Israel:"Jerusalem ist nicht Disneyland"

The Dome of the Rock is seen in the background as Jewish worshippers take part in a priestly blessing during the Jewish holiday of Passover at the Western Wall, Judaism's holiest prayer site, in Jerusalem's Old City

Nicht nur zum Osterfest gut besucht: Die Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt.

(Foto: Ammar Awad/Reuters)

Die Stadt ist heilig - und ein einziges Verkehrschaos. Schon länger wird über Abhilfe diskutiert, nun wurde sie genehmigt: Eine Seilbahn quer durch die Stadt. Doch die Kritik ist massiv.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Während der Ostertage war das Gedränge in der Altstadt von Jerusalem mal wieder besonders dicht, dem israelischen Fremdenverkehr zufolge kamen so viele Touristen wie noch nie. Aber nicht nur da: Die ganze Stadt ist ein einziges Verkehrschaos. Auch deshalb setzt nicht zuletzt Israels Tourismusminister Yariv Levin große Hoffnung in das Seilbahnprojekt, das vor zwei Jahren auf den Weg gebracht wurde: Die Seilbahn werde "einen einfachen und bequemen Zugang für Touristen und Besucher zur Klagemauer erlauben und eine einzigartige Attraktion sein", sagte Levin damals, sie werde "eine Lösung für die rund 130 000 Menschen bieten, die wöchentlich an diesen Ort pilgern".

Nun wurden die Genehmigungsverfahren abgeschlossen - vier Stationen und 15 bis zu 26 Meter hohe Seilbahnstützen sollen errichtet werden. Die Kosten wurden auf umgerechnet 50 Millionen Euro veranschlagt. Aber das Projekt ist umstritten, und das gleich aus mehreren Gründen.

Der Plan sieht vor, dass die Besucher hoch über dem Boden von der "First Station", einer zur Ausgehmeile umfunktionierten ehemaligen Bahnstation im Westteil der Stadt, zur im Ostteil gelegenen Altstadt schweben können: durch das Hinnom-Tal über den palästinensischen Stadtteil Silwan bis zum Misttor, einem der Zugänge zur Altstadt. Dann geht es weiter auf den Ölberg bis zum Garten Getsemane. Bis zu 3000 Besucher pro Stunde sollen in den 40 Kabinen die rund vier Kilometer lange Strecke zurücklegen können.

Die Jerusalemer Entwicklungsbehörde verspricht, dass dadurch der Busverkehr nahe der Altstadt um 50 Prozent reduziert werden könne, jener von Privatautos um 30 Prozent. Die Vereinigung der israelischen Reiseführer mit ihren rund 2000 Mitgliedern kommt in einer Studie zum Schluss, die massive Überbeanspruchung Jerusalems schade dem Tourismus; deshalb sei die Seilbahn eine gute Sache.

Aus städteplanerischer Sicht aber wird das Projekt nicht ganz so positiv gesehen. Im Gegenteil. Rund 70 israelische Vertreter aus Kultur, Wissenschaft, Archäologie und Architektur haben eine Petition eingereicht, in der es heißt: "Jerusalem ist nicht Disneyland, und seine landschaftlichen Schätze und seine Erbstätten sind keine verhandelbare Währung." Auch die Vereinigung der Architekten und Stadtplaner in Israel lehnt das Projekt in einer Stellungnahme vehement ab. Ihre Befürchtung: Es würde "Jerusalem den Status als Weltstadt nehmen" und "seinen Wert als Welterbe mindern". Außerdem fürchten sie eine Verlagerung des Verkehrsproblems. Archäologen wiederum sehen durch die Bauarbeiten ihre Projekte gefährdet.

Einzelne Architekten wie Daniel Libeskind, der unter anderem das Jüdische Museum in Berlin entwarf, haben sich kürzlich in offenen Briefen an die Initiatoren gewandt. Liebeskind sieht "kulturelle Schätze gefährdet, die nicht zu ersetzen sind". Jerusalems Verkehrsprobleme sollten nicht durch eine Seilbahn gelöst werden. "Das wird das Gesicht der Stadt verunstalten - mit einer Technologie wie in den Schweizer Bergen."

Der israelische Architekt Mosche Safdie, der die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem entworfen hat, warnt: "Eine Seilbahnanlage, die an die Mauern der Altstadt grenzt und über ein historisches Tal schwebt, wäre ein Präzedenzfall, der zweifellos internationale Ablehnung und Tadel hervorrufen wird." Bekannte Architekten wie Santiago Calatrava oder Ron Arad haben sich dem Protest angeschlossen.

"Sie haben uns nicht informiert, nicht gefragt, nichts geschickt"

Und als wäre das nicht schon genug Ablehnung, gibt es auch noch politisch motivierte Kritik: Der Palästinenser Fakhri Abu Diab, der im Stadtteil Silwan wohnt, fühlt sich wie viele Palästinenser nicht wohl bei dem Gedanken, "dass man über unsere Köpfe schwebt und dann auf uns herabschaut". Er klagt, dass es in Silwan keinen funktionierenden Nahverkehr am Boden gebe und auch der Müll oft nicht abtransportiert werde. Er sieht die Seilbahn als Projekt der Besetzung Ostjerusalems durch Israel. "Die Israelis wollen zeigen, dass sie der Souverän sind und nur ihr Narrativ erzählen." In dem Stadtteil, in dem unter rund 50 000 Palästinensern 2300 Israelis leben, gibt es immer wieder Konflikte, Siedlerorganisationen versuchen Häuser zu kaufen. Laut Abu Diab wurde bereits vor einem halben Jahr mit Grundstücksenteignungen begonnen. Dabei soll es erst 2021 offiziell losgehen mit den Bauarbeiten.

Das Projekt läuft - wohl wegen der massiven Kritik - nicht wie üblich durch die lokalen, regionalen und nationalen Ausschüsse, in die Einwände aus der Bevölkerung einfließen können, sondern über den Nationalen Infrastruktur-Ausschuss. Diese Einrichtung, bestehend aus Vertreter von Ministerien, der Umweltschutzbehörde, der Landesbehörde und der Stadt, wurde gegründet, um größere Infrastrukturprojekte besonders schnell durchzubringen. "Sie haben uns nicht informiert, nicht gefragt, nichts geschickt. Es gibt nicht mal die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen", klagt Abu Diab.

Er hofft nun, dass die größer werdende internationale Aufmerksamkeit hilft, um zu erreichen, was er wie offenbar so viele andere unbedingt will: die Seilbahn verhindern.

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