Journalistin Marinowa:Ein Mord, der Vorurteile schürt

Mahnwache für Viktoria Marinowa

Mahnwache für die getötete Fernsehmoderatorin Victoria Marinowa in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

(Foto: dpa)
  • In Bulgarien ist die Journalistin Viktoria Marinowa vergewaltigt und getötet worden, daraufhin wurde ein Tatverdächtiger in Deutschland verhaftet.
  • Er hat gestanden, sie geschlagen zu haben, er habe sie aber nicht töten oder vergewaltigen wollen, sagte er.
  • In Bulgarien schürt der Fall Ressentiments gegen Roma, Angehörige des Verdächtigen haben aus Angst vor Racheakten ihr Zuhause verlassen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es dürfte eine Aktion unter großem Polizeischutz sein, wenn der des Mordes an der Fernsehmoderatorin Viktoria Marinowa verdächtige Sewerin K. seine Gefängniszelle in Deutschland verlässt und nach Bulgarien ausgeflogen wird. In Celle ordnete das Oberlandesgericht Auslieferungshaft für den 21 Jahre alten Bulgaren an. Diese wird gewöhnlich binnen zehn Tagen vollzogen. Bulgariens Regierung ist alarmiert: Nach dem mutmaßlichen Mord durch K. sind in Bulgarien Ressentiments gegen Roma spürbar.

Bereits am Donnerstag erfuhren die Bulgaren, wie Sewerin K. die Flucht gelungen war - und dass er seine Schuld am Tod von Marinowa zugegeben habe. Ein langjähriger Freund und Nachbar von K. erzählte dem Fernsehsender Nova, sie hätten durch die Nacht zum 6. Oktober einen Geburtstag gefeiert. Am Samstagmorgen sei K. alleine nach Hause gegangen. Tags darauf - einen Tag nach Marinowas Tod - habe er K. in einer 30 Stunden langen Autofahrt von Ruse nach Hamburg gebracht, doch nicht gewusst, dass er einen Mordverdächtigen fahre.

K.s Mutter Nadjeschda, in deren Wohnung in Stade K. am Dienstagabend festgenommen wurde, erklärte gegenüber Nova und dem Fernsehsender BTV, ihr Sohn habe sie und seinen Stiefvater noch einmal sehen und sich dann der Polizei stellen wollen. Sewerin habe gesagt, er habe auf der Geburtstagsfeier Bier und Whiskey getrunken und die Droge Crystal Meth genommen.

"Mama, ich habe einen Menschen getötet. Ich bin gekommen, um euch noch einmal zu sehen", gab die Mutter seine Worte wieder. Er habe gesagt, er habe Marinowa nicht erwürgt, sie müsse durch seine Schläge auf den Kopf gestorben sein. Als er im Fernsehen gehört habe, dass Marinowa eine kleine Tochter hinterlasse, habe er geweint. Ein oder zwei Stunden nach seinem Eintreffen in Stade habe die Polizei Sewerin bereits festgenommen.

Deutsche Polizisten kannten Sewerin K. längst. Er verbarg sich offenbar vor der deutschen Justiz in Bulgarien. Nach SZ-Informationen erwischte eine Streife des Polizeireviers Großhansdorf nahe Hamburg Sewerin K. im Januar 2018 mit gefälschtem Führerschein. "Deshalb wurde Anzeige wegen Verdachts auf Urkundenfälschung erstattet", sagt eine Polizeisprecherin in Ratzeburg. Im September schrieb die Staatsanwaltschaft Lübeck K. bundesweit zur Aufenthaltsermittlung aus, "weil wir keinen festen Wohnsitz für ihn ermitteln konnten", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Lübeck.

Am Tag nach seiner Festnahme gab K. vor dem Amtsgericht in Stade an, er sei mit der auf der Donaupromenade in Ruse joggenden Marinowa in Streit geraten und habe ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Daraufhin sei sie gefallen; er habe sie hochgehoben, in einen Busch geworfen und sei weitergegangen. Er habe Marinowa nicht töten wollen und nicht vergewaltigt. "Ein politischer Hintergrund kann auf der Grundlage dieser Einlassung nicht angenommen werden", erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Celle. Nachdem K. keinen Einwand gegen eine vereinfachte Auslieferung hatte, ordnete das Oberlandesgericht Auslieferungshaft an.

Ressentiments gegenüber Roma sind verbreitet

Die Tageszeitung Dnevnik berichtet, K. habe in der von Roma bewohnten Siedlung im Haus seiner Tante gewohnt und eine Freundin gehabt. Sowohl die Tante als auch K.s Freundin hätten das Viertel aus Angst vor Racheakten nun verlassen. Motorradfahrer begehen am Samstag in Ruse das Ende der Sommersaison - schon am Donnerstagabend kamen Motorradfahrer ins Roma-Viertel. Einwohner sagten dem Sender Nova, die Motorradfahrer hätten Satellitenantennen und Autofenster von Roma eingeworfen, ein Roma sei geschlagen worden.

Mit schätzungsweise 800 000 Menschen sind Roma die drittgrößte Gruppe im Sieben-Millionen-Einwohnerland Bulgarien. Ressentiments ihnen gegenüber sind verbreitet. Im März 2018 rief etwa ein Arzt in Plowdiw nicht die Polizei, als ein Roma die Garage des Arztes durchsuchte, sondern erschoss ihn. Der Arzt erhielt weithin Unterstützung. Die Boulevardzeitung 24 Stunden berichtet jetzt, Bulgaren forderten ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe. Ministerpräsident Boiko Borissow erklärte im Parlament, Verbrechen würden von Bulgaren ebenso wie von Roma verübt, und befahl erhöhte Polizeipräsenz in Ruse.

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