Johannesburg:In der Kälte der Nacht

Man kommt alleine und geht zu zweit. Manchmal auch zu dritt. Ein Streifzug durch die Clubs von Johannesburg.

Arne Perras

Der Kerl an der Tür könnte Mike Tysons großer Bruder sein, also ja nicht zucken jetzt. Sicherheitscheck vor der Disco "The Rock", in der Township Soweto. Der Wächter ist mit Muskeln so dick bepackt, dass sein T-Shirt anliegt wie eine zweite Haut.

Johannesburg

Johannesburg gilt in Südafrika als die Hochburg des Verbrechens. "Aber was willst du machen", findet eine Nachtschwärmerin, "soll ich mich deshalb zu Hause verkriechen?" Nein, das tut das junge Johannesburg nun wirklich nicht.

(Foto: Foto: Getty)

Ich starre auf seine Oberarme. Und der soll mich jetzt abtasten? Der Typ scheint nicht zu frieren, obwohl es nur acht Grad hat an diesem Wochenende. Wir tragen dicke Jacken. Sommer in Europa ist Winter in Südafrika. Aber das scheint das Nachtleben in der Metropole Johannesburg nicht zu bremsen.

"Müssen wir da jetzt rein?", frage ich meinen Freund Eric. "Vielleicht gehen wir ja doch erst woanders was trinken?" Hier stehen nämlich schräge Gestalten herum, denen wollte ich nachts nicht begegnen. Nicht in Johannesburg, der Hochburg des Verbrechens. "Na klar gehen wir rein", sagt Eric und schiebt mich grinsend weiter. "Du bist doch unser Gast, es wird dir gefallen."

Die Mädchen, die hier draußen noch ihre Pudelmützen tragen, kichern schon. Weißes Weichei. Jetzt nicht kneifen. Rein da. Also lassen wir uns vom Türsteher von oben bis unten durchkneten, könnte ja sein, dass ich mir meinen 44er Colt zwischen die Pobacken geklemmt habe. Ein kurzer Griff in den Schritt. Dann sind wir drin.

Ein weißes Gesicht sucht man im "Rock" vergebens, hier sind die schwarzen Südafrikaner unter sich. Aus den Lautsprechern scheppert House, Neonröhren leuchten an der Decke. Die meisten an der Theke trinken Savannah, südafrikanischen Cider. Eine Heizung gibt es nicht. Die Mädchen tragen oben dicke Daunenjacken, Marke Helli Hansen, und unten grelle Pumps.

Es ist erst kurz vor zehn, aber die Disco füllt sich schnell. Auf der Tanzfläche rücken sie jetzt nahe zusammen, ein bisschen zu nah für meinen Geschmack. Aber es ist ja frisch. Ich muss jetzt einige Hände schütteln, denn Erics Freund, der uns hierher geschleppt hat, kommt aus dieser Ecke von Soweto. Er kennt jede Menge Leute.

In der Kälte der Nacht

Im "Rock" schwingen Arme und Reiche gleichermaßen die Hüften. Männer mit Goldkettchen und fetten Ringen an den Fingern markieren den "Big Man", dem die Frauenwelt zu Füßen liegt. Einen dieser Protze, im schwarzen Anzug, habe ich schon auf dem Parkplatz gesehen, er ist mit einem neuen BMW vorgefahren. Zwei Mädchen rücken ihm schon zu Leibe, so ist das hier. Man kommt alleine rein und geht zu zweit wieder raus. Oder manchmal auch zu dritt.

Es ist jetzt kurz vor elf, und wir fahren zum "Ozone Pub", auf der anderen Seite von Soweto. Sieht von außen aus wie eine Fabrikhalle, die man auch abreißen könnte. Aber drinnen kommt man kaum vorwärts, so voll ist der Schuppen. Johannesburg mag eine der gefährlichsten Städte der Welt sein, doch das Nachtleben blüht jedes Wochenende wundersam auf.

"Was willst du machen", sagt Jackie, eine junge Lady im "Ozone Pub". Jeden könne es erwischen in der Stadt, "aber soll ich mich deshalb zu Hause verkriechen?" Nein, es sieht nicht so aus, als würden sich die Leute in Johannesburg am Wochenende verkriechen.

Auch im "Ozone Pub" finden sich kaum blasse Gesichter, nur ein Weißer sitzt an der Bar und sieht aus, als trauere er seiner großen Liebe nach. Der DJ spielt House, die Bässe schlagen aufs Trommelfell, und auf der Tanzfläche zappelt eine pulsierende Masse, die einen einsaugt und kaum mehr freigibt. Man muss sich mit beiden Armen rudernd hinauskämpfen, um wieder Luft zu bekommen.

Eine Stunde später verschnaufen wir im "Cubana". Zwischen diesem Club in Fourways und den Schuppen in Soweto liegen Welten. Im "Cubana" tummelt sich ein Gemisch, das der Regenbogennation Südafrika alle Ehre macht. Einheimische, Amerikaner und Europäer, gehobene Mittelschicht, Paare und Singles: alle essen hier, tanzen und trinken sich teils um den Verstand.

Aus den Boxen dröhnt Ragga, ein Gemisch aus Reggae und Hip-Hop. Die Bedienungen tragen blaue Nikolausmützen auf dem Kopf und goldenen Glitter im Gesicht. Alle zwei Minuten fragt ein Nikolaus oder eine Nikolausin, ob man nach diesem Bier nicht noch eins wolle.

Ein junger dicker Belgier, dem das Hemd aus der Hose hängt, braucht nichts mehr zu bestellen, er hat schon ein Tablett mit zwanzig Blue Curaçao auf dem Tisch. Um ein Uhr morgens ist er zu und grölt: "Kommt her, ich hab' hier vier Mädels - eine ist noch frei!"

Die vier schwarzen Grazien tanzen um ihn herum und lächeln. Der Belgier sagt, dass er für eine Schifffahrtsgesellschaft arbeite und nun mal richtig einen draufmachen wolle. Ein Stunde später wankt er nur noch und hält sich lallend an einem der Mädchen fest. Die übrigen drei sagen jetzt danke - und ziehen mit anderen Kerlen davon.

Die Drinks drücken auf die Blase, also suche ich die Toilette. An den Pissoirs schütteln zwei Schwergewichte ihre Penisse aus und streiten, wer den Längeren hat. Daneben sitzt ein dürrer Kerl mit Zahnlücke auf einem Schemel, er heißt Mike und ist der Schuhputzer.

In der Kälte der Nacht

"Hey", sagt er entsetzt. "Schau dir nur deine Schuhe an." Eine einzige Katastrophe, meint er. "Willst du etwa so deine Prinzessin finden?" Ich blicke hinunter auf meine Schuhe. Ein bisschen matt vielleicht... "Hey, Mann, ehrlich, so kannst du hier nicht wieder raus. Zehn Rand, Bruder, und ich mache dich zum König der Nacht. Deine Schuhe werden blitzen wie Edelsteine."

Zwei Minuten später komme ich mit Edelsteinen an den Füßen wieder raus. Es ist jetzt zwei Uhr morgens, die Temperaturen fallen weiter. Aber noch haben wir einen weiteren Club vor uns. "Gibt es weiße Clubs eigentlich noch?", frage ich Eric. Schließlich wurde die Apartheid schon vor 14 Jahre abgeschafft. Offiziell gibt es sie natürlich nicht, denn verweigerten sie Schwarzen den Eintritt, würden sie am nächsten Morgen wohl geschlossen.

Aber Eric hat dennoch seine Erfahrungen gemacht. Mit einem Freund war er kürzlich in Pretoria, sie zogen ins "Koffe" und danach ins "Stones". "War fade", sagt Eric, "sie haben immer nur Musik für die Weißen gespielt." Und ein paar Typen hätten ihn wirklich schräg angeschaut. Manche von denen hätten sich im "Koffe" dann in die Vip-Lounge verzogen, die für spezielle Gäste reserviert ist. Im "Stones" haben sie Eric später angerempelt, mit voller Absicht sei das passiert. Da ist er lieber wieder raus.

Wir ziehen in dieser Nacht weiter nach Sandton, eine der ganz noblen Gegenden von Johannesburg. Das "Taboo" rangiert im Disco-Ranking recht weit oben. Wer in den Club hinein will, muss sich schon kräftig in Schale werfen oder ansonsten mit einem Extraschein winken. 150 Rand kostet der Eintritt, für viele Südafrikaner ist das der Lohn von einer ganzen Woche. Oder mehr. Banker, Unternehmer, die Schönen und Reichen vergnügen sich hier.

Wem es auf der Tanzfläche zu heiß wird, der kann hinausgehen auf die große Dachterrasse. Bambussofas mit Baldachin und flauschigen Kissen stehen hier herum. Die Sterne glitzern, die Luft ist eisig, dennoch haben sich zwei Pärchen in die flauschigen Liebesnester zurückgezogen. An der Freiluftbar stehen ein paar Besoffene und versuchen vergebens, ihr Wechselgeld zu zählen.

Erst nach vier Uhr beginnt sich das "Taboo" zu leeren. Auf dem Podest neben dem DJ sitzen vier Mädchen, sie haben ihre Taschenspiegel herausgezogen und putzen sich noch einmal richtig heraus. Das ist vielleicht die letzte Chance, noch einen Prinzen zu finden, bevor es hell wird. Ich schaue auf meine Schuhe und denke an Schuhputzer Mike. Ach, meine Edelsteine, wie stumpf sie schon wieder sind.

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