Süddeutsche Zeitung

Japan:Kinder dürfen blond sein

An den Gymnasien der japanischen Präfektur Mie müssen Schülerinnen und Schüler mit hellen Haaren nicht länger nachweisen, dass die Farbe natürlich ist. Und auch andere haarkleine Regeln sollen abgeschafft werden. Es geht zum Beispiel um Unterwäsche.

Von Thomas Hahn

Es brechen bessere Zeiten an für naturblonde Jugendliche in Mie. An den Gymnasien der japanischen Präfektur wird das Naturhaar-Zertifikat abgeschafft. Schülerinnen und Schüler, die keine schwarzen, glatten Haare haben, müssen nicht mehr nachweisen, dass sie ihre Frisur nicht mit Färbemitteln oder Lockenwicklern verändert haben. Der Sender NHK enthüllte vor zwei Jahren, dass ein Drittel der 54 Gymnasien in Mie dieses Dokument verlangten. Vorbei. Erleichterung. Ein leitender Beamter der Bildungsbehörde in Mie nennt die Abschaffung "in Anbetracht der heutigen Zeit natürlich".

In Anbetracht der heutigen Zeit wäre es möglicherweise sogar natürlich gewesen, wenn es diese Regel nie gegeben hätte. Aber immerhin, es rührt sich was an Japans Schulen. Ihre Macht kommt auf den Prüfstand. Das Frisurengebot ist nämlich nur ein Aspekt ihres Erziehungsstils. Manche Schulen schreiben den Jugendlichen auch vor, welche Farbe ihre Unterwäsche haben soll und welche Form ihre Augenbrauen. Sie verbieten ihnen unter anderem Strickjacken, selbst wenn es kalt ist, in selteneren Fällen auch Sonnencreme, Lippenbalsam, Liebesbeziehungen.

Schwarze Regeln werden die Vorschriften genannt

Schwarze Regeln nennen Kritiker diese schwer begreiflichen Vorschriften. Die Debatte darüber wurde 2017 neu entfacht, nachdem eine 18-Jährige die Präfektur Osaka verklagt hatte. Lehrer hatten sie gezwungen, ihr naturbraunes Haar schwarz zu färben. Yuji Sunaga, Vizepräsident einer Anti-Mobbing-Organisation, und andere Aktivisten gründeten die Initiative "Projekt gegen schwarze Schulregeln", sammelten Unterschriften, machten das Thema groß.

Warum die Strenge? Schwer zu sagen. In den Achtzigerjahren erfasste eine Welle der Gewalt mit Mobbing und Sachbeschädigungen Japans Schulen. Mit strikteren Regeln wollten sie die Ordnung wiederherstellen. Und dabei müssen sich dann im Laufe der Zeit auch ein paar besonders harte Vorschriften ergeben haben, die heute nicht nur Schüler überfordern. Im Online-Magazin Nippon.com hat Yuji Sunaga mal erzählt, dass ihn auch schon Lehrer um Hilfe gebeten hätten, weil sie sagten: "Ich sage den Schülern, sie sollen die Regeln einhalten, kann ihnen aber nicht erklären, warum, weil ich ihren Sinn selbst nicht verstehe."

In Japan entscheiden nicht die Behörden über die Schulregeln, sondern die Schulen selbst. Deshalb sind nicht alle so streng. Aber der Anteil ist wohl immer noch relativ hoch. NHK berichtete im Februar, dass 44,6 Prozent der Gymnasien in Tokio ein Haar-Zertifikat verlangen, teilweise mit Fotos von früher, um sicherzugehen, dass alles natürlich gewachsen ist. Im vergangenen Dezember erregte der Anwälte-Verband in Fukuoka Aufsehen mit dem Ergebnis einer Studie. Demnach schreiben 80 Prozent der städtischen Mittelschulen den Jugendlichen die Farbe ihrer Unterwäsche vor.

Aber es ändert sich ja auch etwas. Zum Beispiel in Mie. Die Gymnasien dort haben nicht nur das Haar-Zertifikat abgeschafft, sondern noch einige Schikanen mehr. Liebesbeziehungen sind seit diesem Schuljahr erlaubt, wo sie verboten waren. Es gilt neuerdings die freie Unterwäschewahl für alle. Für manche Lehrer mag das nach Chaos klingen. Andere nennen das Freiheit.

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