Japan:Ausgeschmuddelt

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Die drei großen japanischen Kiosk-Ketten haben bekannt gegeben, im Sommer 2020 den Verkauf von Pornoheftchen einzustellen. (Foto: AFP)
  • Pornohefte gibt es in Japan in jedem Konbini (konbiniensu sutoa) zu kaufen, so nennt man Japans 24-Stunden-Kioske.
  • Vergangene Woche haben die drei großen Konbini-Ketten bekannt gegeben, im Sommer 2020 den Verkauf von Pornoheftchen einzustellen.
  • Eine Umfrage ergab, dass nur etwas mehr als ein Drittel der Studierenden an Universitäten bereits einmal Geschlechtsverkehr hatten.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Kaum jemand hier schenkt dem nicht mehr ganz jungen Mann Beachtung, niemanden scheint zu interessieren oder gar zu befremden, was er da liest. Der Mann blättert in einem Sadomaso-Heft, übermenschlich pralle Brüste, übertrieben steife Glieder, Handschellen, Peitschen, riesige Schweißtropfen und Schriftzeichen, alles völlig offen und ungeniert, mitten in der U-Bahn.

In Japan wird die gezeichnete Pornografie mit ihren übertriebenen Anatomien sehr oft in der Bahn konsumiert, also in aller Öffentlichkeit. Und in aller Öffentlichkeit sind sie auch zu kaufen, die Pornohefte. In jedem Konbini gibt es sie, so nennt man Japans 24-Stunden-Kioske. Aber damit soll jetzt Schluss sein.

Vergangene Woche haben die drei großen Konbini-Ketten bekannt gegeben, im Hinblick auf die Rugby-Weltmeisterschaft im kommenden Herbst und die Olympischen Spiele im Sommer 2020 würden sie den Verkauf von Pornoheftchen einstellen. Was sollten denn die ausländischen Besucher denken? Zudem sei auch ihre japanische Kundschaft "diverser" geworden.

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Japan hat ein kompliziertes Verhältnis zur Sexualität - und auch zu deren Darstellung. Obwohl es keine Zensur gibt, verbietet das Gesetz den Vertrieb von "unzüchtigem Material" und verlangt, Pornografie müsse zensiert werden. Primäre Geschlechtsorgane sollten gepixelt werden, nicht nur auf Fotos und in den "Pink Films", wie sie vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren gedreht wurden, sondern auch in gezeichneten Mangas.

Kein Interesse an Sex - "viel zu umständlich"

Bis Mitte der 1990er war schon das ungepixelte Abbilden von Schamhaar verboten. Das ignorieren allerdings viele Verleger, und es kommt selten zu Verurteilungen.

Laut Kondomherstellern ist Japan das Land, in dem die Menschen am wenigsten Sex haben, auch die jüngeren. Mehr als die Hälfte der jungen Männer identifizieren sich als herbivor, "Pflanzenfresser". So bezeichnen die Japaner Männer, die überhaupt kein Interesse an Sex haben.

Eine Umfrage der Vereinigung für Sexualerziehung ergab, dass nur etwas mehr als ein Drittel der Studierenden an Universitäten bereits einmal Geschlechtsverkehr hatten. Vor fünfzehn Jahren waren es immerhin noch zwei Drittel. Als Gründe nannten die Befragten das "Fehlen eines passenden Partners". Aber auch, sie hätten einfach keine Lust, sie wüssten nicht, wie. Und: Sex sei "viel zu umständlich".

Die japanische Gesellschaft ist, anders als es das europäische Klischee glaubt, keineswegs übersexualisiert. Vielleicht florieren die Unternehmen, die Sex in Print oder filmisch darstellen, Sex-Ersatz oder virtuellen Sex anbieten, gerade deshalb so sehr.

Sex ohne Schamgefühl - solange es keiner sieht

Die Prostitution ist in Japan zwar verboten (nach dem Krieg rekrutierte die Regierung allerdings freiwillige junge Frauen als Prostituierte für die amerikanischen Soldaten, um die übrigen Japanerinnen zu schützen). In den sogenannten Soaplands, die es in jeder Stadt gibt, wird jedoch jede vorstellbare Art von sexueller Befriedigung verkauft. Nur Geschlechtsverkehr nicht - nicht offiziell. Der Ökonom Takashi Kadokura hat errechnet, die Sexindustrie setze jährlich mehr als 500 Billionen Yen um, etwa vier Milliarden Euro.

Anders als im christlich geprägten Westen ist Sex in Japan nicht mit Schuld verknüpft. Und solange man nicht gesehen wird, auch nicht mit Scham. Was niemand sah, ist nicht geschehen. Die bildliche Darstellung von Sex dagegen hat in Japan tausend Jahre Geschichte: die sogenannten Shunga, künstlerisch oft hochwertige pornografische Holzschnitte, von denen einige in ihren Übertreibungen den heutigen Manga kaum nachstehen. Die Shunga-Prints verschwanden erst in der Meiji-Zeit im späten 19. Jahrhundert nach Japans Öffnung zum Westen aus den Buchläden. Sie wurden von der Regierung unterdrückt.

Etwa zur gleichen Zeit begann die Regierung auch durchzusetzen, dass Männer und Frauen in den öffentlichen Bädern nicht mehr gemeinsam nackt badeten, wie es seit Jahrhunderten üblich war: Was sollten denn die Ausländer denken? Damals kauften Amerikaner zahlreiche Shunga. Einige davon, wahre Meisterwerke, wurden kürzlich erstmals wieder in Tokio gezeigt: als Kulturgut.

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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