Einerseits wüsste Katsuaki Yamamoto schon gerne, wer Ako ist. Als Präsident des Rates für soziale Wohlfahrt von Okuizumo in der japanischen Präfektur Shimane könnte er sich dann endlich persönlich dafür bedanken, dass diese Person, die sich Ako nennt, seiner gemeinnützigen Organisation seit 51 Jahren jeden Monat einen Umschlag mit Bargeld schickt. Es wäre Katsuaki Yamamoto ein wichtiges Anliegen. Erst Ende Oktober stand er bei einer Veranstaltung in der städtischen Mehrzweckhalle, hatte eine offizielle Dankesurkunde in der Hand und ehrte ein Phantom. Das war ein seltsames Gefühl.
Andererseits findet Katsuaki Yamamoto es auch schön, dass keiner weiß, wer Ako ist. Dass dieser geheimnisvolle, beharrliche Mensch sich durch seine Anonymität jedem Lob und jeder Ehrung entzieht. "Dadurch, dass er von sich aus gar nichts will, spürt man diese reine Nächstenliebe von Ako", sagt Katsuaki Yamamoto, "das beeindruckt mich sehr."
Spenden sind wichtig, immer, überall, egal in welcher Höhe. Viele Einrichtungen und Organisationen könnten nicht ohne sie leben. Spenden helfen Opfern von Umweltkatastrophen, Kriegen, Gewalt, Armut. Laut dem Deutschen Spendenrat wurden 2021 allein in Deutschland 5,8 Milliarden Euro gespendet. Und mancher wäre wohl weniger großzügig, wenn er nicht ab und zu über seine Großzügigkeit reden könnte. Es ist keine Schande, auch deshalb zu helfen, weil man sich damit selbst einen Gefallen tun will. Andere wiederum wollen, dass nichts von ihrer Selbstlosigkeit ablenkt. Wie Ako aus Okuizumo.
Am 2. April 1971 erreichte ein Umschlag den damaligen Stadtrat für Sozialhilfe in der Stadt Nita, die damals noch nicht mit Yokota zur heutigen Stadt Okuizumo zusammengelegt worden war. In dem Umschlag befand sich ein 1000-Yen-Schein und ein liniertes Papier, auf dem in sauberen Schriftzeichen stand: "Eine Hilfe für die soziale Wohlfahrt." Sonst nichts. Kein Absender, kein Name, keine Erklärung.
"Mein Name sei bitte Ako"
1000 Yen sind nach aktuellem Kurs 7,15 Euro. Es war also keine große Summe, aber von nun an kam jeden Monat ein weiterer Umschlag mit 1000 Yen. Im November 1971 richtete sich der Rat für soziale Wohlfahrt in seinem Info-Blatt unter der Überschrift "Bitte!!" an die geheimnisvolle Person: Man wolle ihre Spenden in einem Fonds anlegen und hätte gerne einen Namen dafür. "Sie können Ihren Spitznamen, Ihre Initialen oder was auch immer Sie möchten verwenden." Mit dem nächsten Umschlag kam die Antwort. "Mein Name sei bitte Ako."
Es war die erste und letzte Information, die die gute unbekannte Seele gewährte.
Von nun an floss das Geld aus den Umschlägen in den Ako-Fonds, und Ako war damit anscheinend zufrieden. Denn die Zuwendungen wurden höher. Ab August 1972 schickte Ako 2000 Yen. Ab Januar 1973 kamen 3000 Yen, ab Februar des folgenden Jahres 5000. Und seit August 2013 schickt Ako 10 000 Yen. Es gab keinen Monat, in dem kein Geld kam. Der Umschlag für Juni müsste in diesen Tagen kommen.
Okuizumo liegt in Shimanes grünen Bergen, 40 Kilometer auf gewundenen Straßen von der Hauptstadt Matsue entfernt. Fruchtbares Hinterland, viel Ruhe. Es gibt ein Museum für die Technik Tatara zur Eisen-Herstellung. 2019 erklärte das Agrarministerium Okuizumos traditionelle Landwirtschaft zum Agrar-Kulturerbe. Sonst ist wenig los. Ako ist im Grunde die berühmteste Person der Stadt. Dass man sie nicht kennt, hat sie in ganz Japan bekannt gemacht.
Ein dröhnender Bummelzug schleppt sich durch Reisfelder und üppigen Wald, bis hinter einem Tunnel der Blick auf ein kleines Meer zusammengewürfelter Häuser fällt. Ungefähr 11 000 Menschen leben in Okuizumo auf 368 Quadratkilometern. Die Stadt ist klein, aber zu groß und zu weitläufig, als dass hier jeder jeden kennen würde. Ako könnte überall wohnen. In einer der engen Gassen. In den gepflegten Häusern am Fluss Hii gegenüber vom Bahnhof. In den Bauernhöfen an den gefluteten Reisfeld-Terrassen. Oder in der kleinen Siedlung beim Schrein. Es gibt keinen Anhaltspunkt. Katsuaki Yamamoto hielte es auch für keine sehr schlaue Idee, nach einem zu suchen. "Wenn Ako erkannt wird, hört Ako vielleicht auf mit den Spenden", sagt er.
Yamamoto ist 78 Jahre alt, ein ehemaliger Postbeamter, der über die Seniorenprogramme seines früheren Arbeitgebers zur Sozialhilfe fand, ein ruhiger, duldsamer Mann. Okuizumo schrumpft und altert wie alle japanischen Kleinstädte. Yamamoto macht kein Drama draus. Aber Akos Spenden redet er nicht klein. Japans Sozialstaat ist sparsam. Nach internationalen Statistiken spendet man in Japan auch weniger als anderswo. Ako sticht heraus. "Diese kontinuierliche Zuwendung ist nicht normal", sagt Katsuaki Yamamoto, "wir können Ako gar nicht genug danken."
Knapp 3,5 Millionen Yen (25 000 Euro) hat Ako insgesamt schon gespendet. Der Rat für soziale Wohlfahrt hat mit dem Geld Blumenschmuck für örtliche Schulen finanziert und 2009 einen Kleinbus, um die Alten der Stadt zum Seniorentreff zu bringen. Was mit Akos Geld als Nächstes passieren soll? "Steht noch nicht fest", sagt Katsuaki Yamamoto. Ako selbst macht keine Vorschläge, natürlich nicht. Dieser großzügige Mensch bleibt ein Rätsel.
"Vielleicht ist Ako schon in Rente oder sehr, sehr alt", sagt Katsuaki Yamamoto, "oder es hat einen Generationenwechsel gegeben. Vielleicht ist Ako gar nicht mehr die Ako von damals." Nur eines ist klar: Außer der Genugtuung, unerkannt Gutes zu tun, bekommt Ako nichts zurück. Die Dankesurkunde, die Katsuaki Yamamoto Ende Oktober nicht überreichen konnte, war insgesamt schon die siebte, die Ako nicht entgegennahm. Und im Rat für soziale Wohlfahrt weiß keiner, wo man eine Quittung hinschicken könnte. Ako kann ihre Spenden also nicht einmal von der Steuer absetzen.