Süddeutsche Zeitung

Hunde in Japan:Lass mich frei!

Es ist nicht einfach, in Tokio einen Hund zu halten, denn es wimmelt von Vorschriften und Verboten. Nur in wenigen Parks dürfen die Haustiere frei herumlaufen, getrennt nach Größen und mit Benimmregeln. Ein Besuch.

Von Thomas Hahn, Tokio

Lucy-Jasmine schaut noch mal hinüber zu dem kleinen Paradies zwischen den Zäunen. Sie ist eine dreijährige Australische Labradoodle, deshalb kann man sie nicht fragen, was sie über die Gassi-Möglichkeiten in Tokio denkt. Aber man ahnt, dass der "Dog-Run" im Yoyogi-Park zu ihren Lieblingsplätzen zählt. Die Eheleute Naoko und Shoji Murozumi, Frauchen und Herrchen, dürfen sie dort von der Leine lassen. Sie kann rumrennen, bellen, schnuppern - einfach mal Hund sein. Lucy-Jasmine hatte Spaß, aber jetzt geht es nach Hause. Ist das Wehmut in ihrem Blick? Immerhin, das nächste Mal kommt bestimmt. "Wir kommen ein bis zwei Mal pro Woche her", sagt Shoji Murozumi.

Der Yoyogi-Park in Shibuya ist mehr als nur eine grüne Lunge Tokios. Er ist eine seltene Oase im Häusermeer, ein Treffpunkt für alle, die mal etwas anderes tun wollen, als im Takt der Riesenstadt zu funktionieren. Vor allem an den Wochenenden wird der Park zu einer Bühne für Flaneure und andere Freunde der Leichtigkeit. Es wird geradelt, gerannt, gespielt, gepicknickt.

Und im Westteil gleich hinter der großen Wiese, auf der Schilder anmahnen, Hunde an der Leine zu halten, befindet sich besagter Dog Run, eine Art Laufsteg der japanischen Tierliebe. Er ist etwa so groß wie ein halber Fußballplatz. Wer reinwill, muss registriert sein. Es gibt getrennte Areale für große, kleine und ganz kleine Hunde, außerdem diverse Benimmregeln. Aber im Grunde können Tier und Mensch hier eine Auszeit von den Verboten des Alltags nehmen.

Im japanischen Alltag hat der Hund kaum Freiraum

Hunde in Tokio - bei dem Thema lernt man viel über Japans Menschen. Über ihr großes Herz, über ihren Hang zur Ordnung. Die Riesenstadt ist kein besonders guter Ort für Hunde, die ja täglich Auslauf und Beschäftigung brauchen. Die meisten Parks sind klein, liegen weit auseinander, und es gilt eine Leinenpflicht. Nur in den ausgewiesenen Hundegärten dürfen die Hunde frei laufen, teilweise für 1000 Yen, acht Euro, pro Stunde.

"Zum Olympiapark in Komazawa können wir mit dem Auto fahren", sagt Shoji Murozumi, "auch in Shin-Kiba gibt es einen Dog-Run." Aber meistens kommen die Murozumis hierher, in den Yoyogi-Park. Sie wohnen in der Nähe. Sie haben keine Kinder und sind mit Hunden groß geworden, deshalb ist es für sie selbstverständlich, einen zu haben. Auch wenn Japans Gesellschaft nicht besonders tolerant gegenüber Hunden ist. "Es sind schon viele Vorschriften, den Eindruck habe ich auch", sagt Naoko Murozumi.

Japan ist Weltmeister im Vorbeugen. Der Inselstaat bekämpft Störungen, indem er deren Ursachen konsequent beschränkt oder gleich ganz abschafft. Je kleiner der Raum der frei laufenden Hunde, desto kleiner die Zahl der Stadtmenschen, die sie stören können - deshalb die relativ wenigen versprengten Hundegärten. Hunden wird in Tokios Alltag nur wenig Raum geboten, ein Raum zudem, der bis ins kleinste Detail definiert ist. Lucy-Jasmine zum Beispiel wiegt eigentlich zu viel. "In unserem Wohnhaus ist das Gewicht für Hunde auf zehn Kilo limitiert", sagt Shoji Murozumi. Lu-chan - das ist Lucy-Jasmines Kosename - wurde ein Kilo schwerer als geplant. Die Hausverwaltung drückt ein Auge zu, immerhin.

Und dass Kiyoka Kito aus Ikebukuro ihre Dackel Schoko und Matcha im Buggy zum Dog-Run gebracht hat, liegt auch an den Vorschriften. Erstens dürfen Hunde nur S-Bahn fahren, wenn sie sich in einer Box oder eben in einem Wagen befinden. Zweitens dürfen die Hunde nicht einfach so den Aufzug ihres Wohnhauses betreten. "Ich dürfte sie auf den Arm nehmen", sagt Kiyoka Kito, "aber mit zwei Hunden ist das manchmal schwierig."

Tokios Gesundheitsbehörde legt den Hundebesitzenden sogar nahe, mit dem Hund "vor dem Gassigehen zu Hause auf die Toilette zu gehen". Aber so einfach ist das oft nicht. Wer mit dem Hund rausgeht, nimmt deshalb eine eigene Tasche für die Hinterlassenschaften mit. Liegen bleiben dürfen sie natürlich nicht. Und Mülleimer gibt es in Tokio nur wenige nach dem japanischen Vorsorgeprinzip, wonach es ohne Mülleimer auch keinen Müll gibt. Also muss man den Hundedreck mit nach Hause nehmen.

Tokios Tierliebhaber fügen sich und scheinen die Beschränkungen mit Zuwendung wettmachen zu wollen. Hundemode ist verbreitet. Im Dog-Run eilt ein Pudel im gepunkteten Einteiler vorbei.

Am Zaun balgen sich zwei Möpse in Pullovern, ein dritter in Strickjacke kommt dazu. Später wieselt ein Kleinhund im bronzefarbenen Anorak über den Platz.

Nicht alle Hunde haben das Fell für einen kalten Dezembersamstag wie diesen, für sie ist ein Überzieher durchaus ratsam. Aber viele Hundehalter finden das Hundebekleiden einfach nur schön. Und bei den Murozumis geht es um Sauberkeit. Lucy-Jasmine trägt einen karierten Overall mit Bündchen. Ihr Fell fange dadurch nicht so viel Schmutz, erklärt Naoko Murozomi. "Und wir Japaner haben die Gewohnheit, alles vor der Wohnung zu lassen", sagt Shoji Murozumi. Er und Naoko ziehen ihre Schuhe am Eingang aus, Lu-chan schlüpft aus ihrem Beinkleid. So hat alles seine japanische Ordnung.

"Sie denken nur an sich, nicht an die Hunde", knurrt ein älterer Herr, als die Murozumis gegangen sind. Mitsuo Tajiri hat seine unbekleidete Shiba-Dame auf dem Arm und ist stehen geblieben, um ein bisschen zu schimpfen. Hundemode findet er albern. Er ärgert sich über Snobs, die lieber aufs Handy schauen statt auf ihren Hund. "Am Benehmen der Hunde sieht man das Benehmen der Besitzer." Hauptsache, der Stretch-Overall des vierbeinigen Lieblings sitzt. "Es geht um Status." Mitsuo Tajiri könnte noch weiterlästern, aber er wird trotzdem wiederkommen, genauso wie die Murozumis. So viel Freiheit wie im Dog-Run bekommen er und seine Hündin nirgends in Tokio.

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