Japan:Experte: Tonnen Salz über den Brennstäben

Nachdem drei Arbeiter verstrahlt wurden, müssen die Techniker das havarierte AKW in Fukushima wieder verlassen. Es wird zudem befürchtet, dass durch den Einsatz von Meerwasser sich eine gigantische Salzschicht in den Reaktoren gebildet haben könnte - das würde eine Kühlung in Zukunft unmöglich machen.

Nachdem bekannt wurde, dass drei Arbeiter während ihres Einsatzes im Krisen-Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi verstrahlt wurden, hat die Betreiberfirma Tepco einige Arbeiter von Block 3 abgezogen. Tepco habe Arbeiter im Erdgeschoss und Untergeschoss des Reaktors angewiesen, sich in Sicherheit zu bringen, meldete die japanische Nachrichtenagentur Kyodo.

Smoke rises from the nuclear reactors of Fukushima Daiichi nuclear power plant in Tomioka, Fukushima prefecture, northeastern Japan,

Das japanische Fernsehen zeigte am Donnerstagmorgen Bilder, wie erneut weißer Rauch über dem havarierten AKW Fukushima-1 aufsteigt.

(Foto: Reuters)

Am Donnerstagmorgen erst waren die Einsatzkräfte nach halbtägiger Unterbrechung in den Reaktor zurückgekehrt, um das Pump- und Kühlsystem wieder in Gang zu setzen. Zuvor waren die Arbeiten unterbrochen worden, nachdem schwarzer Rauch aus Reaktorblock 3 aufstieg. Im Kontrollraum von Block 1 konnte die Beleuchtung instand gesetzt werden.

Und wieder kommen beunruhigende Bilder aus Fukushima-1. Fernsehberichte zeigten am Donnerstagmorgen weißen Dampf über den Reaktorblöcken 1, 2 und 4. Es sei das erste Mal, dass dies auch bei Block 1 beobachtet werde, berichtete der Sender NHK. In diesem Reaktor kam es am 12. März - einen Tag nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe - zu einer Wasserstoffexplosion, bei der das Reaktorgebäude erheblich beschädigt wurde.

Der Dampf über Reaktorblock 4 deutet auf eine Überhitzung des Abklingbeckens für abgebrannte Kernbrennstäbe hin. Dieser Reaktor war bereits vor dem Erdbeben zu Wartungszwecken abgeschaltet worden. Gleichwohl kam es dort am 15. März zu einer Explosion und einem Brand.

Zum Austritt des Dampfes sagte Regierungssprecher Yukio Edano nach den Worten der Dolmetscherin des Fernsehsenders NHK: "Das ist nur natürlich."

Regierungssprecher: Rauch ist "nur natürlich"

Unterdessen traten auch Probleme in dem ansonsten unkritischen Reaktorblock 5 auf. Das Pumpsystem des Reaktors sei defekt, sodass die Kühlung ausgefallen sei, sagte Hidehiko Nishiyama von der japanischen Atomsicherheitsbehörde (NISA) auf einer Pressekonferenz. Die Situation sei momentan stabil, es müsse aber mit steigenden Temperaturen sowohl im Reaktor als auch im Abklingbecken für abgebrannte Kernbrennstäbe gerechnet werden. Es sei geplant, die Pumpe möglichst bald zu reparieren.

Die Entwicklung der Hitze macht nach Behördenangaben eine weitere Kühlung mit Meerwasser von außen erforderlich. An Block 2 habe dieser Einsatz bereits begonnen, sagte Nishiyama. Erst wenn das Pumpsystem der Reaktorblöcke wieder ans Stromnetz angeschlossen ist, kann die reguläre Kühlung mit Süßwasser über die in den Reaktorkern führende Hauptkühlleitung aufgenommen werden.

In den USA warnte der ehemalige Reaktorsicherheitschef des Konzerns General Electric, dass sich bei der Kühlung mit Meerwasser große Mengen Salz ansammelten. Dies könne die Brennstäbe verkrusten und damit die Wasserkühlung blockieren, sagte Richard Lahey der Zeitung New York Times. Lahey schätzte, dass sich im Reaktorblock 1 etwa 26 Tonnen Salz angesammelt haben könnten, in den größeren Blöcken 2 und 3 sogar jeweils 45 Tonnen. General Electric hat das grundlegende Design der Siedewasserreaktoren in Fukushima-1 entwickelt.

Der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, glaubt nicht an Fortschritte in Fukushima-1. "Es wird - böse gesagt - gefummelt. Man probiert dies und das, um etwas zu machen, aber wirklich schlagkräftige Lösungen sind bisher nicht erkennbar", sagte Pflugbeil. Die Probleme würden verzögert, aber keinesfalls gelöst.

Das Wetter macht Hoffnung

Zur radioaktiven Verstrahlung von Lebensmitteln sagte Regierungssprecher Edano, leider breite sich diese Folge des AKW-Unglücks weiter aus. Die am Mittwoch in Tokio verbreitete Aufforderung, Kindern unter einem Jahr kein Leitungswasser mehr zu geben, sei eine reine Vorsichtsmaßnahme und gelte allein für Babys. Für alle anderen sei das Leitungswasser unbedenklich.

Indes meldete die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstagmorgen unter Berufung auf einen Vertreter der städtischen Behörden, die Belastung des Trinkwassers mit radioaktivem Jod sei in der japanischen Hauptstadt wieder unter den Grenzwert für Neugeborene gefallen. Bei einer neuen Untersuchung des Wassers seien deutlich verbesserte Werte festgestellt worden

Nach der Warnung vom Mittwoch gab es in den Geschäften in Tokio kaum noch in Flaschen abgefülltes Wasser. Die Stadtverwaltung von Tokio kündigte an, abgefülltes Wasser für Familien mit Kindern unter zwölf Monaten bereitzustellen. Etwa 80.000 Haushalte sollen mit Wasser in 3,5-Liter-Flaschen versorgt werden, wie der Fernsehsender NHK berichtete. Die Behörden riefen Mineralwasser-Abfüllunternehmen dazu auf, ihre Produktion hochzufahren.

Meterologen machen Hoffnung für Tokio

Der Wind an der Ostküste bei Fukushima wehte am Mittwoch zunächst von Nord nach Süd, also in Richtung der 230 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio. Die Meteorologen sagten voraus, dass der Wind später wieder auf Ost drehen werde, sodass radioaktive Partikel aufs offene Meer getragen würden.

Fast zwei Wochen nach der Naturkatastrophe in Japan ist die wichtigste Autobahn in der betroffenen Region wieder für den öffentlichen Verkehr freigegeben worden. Die Tohoku-Schnellstraße konnte nach dem Erdbeben vom 11. März nur mit Sondererlaubnis genutzt werden. Jetzt sei die Autobahn wieder geöffnet worden, damit die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau auf breiter Front in Gang kommen, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Die japanische Hauptinsel Honshu wurde am Donnerstag erneut von einem Erdbeben erschüttert worden. Das Zentrum des Erdstoßes der Stärke 4,9 lag in der Präfektur Ibaraki, südlich der Präfektur Fukushima und 58 Kilometer nordöstlich von Tokio, wie der staatliche japanische Wetterdienst mitteilte. Eine Tsunami-Warnung wurde nicht ausgegeben.

Am 11. März kamen bei dem Beben der Stärke 9,0 und dem anschließenden Tsunami nach offiziellen Angaben mindestens 9523 Menschen ums Leben. Landesweit werden noch immer 16.094 Menschen vermisst.

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