Bestattungen in Jerusalem:Die gigantische Nekropole unter dem "Berg der Ruhenden"

Bestattungen in Jerusalem: Yehuda Bashari, technischer Leiter des Bauprojekts, in Jerusalems neuen unterirdischen Friedhof. Die Gräber liegen in bis zu 50 Metern Tiefe.

Yehuda Bashari, technischer Leiter des Bauprojekts, in Jerusalems neuen unterirdischen Friedhof. Die Gräber liegen in bis zu 50 Metern Tiefe.

(Foto: Alexandra Föderl-Schmid)
  • Mehr als 170 000 Juden sind in "Har Hamenuchot" im Stadtteil Givat Schaul begraben. Es ist der größte Friedhof Jerusalems.
  • Weil der Platz trotzdem knapp wird, baut man auf dem "Berg der Ruhenden" nicht nur in die Höhe, sondern bohrt auch in die Tiefe.
  • Unterhalb der Stadt der Toten entsteht eine neue gigantische Nekropole, 50 Meter unter der Oberfläche.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Yehuda Bashari braust mit seinem kleinen, verstaubten Auto über Serpentinenstraßen den Berg hinunter; dabei weist er wie ein Stadtführer nach links und rechts. Wohin man auch schaut, sind Gräber. Sein Ziel ist "Har Hamenuchot", der "Berg der Ruhenden". Es ist der Ort für die Toten und der größte Friedhof Jerusalems. Mehr als 170 000 Juden sind hier im Stadtteil Givat Schaul begraben. Das sandfarbene Gräberfeld ist schon von Weitem sichtbar, wenn man sich der heiligen Stadt über die Hauptverkehrsstraße 1 nähert. Der Friedhof ist so groß wie 81 Fußballfelder. Aber der Platz reicht schon jetzt nicht mehr aus.

Rund 4400 neue Gräber werden in Jerusalem jedes Jahr benötigt, allein 2000 davon am "Berg der Ruhenden", erklärt Bashari, der für das Bestattungsunternehmen Kehilat Jerushalayim arbeitet, eines von 18 in der Stadt. Es gibt längst auch Grabstätten in Wandnischen - in zwölf Stockwerken übereinander. Und um zu veranschaulichen, was das bedeutet, unterbricht Bashari kurz die rasante Fahrt und deutet auf eine neue Baustelle am Weg. Hier entsteht gerade eine letzte Ruhestätte, die wie ein mehrstöckiges Parkhaus aussieht.

Die Platznot hat auch damit zu tun, dass die Menschen aus Jerusalem ein Anrecht haben, in ihrer Wohnstadt begraben zu werden. Dazu will man Gräber schaffen für all jene, die auf dem "Berg der Ruhenden" begraben werden wollen. Denn in Jerusalem, so erwarten viele religiöse Juden, wird einst der Messias erscheinen. Zudem steigt die Bevölkerungszahl in Israel stetig an und damit auch der Platzbedarf auf den Friedenhöfen. Und das Jüdische Recht, die Halacha, besagt, dass Gräber weder eingeebnet noch aufgelöst werden dürfen. Jüdische Gräber sind für die Ewigkeit. Auch ist die Einäscherung von Toten, die Platz sparen würde, verboten.

Auf dem "Berg der Ruhenden" baut man deshalb nicht nur in die Höhe, sondern bohrt auch in die Tiefe. Unterhalb der Stadt der Toten entsteht eine neue gigantische Nekropole, 50 Meter unter der Oberfläche. Fast am Fuße des Berges liegt der Eingang zu einem weitverzweigten Höhlensystem mit einer Gesamtfläche von 25 000 Quadratmetern. Es gibt drei Alleen und sieben Straßen - jede 15 Meter breit und 15 Meter hoch, mit Buchstaben und Zahlen zur Orientierung gekennzeichnet.

Yehuda Bashari, der auch technischer Leiter des Projekts ist, führt nun durchs Innere des Bergs. Selbst an heißen Tagen ist es hier unten angenehm kühl. Auf den staubigen Straßen drängen sich Dutzende Bagger und Lastwagen. In den Boden und in die Wände werden Nischen gebohrt, für neue Grabkammern aus Styropor - bis zu 16 Stockwerke hoch. Es gibt Einzel- und Doppelgräber, auch Familiengruften mit bis zu 30 Gräbern werden gebaut. Insgesamt 20 000 Gräber sollen hier entstehen. Die Baukosten liegen bei umgerechnet 50 Millionen Euro. "Eigentlich ein verrücktes Projekt, der erste moderne Untergrundfriedhof der Welt", meint Bashari lachend.

Ein Rabbiner wacht über die Einhaltung der jüdischen Vorschriften. Bei dem Projekt beruft man sich auf den Urvater Abraham, der seine Frau Sara in den Machpela-Höhlen von Hebron beerdigte. Später wurde der biblischen Überlieferung zufolge dort auch sein Sohn Isaak und dessen Frau Rebekka sowie deren Sohn Jakob mit seiner ersten Frau Lea bestattet.

Eine Navigationsapp als digitaler Friedhofs-Wegweiser

In der Nekropole ist es dunkel, und Bashari muss sich hindurchschlängeln zwischen Lastwagen, die Geröll abtransportieren. Am Ende werden es wohl 300 000 Kubikmeter Schutt sein, schätzt er. Auf den Einsatz von Dynamit wurde verzichtet, um die Ruhe der Toten an der Oberfläche nicht zu stören. Aber wirklich Ruhe herrscht hier nicht: Bashari kämpft gegen den Lärm der Baumaschinen an, der von den Wänden widerhallt. Doch das bremst ihn kaum. Dem Projektleiter ist die Begeisterung anzusehen, wenn er in allen Details beschreibt, wie es hier einmal aussehen soll: "Es wird Lichtinstallationen geben, eine Klimaanlage und sogar Aufzüge", schwärmt Bashari.

Drei Fahrstühle sollen die Menschen hier in den Untergrund bringen, noch fallen durch den gigantischen Schacht aus 55 Metern Höhe einige Sonnenstrahlen. Mit einem ausgeklügelten System sollen die Besucher über drei Balkonreihen zu den Gräbern kommen. Damit sie sich nicht verlaufen, werden an den Eingängen Computerbildschirme aufgebaut, die den Weg zum Grab zeigen. Außerdem soll - typisch für die Start-up-Nation Israel - eine Navigationsapp fürs Handy entwickelt werden, mit der sich die Besucher zur richtigen Stelle im Untergrund führen lassen. Wer nicht mehr gut zu Fuß ist, soll mit Elektrowägelchen durch die Gänge fahren können.

Der Zeitplan ist straff. Noch in diesem Jahr sollen hier erste Begräbnisse stattfinden, rund 6500 Gräber sollen bis dahin fertig sein. Die vorwiegend arabischen Bauarbeiter arbeiten in zwei Schichten, nicht einmal für die Mittagspause gehen sie ans Tageslicht, gönnen sich stattdessen einige Minuten Ruhe in einer staubigen Nische.

Doch bis der unterirdische Friedhof so aussieht wie auf den Plänen und den computeranimierten Bildern, werden wohl noch zehn Jahre vergehen. Falls der Platz danach wieder eng werden sollte, könne weitergebaut werden, erklärt Bashari. Denn bisher wurden erst fünf Prozent des Berges ausgehöhlt. Seinen eigenen Platz hat der Projektleiter sich schon gesichert. Er zeigt auf eine Nische ganz im Eck. "Irgendwann werde ich auch da liegen."

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