Süddeutsche Zeitung

Japaner betreibt Selbstmord-Site:Tod auf Bestellung

In Japan muss sich ein Mann für eine Selbstmord-Website verantworten. Mit den Suizid-Ratschlägen via Internet wollte Kazunari Saito seine Schulden begleichen.

Christoph Neidhart

Kazunari Saito führte eine lange Zeit zwei Leben. In seinem offiziellen war der 33-jährige unauffällige Familienvater aus dem östlichen Vorland von Tokio Elektriker. In seinem inoffiziellen gab er sich als Frau aus und betrieb eine Website für Selbstmörder. Am Freitag nun wurde Saito dem Staatsanwalt von Kawasaki überstellt: Er soll in der Industriestadt westlich von Tokio einer 21-Jährigen eine Überdosis Schlafmittel verabreicht und sie dann mit einer Plastiktüte im Schlaf erstickt haben.

Saito startete seine Website, die speziell für Mobiltelefone eingerichtet war, im Juni 2006, um Menschen, die sich selbst töten wollten, Tipps zu geben. Das ist in Japan nichts Neues, Selbstmordratgeber gibt es viele. Vor einigen Jahren wurde ein dickes Buch zum Thema ein Bestseller. Es gab Ratschläge zu Methoden und idealen Ort für die Selbsttötung. Für den Weg zum legendären Selbstmordwald am Fuße des Mount Fuji nannte es die Buslinien mit Fotos der Haltestellen - und auch, was man tun soll, um nicht zu früh entdeckt zu werden.

Dem Buch, von dem zwei Millionen Exemplare verkauft worden sind, haftete zumindest der Hauch eines verqueren Idealismus an. Saito dagegen wollte mit seiner Website bloß Geld machen. Er verkaufte Schlafmittel und andere Arzneien übers Web, darunter einen harmlosen Gesundheitstrunk, von dem er behauptete, er enthalte "Todessubstanzen". Dafür verlangte er massiv überteuerte Preise, die er für zahlungskräftige Kunden zusätzlich anhob.

Kamikaze-Piloten und Harakiri-Samurais

Der Polizei sagte er, er habe die Website aus Geldnot gestartet, er hatte umgerechnet 40.000 Euro Schulden. Einem Kunden schrieb Saito, für Geld mache er alles. Auf der Website warb er damit, dass er ebenso helfen könne, wenn einer sich rächen oder jemanden umbringen wolle. Im Laufe eines Jahres nahm Saito mit seiner Website eine Million Yen ein, knapp 7000 Euro.

Im vergangenen April meldete sich Sayaka Nishizawa, 21, über diese Website und schrieb Saito, sie wolle nicht mehr leben. Er vereinbarte mit ihr, sie sollte ihm 200.000 Yen überweisen, 1400 Euro. Dafür werde er ihr die Schlafmittel in die Wohnung bringen. Und er versprach zu bleiben, bis sie tot sei. Als ihre Leiche vier Tage später gefunden wurde, fiel der Polizei auf, dass Schlüssel und Handy fehlten. Über den auf Computern der Mobiltelefon-Gesellschaft abgespeicherten SMS-Verkehr stieß sie auf Saito.

Die japanische Kultur gilt als selbstmordfreundlich - was aber ein Mythos ist. Die Selbstmorde im Zweiten Weltkrieg - sowohl die Kamikaze-Piloten wie auch Soldaten und Zivilisten, die sich vor den anstürmenden Alliierten in den Tod stürzten - geschahen unter Zwang, wie auch das Harakiri, der Samurai-Selbstmord. Letzteres war primär eine Disziplinierungsmaßnahme. Einem Samurai, der seine Pflicht verletzt hatte, gab man die Chance, sich selbst zu töten, um einer Hinrichtung zuvorzukommen.

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Motive japanischer Selbstmörder sich von jenen in anderen Ländern nicht unterscheiden. Viele Betroffene sind depressiv. Andere, besonders ältere Männer, haben ihren Arbeitsplatz verloren und damit jede Perspektive. Und da Japan eine Gesellschaft der Einsamen ist, finden viele Leute aus ihrer Misere nicht mehr hinaus. Überdies versteht die japanische Gesellschaft psychologische Schwierigkeiten bis heute als Charakterschwäche, nicht als medizinisches Problem. Japanische Medien berichten mit Genuss von Selbstmorden, zumal besonders gruseligen, brutalen und tragischen.

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SZ vom 17.10.07
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