Depp gegen Heard:Finale einer Schlammschlacht

Depp gegen Heard: Kate Moss beteuert als als Gloucestershire-Prinzessin verkleidet, Depp habe sie nie eine Treppe runtergestoßen.

Kate Moss beteuert als als Gloucestershire-Prinzessin verkleidet, Depp habe sie nie eine Treppe runtergestoßen.

(Foto: EVELYN HOCKSTEIN/AFP)

Mit den Schlussplädoyers geht der Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard dem Ende zu. Oder eher das Spektakel. Auch Depps Exfreundin Kate Moss spielte eine wichtige Rolle. Ein Rückblick auf die Protagonisten des Verfahrens.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es geht letztlich um zwölf Wörter in diesem Prozess, der oftmals eher Schauspiel, Schlammschlacht und Spektakel war als eine gewöhnliche Gerichtsverhandlung. An diesem Freitag nun werden die Plädoyers gehalten, und dann müssen die Geschworenen entscheiden, ob Johnny Depp 50 Millionen Dollar von seiner Ex-Frau Amber Heard bekommt - oder Heard 100 Millionen von Depp.

Die zwölf Wörter, um die es geht, waren im Dezember 2018 in einem Gastbeitrag der Washington Post zu lesen, Heard hatte sie verfasst: "Then two years ago, I became a public figure representing domestic abuse." Auf Deutsch sind es 17 Wörter: "Vor zwei Jahren dann wurde ich zu einer Person des öffentlichen Lebens, die für häusliche Gewalt steht." Was Heard nicht tut, und das ist wichtig: Sie erwähnt Depp nicht namentlich; sie behauptet nicht, selbst Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein; und sie nennt keine Details. Warum das wichtig ist, wird einem klar, wenn man vor den abschließenden Plädoyers die Hauptakteure der Verhandlung noch einmal genauer betrachtet.

Depp gegen Heard: Lagebesprechung mit Richter und Anwälten im Gerichtssaal. Die Mitglieder der Geschworenen-Jury dürfen nicht fotografiert werden.

Lagebesprechung mit Richter und Anwälten im Gerichtssaal. Die Mitglieder der Geschworenen-Jury dürfen nicht fotografiert werden.

(Foto: Evelyn Hockstein/AP)

1. Die Geschworenen

Sie saßen sechs Wochen lang in diesem Gerichtssaal im US-Bundesstaat Virginia, sie wurden von Richterin Penney Azcarate am Ende jedes Verhandlungstages gebeten, nur ja keine eigenen Recherchen durchzuführen und sich von sozialen Netzwerken fernzuhalten. Sie hatten deshalb keine Ahnung von Zuspitzungen, Verkürzungen und Hashtags wie zum Beispiel #justiceforjohnnydepp, der auf Tiktok mittlerweile mehr als zehn Milliarden Mal verwendet worden ist. Sie haben nur erlebt, was tatsächlich im Prozess passiert ist, das allerdings in voller Länge.

Nun müssen die Geschworenen entscheiden, ob Heard mit ihrem Gastbeitrag in der Washington Post ("häusliche Gewalt") wissentlich und absichtlich der Karriere von Depp geschadet hat - und ob das, was sie geschrieben hat, die Wahrheit ist. Die Beweislast liegt allerdings bei Depp, weil er der Kläger ist und die Schuld von Heard belegen muss. Es war von Anfang an klar, dass dies sehr schwer werden würde, und dass Depp diesen Prozess womöglich auch aus anderen Gründen angestrebt hat.

Depp gegen Heard: Mal gibt er sich selbstironisch, mal flirtet er. Textnachrichten, die im Prozess auch eine Rolle spielten, zeigen allerdings eine andere Seite von Johnny Depp.

Mal gibt er sich selbstironisch, mal flirtet er. Textnachrichten, die im Prozess auch eine Rolle spielten, zeigen allerdings eine andere Seite von Johnny Depp.

(Foto: Evelyn Hockstein/AP)

2. Johnny Depp

Den Vorwurf, ein "Wife Beater" zu sein, also ein "Ehefrauen-Schläger", wie die britische Zeitung Sun Johnny Depp einmal nannte, muss der Schauspieler bereits ertragen. Ein Gericht in London hatte es 2020 als erwiesen angesehen, dass man Depp so nennen darf, auch wegen der Vorwürfe von Heard. Depp hatte dagegen geklagt - und verloren.

Vor dem aktuellen Prozess hatte Depp gesagt, dass es ihm nicht ums Geld gehe, sondern einzig darum, seinen Namen reinzuwaschen - und so verhielt er sich auch: Morgen für Morgen begrüßte er seine Fans freundlich auf dem Weg ins Gericht, rückte seiner Anwältin den Stuhl zurecht, flirtete mit ihr und kommentierte juristische Scharmützel sarkastisch. Er gab sich selbstkritisch und selbstironisch, das kam gut an.

Was jedoch auch zu bestaunen war bei diesem Prozess: Textnachrichten von Depp, in denen er Heard als "wertlose Nutte" bezeichnet oder ankündigt, dass er "die hässliche Fotze aufmischen werde" - und freilich die Nachricht an seinen Schauspielkollegen Paul Bettany: "Ertränken wir sie, bevor wir sie verbrennen. Danach werde ich ihre verbrannte Leiche vögeln, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich tot ist." Noch eine SMS aus dem Jahr 2016: "Sie bettelt um totale und weltweite Erniedrigung; kann sie haben." Auf den Social-Media-Kanälen seiner Unterstützer ist von diesen Mitteilungen nicht viel zu lesen. Auf der einen Seite also der Satz "Vor zwei Jahren dann wurde ich zu einer Person des öffentlichen Lebens, die für häusliche Gewalt steht", auf der anderen degoutante Textnachrichten. Wie passt das zusammen?

Depp gegen Heard: "Und ich spürte die volle Wucht des Zorns unserer Gesellschaft": Schauspielerin Amber Heard während der Verhandlung.

"Und ich spürte die volle Wucht des Zorns unserer Gesellschaft": Schauspielerin Amber Heard während der Verhandlung.

(Foto: Evelyn Hockstein/AP)

3. Amber Heard

Wofür ist Amber Heard berühmt? Die Antwort darauf liefert der Eintrag bei Wikipedia: für Filme wie "Never Back Down", "Drive Angry" und "Aquaman"; für ihre Arbeit für einen Haarspray-Konzern und als Aktivistin für Menschenrechte. Das sind zweieinhalb Zeilen - die nächsten fünf handeln von der Ehe mit Depp, der Scheidung, den Vorwürfen und den Prozessen.

Was ihr passiert ist, das hat Heard in gewisser Weise auch schon in ihrem Essay für die Washington Post vorhergesehen, direkt nach dem Satz, um den es im Kern geht: "Und ich spürte die volle Wucht des Zorns unserer Gesellschaft", steht da, und das beschreibt ziemlich genau die öffentliche Rezeption dieser privaten Tragödie. So wie sich Videos des meist cool wirkenden Johnny Depp millionenfach auf sozialen Netzwerken verbreiten, so gibt es zahlreiche Videos von Heard - wie sie weint, wie sie sich verspricht. Und es gibt zahlreiche Videos, in denen sich Leute über sie lustig machen.

Heard hat Fehler gemacht in diesem Prozess, keine Frage. Juristisch etwa, als sie Kate Moss erwähnte. Das Model war von 1994 bis 1998 mit Depp liiert, sie war zunächst nicht als Zeugin geladen. Als Heard jedoch einen Vorfall auf einer Treppe erwähnte und sagte, sie habe dabei an Moss denken müssen, ballte Depps Anwalt die Faust. Er durfte Moss als Zeugin laden, und diese sagte am Mittwoch unter Eid: "Nein, er hat mich nie die Treppe runter gestoßen, getreten oder geworfen." Das war die Strategie von Depps Anwälten den kompletten Prozess über: Heard als Lügnerin darzustellen, die Unwahrheiten verbreitet, um Depp zu schaden.

Heard war nicht mehr nur das vermeintliche Opfer häuslicher Gewalt, sondern auch vermeintliche Täterin: Zu hören war in der Verhandlung etwa eine Audio-Aufzeichnung, in der sie sagte, dass sie Depp geschlagen habe. Sehr lange ging es in dem Prozess auch um einen gemeinsamen Aufenthalt in Australien im August 2015: Depp behauptet, dass Heard ihm dort mit einem Flaschenwurf den Mittelfinger abgetrennt habe. Zu hören war auch, wie sie sich darüber lustig macht, was passieren würde, würde er sie wegen häuslicher Gewalt anzeigen.

Depp gegen Heard: Öffentliches Spektakel: Vor dem Fairfax County Courthouse warten Schaulustige auf die Ankunft der Prozessbeteiligten.

Öffentliches Spektakel: Vor dem Fairfax County Courthouse warten Schaulustige auf die Ankunft der Prozessbeteiligten.

(Foto: Kevin Dietsch/AFP)

4. Die Öffentlichkeit

Für das Urteil zwar irrelevant und dennoch omnipräsent in diesem Fall: das digitale Publikum. Die Masse, die auch so gerne Richter spielt. Wären die sozialen Netzwerke ein Fußballstadion, so müsste man hier von einem Heimspiel für Depp sprechen. Eine Twitter-Studie von Cybara (eine Plattform, die Falschmeldungen im Internet analysiert) ergab, dass 93 Prozent der Einträge pro Depp gewesen seien. Das führte freilich dazu, dass selbst neutrale Beobachter glauben mussten, dass Depp vor Gericht so ziemlich alles richtig gemacht habe - und Heard alles falsch.

Schlimmer noch: Die Währung für die Inhalte-Produzenten auf sozialen Netzwerken ist die Zahl derer, die sich diese Inhalte ansehen und mit einem Like oder gar einem Abonnement belohnen. Der TV-Sender NBC veröffentlichte eine Reportage über Leute, die von Pro-Depp-Inhalten profitieren - und dann gab es ja auch noch B-Promis wie Lance Bass, einst Mitglied der Boyband NSYNC: Er stellte eine Aussage Heards überdramatisiert nach und machte sich damit über sie lustig - mehr als 81 000 Nutzer gaben ihm dafür ein Herzchen.

Die öffentliche Meinung ist wichtig für Schauspieler, die oft nicht nur wegen ihrer Kunst, sondern vor allem wegen der sogenannten Bankability Rollen bekommen - also der Fähigkeit, viele Leute ins Kino zu locken. In Sachen PR hat Depp, da sind sich alle Beobachter einig, den Prozess bereits für sich entschieden.

Depp gegen Heard: Elaine Bredehoft (links), die Anwältin von Amber Heard, wirkte meist deutlich fahriger als die Anwälte von Johnny Depp.

Elaine Bredehoft (links), die Anwältin von Amber Heard, wirkte meist deutlich fahriger als die Anwälte von Johnny Depp.

(Foto: Evelyn Hockstein/AP)

5. Die Anwälte

Auch da gibt es riesige Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung, und ein Beispiel vom Mittwoch zeigte das eindrucksvoll. Heards Anwältin Elaine Bredehoft warf einem ehemaligen Mitarbeiter des Klatschportals TMZ vor, sein Auftritt als Zeuge würde ihm "seine 15 Minuten Ruhm verschaffen". Dessen Antwort: "Nun, ich könnte das Gleiche über Sie sagen, als Sie Amber Heard als Mandantin annahmen." Der Konter saß, und er verbreitete sich wieder millionenfach im Netz - ebenso wie Bredehofts Frage an Depp, ob er sich mal ein "Mega-Pint Wein eingeschüttet" habe. Das und Depps Antwort ("Ich habe mir ein großes Glas Wein eingegossen") ist eines der meistverbreiteten Memes auf Tiktok.

Anders als Bredehoft wirkte Depps Anwältin Camille Vasquez aufmerksam, weniger fahrig, und im Kreuzverhör: unbarmherzig. Auch der zweite Anwalt von Depp, Ben Chew, kam im Prozess konzentriert und dennoch locker rüber. Er klaute Depp zum Beispiel Süßigkeiten, auch das wurde als Video millionenfach geteilt.

Es wird interessant zu beobachten sein, welche Strategie beide Seiten für ihre jeweiligen Plädoyers wählen. Als sicher darf gelten, dass Chew sein Statement vor allem an die Öffentlichkeit richten wird. Sein Mandant Depp hat am Mittwoch bereits verraten, worum es ihm wirklich geht: "Egal, was passiert: Ich war hier, und ich habe die Wahrheit gesagt." Es scheint ihm gar nicht so wichtig zu sein, wie das Urteil der Geschworenen ausfällt. Und es ist kein Strafprozess, die Jury muss deshalb nicht jemanden zweifelsfrei schuldig sprechen - sondern letztlich nur entscheiden, wem sie glaubt. Hat Amber Heard in ihrem Gastbeitrag die Unwahrheit gesagt, und hat sie das wissentlich und absichtlich getan, um Depp zu schaden? Es sind diese zwölf Wörter, um die es hier geht.

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