Süddeutsche Zeitung

Japan:Der 19. Taifun

Sturm "Hagibis" tötet auf der japanischen Hauptinsel Honshu mehr als 30 Menschen. Vor allem in der Präfektur Fukushima werden böse Erinnerungen wach.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am nächsten Tag sah der Himmel über Tokio wieder so aus, als hätte es nie einen Taifun namens Hagibis gegeben. Makelloser Himmel, Sonnenschein. Aber der Region auf der japanischen Hauptinsel Honshu war anzusehen, dass der Wirbelsturm mit zerstörerischer Kraft darüber hinweggefegt war. Überschwemmungen und Erdrutsche waren die Folge. Am Sonntagabend berichteten Medien, dass bei dem Unwetter 33 Menschen ums Leben gekommen seien, 19 würden vermisst. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NHK war von 166 Verletzten die Rede.

Hagibis war der 19. Taifun, der Japan in diesem Jahr traf, und er war besonders stark. Schon bevor er am Samstagabend den Süden Honshus erreichte, hieß es, er sei der stärkste Taifun seit Jahrzehnten. Die Bevölkerung war gewarnt. Den leeren Lebensmittelregalen in den Supermärkten konnte man ansehen, dass sich die Menschen darauf einstellten, in ihren Wohnungen zu bleiben. Viele Zuglinien stellten ihren Betrieb ein, Geschäfte machten dicht. Und bei der Rugby-WM, die gerade in Japan stattfindet, wurden die Samstagsspiele in Yokohama und Toyota frühzeitig gestrichen. Die Behörden hatten Bürgerinnen und Bürger streng gebeten, "zu tun, was immer notwendig ist, um Ihre Überlebenschancen zu erhöhen". Und mit Sicherheit hätte es mehr Opfer gegeben, wenn Menschen und Betriebe die Warnungen nicht so konsequent befolgt hätten.

Denn der Taifun fegte tatsächlich mit erbarmungsloser Kraft über das Land. Der Wind erreichte Geschwindigkeiten bis zu 144 Kilometer pro Stunde, dazu kam Regen wie aus Eimern. Flüsse traten über die Ufer, Deiche brachen. Manche Wehre mussten ihre Schleusen öffnen, um dem Druck des Wassers nachzugeben. Städte in den Präfekturen Nagano, Niigata, Miyagi, Fukushima, Ibaraki, Kanagawa und Saitama wurden überschwemmt, Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Die Behörden sprachen im Laufe des Samstags immer wieder neue Warnungen aus, um sicherzugehen, dass sich vor allem alte Menschen rechtzeitig vor den Fluten in Sicherheit bringen. Feuerwehrleute und Soldaten mussten Menschen mit dem Helikopter retten, weil das Wasser ihre Häuser einschloss. Der Sturm war so stark, dass im Hafen von Tokio ein Frachter aus Panama sank. Zwei Seeleute kamen ums Leben.

Mehrere Säcke mit tonnenweise verstrahltem Müll - einfach hinweggespült

Japanerinnen und Japaner sind Naturkatastrophen gewohnt, weil ihr Inselstaat gerade in den vergangenen 20 Jahren immer wieder schweren Unwettern und Erdbeben ausgesetzt war. Vielleicht sind sie auch deshalb so diszipliniert bei Krisen wie diesen. Eine schwere Belastung war Hagibis trotzdem für sie. Was bringt die Gewohnheit in dem Augenblick, in dem der Sturm am Haus rüttelt und die Flut den eigenen Grund zerstört? Vor allem bei den Menschen an der Ostküste, die im März 2011 die schweren Zerstörungen durch das Große Ostjapan-Erdbeben mit Tsunami ertragen mussten, dürften böse Erinnerungen wach geworden sein. In Tamura, Präfektur Fukushima, wurde eine unbestimmte Zahl von Säcken mit verstrahltem Müll aus einem vorübergehenden Lager weggespült; das Material stammt aus dem Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, in dem der Tsunami vor achteinhalb Jahren eine dreifache Kernschmelze auslöste. Die Stadt teilte der Japan Times am Samstagabend mit, dass sechs der eine Tonne schweren Säcke geborgen worden seien. Es bestehe keine Gefahr für die Öffentlichkeit.

Im Vergleich zum Tsunami von 2011 war der Taifun Hagibis eher eine kleine schlimme Erfahrung. Aber gerade der Vorfall mit den kontaminierten Säcken zeigt, dass das eine Unglück die Schäden des vorigen wieder aufwirbeln kann. Und natürlich fragen sich viele Japaner in Zeiten des Klimawandels, ob sie in Zukunft häufiger mit so schweren Taifunen wie Hagibis rechnen müssen.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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