Süddeutsche Zeitung

Amber Heard und Johnny Depp vor Gericht:Eine Schlacht, in der es nur Verlierer gibt

Im US-Bundesstaat Virginia wollen Amber Heard und Johnny Depp in einem Verfahren Schadenersatz voneinander erstreiten. Schon kurz nach Prozessbeginn ist klar, dass beide irreparable Schäden davontragen werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es geht um Verleumdung, Rufschädigung, um verletzten Stolz - und vor allem um die Frage: Warum können Johnny Depp und seine Ex-Frau Amber Heard nicht aufhören, öffentlich zu streiten? Er verklagt sie auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz, sie reagiert darauf mit einer Gegenklage und fordert 100 Millionen Dollar Schadenersatz. Dieser Prozess, bei dem beide Klagen gleichzeitig verhandelt werden, dürfte jedem von ihnen jeweils mehr schaden als nützen. Es ist wie bei einer Schlägerei: Kann schon sein, dass jemand gewinnen wird - beide Kontrahenten werden aber ein blaues Auge, eine blutige Nase und möglicherweise irreparable Schäden davontragen.

Es sollte diesen Prozess nicht geben, da sind sich so ziemlich alle Beobachter einig, zumal sowohl Depp als auch Heard bereits wegen früherer Verfahren Schaden genommen haben - doch sie machen weiter, und wie ernst es ihnen ist, das war bei Prozessbeginn am Montag im Fairfax County Circuit Court im US-Bundesstaat Virginia zu beobachten: Auf den Fernsehbildern vom ersten Verhandlungstag trug Depp Anzug, Weste, Krawatte, Einstecktuch; er sah aus wie Johnny Depp, der sich für eine Filmrolle als Business-Johnny-Depp verkleidet. Heard trug ebenfalls Anzug und Weste, sie sah aus wie immer. Kurzer Gruß von beiden jeweils an die 200 Fans und ebenso vielen Reporter. Richterin Penney Azcarate hatte zuvor Autogramme und Selfies ausdrücklich verboten. Im Gerichtssaal ermahnte sie dann die etwa 100 Besucher, der Großteil von ihnen Johnny-Depp-Fans, weder ihre Handys zu zücken noch ihre Zuneigung zu Depp lautstark zu bekunden.

Die scharfen Angriffe in den Eröffnungsplädoyers heizten die aufgeladene Stimmung weiter an. Depps Anwälte stellen Heard als neurotische, paranoide und selbstsüchtige Täterin dar, die sich die Vorwürfe gegen Depp ausgedacht habe. Sie habe sich zum Opfer stilisiert, weil sie die Demütigung einer öffentlichen Trennung nicht habe akzeptieren wollen. "Sie ist besessen von ihrem Image", sagte Depps Anwältin Camille Vasquez zu den elf Geschworenen: "Sie hat diese Rolle jahrelang verinnerlicht; und sie ist bereit, nun die Vorstellung ihres Lebens zu geben." Heard sei eine manipulative Lügnerin, psychisch labil und emotional verletzend. Kurz: die wahre Täterin. Es war ein hollywoodreifer Vortrag von Vasquez. Die Leute im Saal sprangen nur deshalb nicht auf, um zu applaudieren, weil Richterin Azcarate es davor ausdrücklich verboten hatte.

Heards Anwälte entgegneten, dass ihre Mandantin von Depp emotional, verbal und physisch missbraucht worden sei und um ihr Leben gefürchtet habe. "Amber hat auch sexuelle Gewalt von Depp erlitten, diese Gewalt wird auf schreckliche Weise und ungefiltert zu sehen sein", sagte Heards Anwalt Ben Rottenborg: "Sie werden es von ihr selbst hören: Sie wird genau erzählen, wie es gewesen ist." Es gebe diesen Prozess überhaupt nur, weil es Depps Ziel sei, "ihre Karriere zu zerstören und ihr Leben zu ruinieren".

Nur einen Tag vor Prozessbeginn schreibt Heard auf Instagram, dass sie sich "noch immer eine Liebe für Johnny bewahrt" habe. Es heißt manchmal, das Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Doch das ehemalige Paar ist sich alles andere als gleichgültig. Verletzter Stolz scheint ein noch stärkeres Gefühl als Hass auszulösen. Heard schreibt weiter: "Es bereitet mir große Schmerzen, die Einzelheiten unserer gemeinsamen Vergangenheit vor aller Welt noch einmal zu erleben."

Diese Vergangenheit wirkte zunächst wie der übliche Zyklus gescheiterter Hollywood-Ehen: Kennenlernen bei Dreharbeiten zum Film "The Rum Diary" im Jahr 2011, öffentliches Turteln, Ehe vier Jahre später. Scheidung 2017 mit heftigen Vorwürfen von Heard: Depp soll sie geschlagen und emotional missbraucht haben. Diese Vorwürfe zog sie aber nach einer außergerichtlichen Einigung zurück, bei der sie sieben Millionen Dollar von Depp bekam und an gemeinnützige Organisationen spenden wollte. Bislang hat Heard aber wohl nur eine Million gespendet. Ein Hinweis für Depps Anwälte, dass Heard eine dreiste Lügnerin sei.

In der Prä-Me-Too-Zeit wäre der Fall wohl erledigt gewesen - und damit ein Affront gegen Opfer sexueller Gewalt. Im Jahr 2018 veröffentlichte Heard einen Text in der Washington Post, in dem sie all das thematisierte. Sie sei missbraucht worden, der Täter aufgrund seiner Prominenz und seines Reichtums damit durchgekommen und sie dagegen zum Schweigen gebracht worden: "Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen - und den Zorn unserer Kultur zu spüren bekommen. Das muss sich ändern." Sie erwähnte Depp nicht konkret, man musste jedoch kein Nachkomme von Sherlock Holmes sein, um zu erkennen: Der Essay war eine Anklage an Depp, aber auch an dieses System, das prominente und vermögende Täter jahrzehntelang schützte.

In der britischen Boulevardzeitung Sun wurde Depp danach als "wife beater" bezeichnet - als einer, der seine Ehefrau geschlagen hat. Eine Strategie wäre nun gewesen, die Vorwürfe zu ignorieren oder abzustreiten - wie jemand, der einer Schlägerei aus dem Weg geht, indem er dem anderen den Rücken zukehrt, ob er nun selbst schuldig ist oder nicht. Depp jedoch tat, was sie in den USA "doubling down" nennen: den Einsatz erhöhen. Er verklagte die Sun, und er verklagte Heard.

Der Prozess gegen die Sun war ein Beispiel dafür, zu welchem Zweck es außergerichtliche Vergleiche auch gibt: zum Schutz der Privatsphäre der Beteiligten. Bei einer Verhandlung geht es nicht nur um die konkreten Tatvorwürfe, sondern auch darum, die schmutzigste Wäsche öffentlich zu waschen. Depp warf Heard etwa vor, sie habe während einer Party einen Haufen Exkremente in seinem Bett hinterlassen. Die Beleidigung "Amber Turd" (Amber Scheißhaufen) aus einer SMS von Depp verbreitete sich auf sozialen Netzwerken.

Urteil im vorherigen Prozess war eine krachende Niederlage für Depp

Das Urteil jedoch war eine krachende Niederlage für Depp: Die Sun habe bewiesen, dass er gewalttätig gegenüber seiner damaligen Frau gewesen sei, dass sie um ihr Leben habe fürchten müssen und die Bezeichnung "wife beater" eine Tatsache sei. Vernichtender geht es kaum, und spätestens dieses Urteil hätte das Ende der Geschichte sein müssen. Depp lag am Boden, aber auch Heard stand aufgrund der schlimmen Anschuldigungen mit blutiger Nase und blauem Auge da: Ärztlichen Attesten zufolge habe sie an Eifersucht und Angstzuständen gelitten und Medikamente missbraucht, sie habe eine Wodkaflasche nach Depp geworfen und ihn beleidigt.

Depp jedoch erhöhte den Einsatz weiter und will nun einen Schadenersatz wegen Rufschädigung, obwohl Autorin Heard ihn in ihrem Washington-Post-Text nicht ausdrücklich erwähnt hat. Dazu braucht er eine neue Strategie. 140 Zeugen sind in den Akten vermerkt, die der SZ vorliegen, unter ihnen Promis wie Tech-Milliardär Elon Musk und Schauspieler James Franco. Die erste aufgerufene Zeugin: Depps Schwester Christi Dembrowski. Depp sei von seiner Mutter missbraucht worden, durch die steten Erniedrigungen durch Heard ("Sie nannte ihn einen fetten alten Mann") habe er das nochmals erlebt. Als sie das sagte, sah Depp zu Boden, als müsste er weinen.

So dürfte es weitergehen in den kommenden Wochen: Es wird eine Schlägerei ohne Handschuhe, vor allem aber ohne Rücksicht auf Verluste werden.

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