Süddeutsche Zeitung

Vereinbarkeit von Impfungen und Religion:Masern-Welle unter orthodoxen Juden

In einigen Vierteln in Israel und New York sind mehr als tausend Masern-Fälle bekannt geworden. In manchen Fällen ist nur die Hälfte der abgeschottet lebenden Bevölkerung geimpft.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

In Israel und in New York sind in jenen Vierteln, die überwiegend von ultraorthodoxen Juden bewohnt werden, Masern-Erkrankungen ausgebrochen. In Israel sind mehr als 1400 Fälle in den vergangenen Wochen bekannt geworden, in den New Yorker Stadtteilen Williamsburg und Borough Park waren es 17 Fälle. Die Gesundheitsbehörden in den USA sehen die Quelle in Israel. Schüler, die kürzlich das Land besucht haben, hätten sich dort infiziert. Zwischen den ultraorthodoxen Gemeinschaften dies- und jenseits des Atlantik gibt es einen regen Austausch.

In Israel hat man nun eine Impfkampagne gestartet, die sich vor allem an Ultraorthodoxe richtet. Mehr als 60 Prozent der Erkrankten leben in vorwiegend von Ultraorthodoxen bewohnten Vierteln in Jerusalem. Eine weitere Häufung von mehr als 200 Infizierten gibt es in Safed, das als Zentrum der Kabbala, der mystischen Tradition des Judentums, bekannt ist. Nur etwa die Hälfte der Angehörigen dieser oft abgeschottet lebenden Gemeinschaft ist gegen Infektionskrankheiten wie Masern geimpft. Hartnäckig hält sich unter den streng religiös lebenden Juden das Gerücht, ihr inbrünstiger Glaube schütze sie vor solchen Erkrankungen. Außerdem wird in diesen Gemeinschaften immer wieder vor den Gefahren von Schutzimpfungen gewarnt.

Da trifft es sich gut, dass das Gesundheitsministerium in Israel von einem Vertreter der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Torah-Judentum geleitet wird. Jaakov Litzman ging mit gutem Beispiel voran und ließ sich in einer Schule gegen Grippe impfen, um zu zeigen, dass Impfen nicht gefährlich ist. Auch in New York werden prominente Rabbiner aufgeboten, die an jüdische Glaubensangehörige appellieren und auf die Torah verweisen: Dort stehe, dass man auf seine Gesundheit achten müsse.

In Jerusalem wurden die Impfangebote in Kliniken ausgeweitet, außerdem ist ein mobiles Gesundheitszentrum in besonders betroffenen Jerusalemer Stadtteilen im Einsatz, wo Impfungen vorgenommen werden. In Israel untersagte das Gesundheitsministerium all jenen, die nicht geimpft sind, den Besuch von Intensiv- und onkologischen Stationen in Krankenhäusern. Ob Schüler ohne Schutzimpfung vom Unterricht ausgeschlossen werden sollen, um eine weitere Ausbreitung der Masern zu verhindern, wird noch geprüft.

Das Gesundheitsministerium rief alle Eltern auf, ihre Kinder zur Schutzimpfung zu bringen. "Diese Krankheit schien ausgerottet zu sein - und plötzlich ist sie wieder da." Im gesamten Vorjahr waren lediglich 33 Fälle in Israel registriert worden. 90 Prozent der Erkrankungen seien darauf zurückzuführen, dass kein Impfschutz bestanden habe, teilte das Ministerium mit.

Ende Oktober war ein 18 Monate altes Mädchen in einem Jerusalemer Krankenhaus gestorben. Es war der erste Todesfall durch Masern seit 15 Jahren in Israel. Die Eltern waren Mitglieder von Neturei Karta, einer extremen Gruppierung von Ultraorthodoxen, die aus religiösen Gründen den Zionismus und den Staat Israel vehement ablehnt. Die Familie lebt in Mea Shearim, dem großteils von Ultraorthodoxen bewohnten Viertel von Jerusalem. Weder das Baby noch die Eltern waren geimpft.

Das Ministerium konzentriert seine Bemühungen vor allem auf Jerusalem und die nahe gelegene Stadt Beit Schemesch, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung ultraorthodox ist. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO müssten 95 Prozent der Bevölkerung in allen Alters- und sozialen Gruppen geschützt sein, um Ausbrüche zu vermeiden. Eine Knesset-Abgeordnete hat nun eine Gesetzesinitiative für verpflichtende Impfungen eingebracht.

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SZ vom 09.11.2018/ick
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