermittler stützen ihre Annahmen auf Bilder von Sicherheitskameras und auf Handydaten Smolletts und seiner angeblichen Angreifer. Der Fall kam vor Gericht.

Zunächst hieß es, dass es eine außergerichtliche Einigung gebe, Smollett sollte 10 000 Dollar Strafe zahlen und 15 Sozialstunden leisten. Es wäre eine Chance zur Läuterung gewesen, Smollett indes gab den Uneinsichtigen: Auf eine Zivilklage der Stadt Chicago, er solle 130 000 Dollar für 1836 angefallene Überstunden der Ermittler zahlen, reagierte er mit einer Gegenklage: Die Polizei hätte in böser Absicht gegen ihn ermittelt. Er erhöhte sozusagen den Einsatz und wurde nun dafür bestraft.

Unterstützung von Black Lives Matter

Der Prozess vor dem Bezirksgericht in Chicago war ein oftmals groteskes Schauspiel, weil Smollett versuchte, seinen Einzelfall auf eine gesellschaftlich bedeutsamere Ebene zu heben. Er stritt die Vorwürfe ab, den Überfall in Auftrag gegeben zu haben, und zeichnete sich als zweifaches Opfer in diesem Fall: Zum einen habe er eine sexuelle Beziehung mit Abimbola gehabt, von dem er zudem Drogen wie Kokain bekommen habe. Er legte damit nahe, dass die Brüder ihn angegriffen hätten aufgrund seiner sexuellen Neigung. Die bestritten das und auch, dass es eine Beziehung zwischen Smollett und Abimbola gegeben habe. Smollett habe alles orchestriert.

Der zweite Vorwurf von Smollett: Die Polizei von Chicago habe aus rassistischen Motiven gegen ihn ermittelt, und er erhielt dabei öffentlich Unterstützung. "Wir können der Polizei, gerade der in Chicago, niemals mehr glauben als Jussie Smollett", sagte Melina Abdullah, Mitbegründerin der Black-Lives-Matter-Bewegung in Chicago: "Er ist ein schwarzer Mann, der sich mutig einsetzt für die Befreiung der Schwarzen. In einer freien Gesellschaft hätte es diesen Prozess nie gegeben." Smolletts Anwälte zeichneten eben dieses Bild: ein homosexueller, schwarzer Mann, der Opfer von Rassisten und Sexisten sei.

Staatsanwalt Dan Webb versuchte, dem aufgeheizten Fall die gesellschaftliche Wucht zu nehmen, er konzentrierte sich auf die besagte Nacht und die vorliegenden Beweise. Im Kreuzverhör provozierte er Smollett zu Widersprüchen und erreichte, dass der Beschuldigte ungeduldig und aggressiv wurde. Im Schlussplädoyer sagte er, Smollett habe wiederholt gelogen: "Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Osundairo-Brüder den Angriff ausgeführt haben - und dass Smollett das alles so geplant hat. Es war so orchestriert, dass es wie ein Hate Crime von Weißen aussieht."

Smollett hatte offenbar mit einem Freispruch gerechnet. Es war ihm trotz der Vorwürfe gegen ihn gelungen, genügend Geldgeber für den Film "B-Boy Blues" zu finden, bei dem er Regie führte. Im September vergangenen Jahres gründete er mit Tom Wilson, dem in Cleveland regionale Radio- und TV-Sender gehören, die Produktionsfirma "A Supermassive Movie". Wilson war beim Prozess zugegen und versuchte, den Film zu vermarkten, für den es derzeit noch keinen Vertrieb gibt. "Wir brauchen nur das richtige Urteil", sagte Wilson, der das Werk beim Sundance Film Festival zeigen wollte.

Bis zu drei Jahre Haft

Daraus dürfte erst einmal nichts werden. Zum einen könnte Smollett bis zu drei Jahre ins Gefängnis müssen, Experten rechnen wegen seines erratischen Verhaltens im Kreuzverhör mit einer Haftstrafe. Richter James Linn hat am Donnerstag nicht festgelegt, wann er das Strafmaß verkünden wird, bis dahin bleibt Smollett auf freiem Fuß. Er hat über seinen Anwalt angekündigt, Berufung einlegen zu wollen.

Zum anderen dürfte er in der Unterhaltungsbranche nach dem Urteil noch viel mehr als Persona non grata gelten. Seine Agentur UTA hat sich längst von ihm getrennt, er konnte in den vergangenen zwei Jahren keine einzige Rolle sichern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5484719
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.