Japan:"Das alte Denken ist weit verbreitet"

Lesezeit: 3 Min.

Problem "Matahara": In Japan leiden Schwangere immer wieder unter Schikanen. (Foto: Mauritius)

Entlassen, beschimpft, beurlaubt: Schwangere sind in Japan immer wieder Drangsalierungen ausgesetzt. Ein Netzwerk bietet "Matahara"-Opfern Hilfe an.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die Verkäuferin Hiroko Miyashita wusste noch gar nicht, dass sie schwanger war, als sie als Notfall ins Krankenhaus gebracht wurde. Das Spital informierte ihren Arbeitgeber, der Filialleiter ließ ihr ausrichten, sie werde nicht mehr gebraucht. Seine Begründung: Er könne keine Schwangere im Laden beschäftigen, das irritiere die Kunden. Es könnte ja sogar sein, dass sie ihr Baby während der Arbeit verliere. "Ich konnte nicht mehr essen, nichts mehr trinken und nicht mehr lächeln", erinnert sich Miyashita. Sie wehrte sich, zumal sie das Gesetz auf ihrer Seite wusste. Aber der Filialleiter behauptete, für sein Geschäft gelte das Gesetz nicht. Die Kündigung erhielt sie vom Hauptsitz der Firma per Post.

Die Geschichte von Hiroko Miyashita liegt 15 Jahre zurück, inzwischen nehmen die Gesetze in Japan schwangere Arbeitnehmerinnen deutlich mehr in Schutz. Aber Gesetze werden in Japan flexibel ausgelegt; oft zugunsten des Stärkeren.

Miyashita reichte damals Klage ein, ihr Mann hatte die abfälligen Sprüche des Filialleiters auf Band aufgenommen. Doch selbst davon ließ sich die Firma nicht abschrecken. Sie belästigte Miyashita auch während des Verfahrens noch, um sie zur Aufgabe zu überreden. Miyashita gewann, damals war das eine große Überraschung. Doch trotz ihrem juristischen Sieg leidet sie bis heute an der Kränkung und den seelischen Verletzungen.

In Japan nennt man die Diskriminierung und Schikanierung Schwangerer und junger Mütter "Matahara". Die Soziologin Hiromi Sugiura hat den Begriff kreiert, eine Kurzform des englischen "Maternity Harassment" (Drangsalierung von Müttern). "Als mir das geschah, gab es das Wort noch gar nicht", sagt Miyashita. Inzwischen steht es sogar im Gesetz. Geändert habe sich im Alltag wenig, sagt sie, Schwangere würden noch immer belästigt. "Ich dachte schon damals, ich wolle andern Frauen helfen, die auch schikaniert werden. Doch in vielen Firmen ist die Mentalität noch die gleiche." Obwohl sich die japanische Regierung mehr Geburten wünscht, werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Unternehmen Schwangere vor die Wahl stellen: Abtreibung oder Kündigung. Es gibt auch Firmen, die meinen, liberaler zu sein und junge Frauen auffordern, ihre Kinderpläne bitte im Team so zu koordinieren, dass jeweils immer nur eine schwanger sei.

Bis heute halten viele Japaner das Modell, wonach der Vater arbeitet, das Haus früh verlässt und spät abends nach Hause kommt, während sich die Mutter ganz um die Kinder kümmert, für die traditionelle japanische Familienstruktur. Viele wissen nicht, dass ihr Land dieses Modell erst im 19. Jahrhundert aus Preußen importiert hat. Durchgesetzt hat es sich in den Nachkriegsjahren. Seither wird von Frauen erwartet, dass sie, wenn sie heiraten oder spätestens, wenn sie schwanger werden, ihre Stelle kündigen - und sich später, wenn die Kinder in die Schule gehen, mit einem Hilfsjob begnügen. Auch Frauen mit Hochschulbildung landen so an einer Kasse im Supermarkt. Und wer sich nicht an solche sozialen Normen hält, riskiert in Japan, belästigt zu werden.

In den vergangenen drei Jahren holten sich hier mehr als 300 Frauen Rat

Vor drei Jahren schlossen sich deshalb einige Opfer von Matahara zusammen. Geführt von der mediengewandten Sayaka Osakabe, die wegen Mobbings zwei Kinder durch Spontanaborte verlor, gründeten sie "Matahara-Net". Das Netz bietet Opfern Hilfe an. Miyashita und vier weitere Frauen, die alle einst selber gemobbt wurden, helfen per Mail und am Telefon. In den vergangenen drei Jahren holten sich mehr als 300 Frauen bei ihnen Rat. "Es melden sich immer mehr Opfer", sagt Miyashita. "Ich hoffe, das ist so, weil unser Hilfsangebot immer bekannter wird. Nicht, weil es immer mehr Fälle gibt." Die Ratgeberinnen trösten die Frauen, beraten sie, wenn nötig kontaktieren sie den Arbeitgeber und versuchen, die Opfer beim Verhandeln zu unterstützen. "Viele Schwangere fühlen sich machtlos, sie können nicht kämpfen, manche suchen die Schuld bei sich selbst." Wenn Verhandeln nicht hilft, unterstützt Matahara-Net die Frauen auch beim Gang vor Gericht.

Ob es was bringt? Vor zwei Jahren erst verweigerte Japan Airlines einer schwangeren Flugbegleiterin den Wechsel in den Bodendienst und zwang sie in den unbezahltem Urlaub. Die Frau klagte vor Gericht, es kam zum Vergleich, die Airline musste zahlen. Als die 31-jährige Takako Suzuki, eine Parlaments-Abgeordnete und die Tochter des mächtigsten Politikers in Hokkaido, im Juli wiederum ihre Schwangerschaft bekannt gab, bombardierten Wähler sie im Internet mit Rücktrittsforderungen. Sie könne nicht gleichzeitig schwanger und Politikerin sein, meinte man. Und Ex-Gesundheitsminister Yoichi Masuzoe, bis vor anderthalb Jahren Bürgermeister von Tokio, schrieb einmal, Frauen seien für die Politik ungeeignet, da sie während der Menstruationstage die Kontrolle über sich verlieren würden. "Das alte Denken ist eben weit verbreitet", seufzt Hiroko Miyashita, "vor allem unter Männern." Aber Schwangere würden auch von Frauen belästigt, zum Beispiel von Kolleginnen, wenn diese mehr arbeiten müssen, um eine werdende Mutter zu schonen. Aus der Provinz erreichen Matahara-Net Hilferufe von Schwangeren, die von der eigenen Familie geplagt werden, weil sie weiter arbeiten wollen statt zum Beispiel ihre greisen Schwiegereltern zu pflegen, was bisher die soziale Norm im Land ist.

Matahara ist kein isoliertes Problem. In Japan sterben jedes Jahr Leute an "Karoshi", Tod durch Überarbeiten, weil sie von ihren Chefs über lange Zeit zu hundert und mehr Überstunden monatlich gezwungen wurden. Dabei verfügt Nippon eigentlich über gute Arbeitsschutz- und Gleichstellungsgesetze, nur werden sie viel zu oft ignoriert. Daran hat auch Premier Shinzo Abes Frauenförderprogramm "Womenomics" wenig geändert. "Davon profitieren höchstens die oberen Etagen", sagt Miyashita.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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