Gewöhnlicherweise verfügt der Mensch über mindestens zwei Identitäten: eine öffentliche und eine private. Öffentlich ist eine Identität zum Beispiel dann, wenn irgendwo ein Lichtlein brennt, am Computer zum Beispiel, an einer Kamera oder an einem Tischmikrofon. Da sollte der Mensch dann schon aufpassen, was er so von sich gibt.
Das Wort "Scheißkerl" (freundlich übersetzt), welches der US-amerikanische Präsident Joe Biden gerade am Rande eines öffentlichen Auftritts vor sich hingenuschelt hat - das war wahrscheinlich eher nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Biden hatte sich zuvor über die Frage eines Fox-News-Mitarbeiters geärgert, ob die Inflation für ihn eine Bürde sei, und da ist ihm "What a stupid son of a bitch" herausgerutscht, was natürlich auch "Kotzbrocken" heißen kann. Er hat es gesagt, obwohl sicher irgendwo ein warnendes Lichtlein brannte.
Natürlich: Bei Bidens Vorgänger hätte es niemanden gewundert, wenn dieser zum Beispiel einen Mitarbeiter der Washington Post öffentlich so bezeichnet hätte. "Son of a bitch", das passt durchaus in Donald Trumps Vokabular, erst jüngst nannte er den Minderheitsführer des US-Senats, Mitch McConnell, so. Und selbst als der Republikaner mal im Reisebus über eher private Annäherungsversuche Auskunft gab, Details sind an dieser Stelle auszusparen, da machte zwar anschließend ein Mitschnitt davon die Runde (irgendwo war ein Mikro an), zum Präsidenten aber wurde Trump später trotzdem gewählt.
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Eigentlich liebt der Mensch ihn ja, den Skandal. Fröhlich wartet er an den Skihängen des Lebens auf den nächsten Fall. Anders lässt sich das große Bedürfnis nach Tratsch und Klatsch, Social Media und Fernsehsendungen wie der mit der versteckten Kamera kaum erklären. Was mögliche Verfehlungen betrifft, stehen Politiker allerdings hier - zu Recht - unter besonderer Beobachtung. Ist über ein geöffnetes Mikrofon von ihnen ein Satz zu hören wie "Das ist Adam Clymer, Riesenarschloch von der New York Times " (George W. Bush im Jahr 2000), ein Ausdruck wie "bigotte Frau" (so lästerte der britische Premier Gordon Brown im Jahr 2010 über eine Wählerin) oder "Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten" (US-Präsident Ronald Reagan während einer Mikrofonprobe im Jahr 1984), so ist die Empörung verständlicherweise groß. Gerade wer ein hohes Amt bekleidet, sollte privat und öffentlich schon gut unterscheiden können.
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Andererseits: Wie gerne würde man doch selbst mal zum Beispiel dem Geplänkel der Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren lauschen, wenn am Ende des "Heute Journals" wieder der Ton abgedreht wird. Und wartet man, zum Beispiel während einer Videokonferenz, nicht sogar insgeheim darauf, dass - etwa wegen eines vergessenen Mikrofons oder einer nicht ausgeknipsten Kamera - mal etwas total Überraschendes passiert? Zum Beispiel, dass da einer ebenso frech vor sich hin lacht wie der Laschet einst hinter dem Steinmeier?
Als Prinz Charles jedenfalls im Jahr 2005 zu seinem Sohn William - über Mikrofone gut vernehmbar - sagte: "Diese verfluchten Leute!" (er meinte Leute von der BBC), da konnte man das schon nachfühlen. Und sicher hatte auch die Schweizer Politikerin Heidi Z'graggen ihre Gründe, als sie während einer Podiumsdiskussion über einen Fragensteller etwas sagte wie: " Dä isch en Depp". Ja, manche wollen das gehört haben. Das Mikro war ja an.
Natürlich, das sind alles eher private Äußerungen, aber in einer Zeit, wo nicht mehr wie im Film "Das Leben der Anderen" nur ein Einziger das Gesagte abhört, sondern wirklich jeder über modernstes Spionagewerkzeug verfügt, da ist nicht mehr viel privat.
Wo soll man denn bitte noch Dampf ablassen?