Bald nach dem Microblog des US-Botschafters Rahm Emanuel wurde in Tokio zurückgetwittert. Und zwar von Masamune Wada, einem Oberhaus-Abgeordneten aus Japans Regierungspartei LDP. "Wenn Botschafter Emanuel seine Position als Botschafter in Japan irgendwie dazu nutzen will, Japan zu beeinflussen", schrieb Wada, "werden wir unmittelbare Maßnahmen ergreifen, ihn zurück in sein Land zu bringen." Was hatte der Amerikaner getan? Zum Putsch aufgerufen? Eine Hamburger-Pflicht für Nippons Schulen gefordert? Beides falsch. Rahm Emanuel hatte in seinem Twitter-Beitrag mit 14 anderen Botschafterinnen und Botschaftern erklärt: "Wir unterstützen universelle Menschenrechte für alle, wir unterstützen LGBTQI+-Gemeinden und wir sind gegen Diskriminierung."
Schon erstaunlich, wie leicht mancher Elitepolitiker in Japan aus der Fassung gerät, wenn es um Standards des gesellschaftlichen Fortschritts geht. Der Inselstaat sitzt dieses Jahr der Gruppe der sieben bedeutendsten Demokratien vor. Vergangenes Wochenende hat er in Hiroshima einen G-7-Gipfel mit Bekenntnissen für geregelten Freihandel und gegen Russlands Angriffskrieg veranstaltet. Da war Japan eins mit dem Westen. Aber oft ist es auch ganz anders. Denn auch wenn Japan mit seinen Hochhauswäldern und seiner Roboterbegeisterung supermodern wirkt - innenpolitisch ist vieles von gestern.
Twitter-Botschaft plädiert indirekt für Homo-Ehe in Japan
Fachorganisationen benennen Defizite bei Gleichstellung und Pressefreiheit. Japan ist das einzige G-7-Mitglied ohne gemeinsames Sorgerecht von Eltern. Und dass der LDP-Mann Wada so sauer auf den US-Botschafter war, lag wohl vor allem daran, dass Emanuels Twitter-Botschaft indirekt für die Einführung der Homo-Ehe warb. Japan ist auch das einzige G-7-Mitglied, in dem es diese nicht gibt.
Japan ist nicht grundsätzlich intolerant. Gerade in Tokio gibt es eine lebendige Szene lesbischer, schwuler, bisexueller, transsexueller, transgender, queerer, intersexueller und asexueller Menschen. Comics über homosexuelle Liebe sind ein Genre der Manga-Kunst. Umfragen zeigen über 70 Prozent Zustimmung für die Homo-Ehe. Aber der rechte Einfluss ist eben groß. Im Februar musste Premier Fumio Kishida den Spitzenbürokraten Masayoshi Arai feuern, weil herausgekommen war, dass dieser gesagt hatte, er würde nicht neben einem LGBTQI+-Paar leben wollen.
"Es sollte keine unfaire Diskriminierung geben."
Selbst der Gesetzentwurf zum Schutz sexueller Minderheiten, den die Regierungskoalition kurz vor dem G-7-Gipfel dem Parlament vorlegte, zeigt das konservative Unbehagen. Der Entwurf war in Abstimmung mit der Opposition im Grunde schon 2021 fertig. Aber weil die Rechtsradikalen in der LDP ihn ablehnten, wurde sein Wortlaut noch mal parteiintern diskutiert. "Diskriminierung ist inakzeptabel" stand etwa im vorigen Entwurf, jetzt steht da: "Es sollte keine unfaire Diskriminierung geben."
Wie eine faire Diskriminierung aussehen könnte, darauf gibt der Entwurf keine Hinweise. Will die LDP Homophobe schützen? Der Abgeordnete Wada ist jedenfalls gegen den Trend zur Toleranz, sonst hätte er nicht so wütend auf den Regenbogen-Tweet des US-Botschafters reagiert. Und er ist nicht allein. Für Wadas Kritik an Emanuels Aufruf für die Rechte sexueller Minderheiten gab es über 27 000 Likes.