Süddeutsche Zeitung

Japan nach der Atomkatastrophe:Kernschmelze in drei Reaktoren befürchtet

Die Schreckensmeldungen aus Japan reißen nicht ab: Das Ausmaß der Katastrophe im Krisen-AKW Fukushima ist offenbar weit größer als bisher angenommen. Laut Betreiber Tepco ist nicht nur Reaktor 1 von einer Kernschmelze betroffen - auch in Reaktor 2 und 3 haben sich die Brennstäbe teilweise verflüssigt.

Der Atomkraftbetreiber Tepco irritiert mit seiner Informationspolitik. Häufig meldeten Sprecher des Unternehmens, dass man nicht so genau wisse, was in Fukushima-1 wirklich vor sich geht. Nun melden sie wieder den Super-GAU: Die Brennstäbe in zwei weiteren Reaktoren des havarierten japanischen Kernkraftwerks seien wahrscheinlich größtenteils geschmolzen.

Bislang war nur von einer Kernschmelze in Reaktor 1 die Rede. Atomexperten hatten aber schon früher vermutet, dass es auch in den anderen Reaktorblöcken eine teilweise Kernschmelze gegeben habe. Ein Unternehmenssprecher sagte, Tepco glaube, dass bereits in den Tagen, nachdem das Erdbeben und der Tsunami am 11. März die Kühlsysteme außer Betrieb gesetzt haben, die meisten Brennstäbe in den Reaktoren geschmolzen seien.

In der vergangenen Woche hatte Tepco eine Kernschmelze in einem Reaktor gemeldet. Nach den nun veröffentlichten Angaben haben in mindestens drei Reaktoren weitgehende Kernschmelzen stattgefunden. Wie der Betreiber weiter mitteilte, dürfte in Reaktor 2 und 3 der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben geschmolzen und auf den Boden der Druckbehälter gelaufen sein. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass dies die Krise verschlimmere, da die Brennstäbe seitdem mit Wasser bedeckt und wieder gekühlt wurden, hieß es.

Insgesamt verfügt die Anlage am Pazifik über sechs Reaktoren. In dem Kraftwerk versuchen Arbeiter noch immer, Strahlenlecks zu schließen und die Kontrolle wiederzuerlangen. Durch das Beben und den anschließenden Tsunami waren Teile der Anlage zerstört worden, vor allem das Kühlsystem. Seither tritt Radioaktivität aus.

"Wir wissen nicht, was kommt"

Unterdessen teilte Industrieminister Banri Kaieda mit, dass die Regierung ein unabhängiges Gremium zur Untersuchung der größten Atomkatastrophe seit dem Reaktorunglück von Tschernobyl einberufen wird. Der zehnköpfigen Kommission, die noch bis Ende des Monats mit der Arbeit beginnen soll, würden neben Atomexperten auch Juristen angehören. Neben einer Untersuchung der Ursachen für das Fukushima-Desaster sollen es auch um Möglichkeiten gehen, solche Katastrophen in der Zukunft zu verhindern.

Aber auch die Gefahr am havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi ist nach Einschätzung von UN-Strahlenexperten noch lange nicht gebannt. "Die Notfallsituation ist noch nicht vorbei", sagte Wolfgang Weiss, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Ausschusses der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR). Die bisher ausgetretene Radioaktivität könne man in den Griff kriegen, sagte Weiss.

"Aber wir wissen nicht, was kommt. Man erwartet in diesem Jahr noch zwei Erdbeben mit der Stärke acht. Kein Mensch weiß, ob die Bausubstanz, die nun mürbe ist, das übersteht." Damit könnten neue Probleme aufkommen, sagte Weiss. "Die gute Nachricht ist, dass die Restwärme sinkt und mit jedem Tag die kurzlebigen Radionuklide zerfallen."

UNSCEAR will in Zusammenarbeit mit Behörden vor Ort und unabhängigen Institutionen die Folgen des Austritts von Radioaktivität in der zerstörten Anlage wissenschaftlich untersuchen. Ein vorläufiger Bericht soll in einem Jahr vorgelegt werden. "Wir brauchen Zeit", sagte Weiss. "Die Beurteilung wird zunächst sehr vage sein." Eine abschließende Einschätzung der Strahlenbelastung werde mindestens zwei Jahre dauern. Es soll auch untersucht werden, in welchem Ausmaß die Bevölkerung betroffen ist.

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