Konstanzer Konzil:Göttlicher Sündenpfuhl am Bodensee

Richental-Chronik 1464, Gebhard Dacher, Jan Hus auf dem Scheiterhaufen Konzil in Konstanz

Hinrichtung in Konstanz: Der radikale Theologe Jan Hus predigte Armut, rüttelte damit kräftig am Thron der Mächtigen - und landete prompt, wie die Abbildung aus der Richental-Chronik von 1464 zeigt, während des Konzils auf dem Scheiterhaufen.

(Foto: Nationalbibliothek Prag)

Drei Päpste sind zu viel, aus diesem Grund fand 1414 das Konstanzer Konzil statt. Es dauerte vier Jahre, 70 000 Besucher und 800 Huren kamen in die 7000-Einwohner-Stadt, die Geschäfte florierten und der Reformator Jan Hus endete auf dem Scheiterhaufen.

Von Rudolf Neumaier

Ein Konzil im Mittelalter muss man sich vorstellen wie eine Mischung aus Konklave und Oktoberfest. Aus UN-Versammlung und Kunsthandwerksmesse. Aus Bankengipfel und Gelehrtensymposium und Weltausstellung. Ein gottesfürchtiger Sündenpfuhl, das war es. Konstanz, wohl schon damals eher beschaulich als hektisch, war plötzlich der Mittelpunkt der Welt, als im Jahr 1414 das Konzil begann. Es dauerte vier Jahre. Ein gigantischer Rummel beherrschte die Stadt, und als er vorbei war, kam als Strafe Gottes eine gigantische Seuche über sie. Die Pest. Wen wundert's?

Das Konzil von Konstanz steht in den Geschichtsbüchern, weil es das Abendländische Schisma der Kirche beendete: Zu seinem Beginn gab es drei konkurrierende Päpste, am Ende wieder einen. Die großartige Ausstellung des Badischen Landesmuseums geht jedoch weit über dieses historische Politikum hinaus, sie leuchtet die wesentlich vielfältigeren Facetten dieser Kirchenversammlung ebenso aus, wie sie dem Geist der Zeit nachspürt. Es war, wie der Untertitel sagt, ein "Weltereignis des Mittelalters", mit allem, was dazugehört.

Kirchenpolitik war Weltpolitik

Museumschef Harald Siebenmorgen hat einen großen Teil seiner Belegschaft um die Kuratorin Karin Stober aus dem Karlsruher Stammhaus auf Dienstreise an den Bodensee geschickt. Schauplatz der Ausstellung ist das historische Gebäude, das in Konstanz heute noch Konzil heißt. Und hier genau das Stockwerk, in dem im November 1417 die Zellen für das Konklave eingerichtet wurden, das den Einheitspapst wählte.

Kirchenpolitik war Weltpolitik. Und umgekehrt. Sigismund von Luxemburg, König seit 1411, brauchte eine starke Kirche hinter sich, um die große Bedrohung aus dem Osten zu bekämpfen: die Osmanen. Solange es drei Päpste gab, einen in Italien, einen in Frankreich, einen in Spanien, war nicht nur die Kirche geschwächt, sondern das gesamte christliche Reich. Deshalb berief Sigismund das erste und bislang letzte Konzil nördlich der Alpen ein, bei dem ein Papst gewählt wurde. Die Teilnehmer reisten aus allen Winkeln der Christenwelt herbei, aus Nowgorod und Valencia, aus Äthiopien und England. Ähnlich vielfältig ist die Provenienz der 350 Exponate.

Von den drei Päpsten erschien nur einer auf dem Konzil und eröffnete es auch, Johannes XXIII. - nicht zu verwechseln mit dem Johannes XXIII., der an diesem Sonntag heiliggesprochen wurde. Der Dreiundzwanzigste aus dem 15. Jahrhundert wurde auf dem Konzil abgesetzt und landete später auf der Liste der Gegenpäpste, die Nummer 23 wurde wieder frei. Die Chronisten taten alles, um ihn als Scheusal darzustellen. Als Stallknecht verkleidet soll er aus der Stadt geflohen sein - was für ein jämmerlicher Abgang für einen Pontifex maximus.

Es ging um Glauben - und Geld

Allerdings hat die Geistesgeschichte dieser Demission einen entscheidenden Schub zu verdanken. Wäre Johannes' persönlicher Assistent Poggio Bracciolini nicht plötzlich arbeitslos geworden, hätte er keine Zeit gefunden für eine ausgedehnte Recherchetour durch die Klosterbibliotheken, in denen er verschollene Schriften aus der Antike aufstöberte. Mit Lukrez' "De rerum natura" zum Beispiel wurde dem christlichen Weltbild die Grundlage entzogen, ein Skandal. Für die Architekten seiner Zeit grub Bracciolini Handschriften des antiken Baumeisters Vitruv aus.

Selbstverständlich ging es um Glaubensfragen beim Konzil, aber genauso ging es ums Geld. In Konstanz tummelten sich die Manager sämtlicher florentinischer Geldinstitute, die zu dieser Zeit das europäische Bankenwesen beherrschten - und ein symbiotisches Verhältnis zur Kirche pflegten.

Die Asche von Jan Hus wurde verstreut - ein Stück Mantel überdauerte die Zeit

Ohne den Bankier Giovanni di Bicci de Medici wäre Johannes XXIII. niemals Papst geworden, heißt es im Aufsatzband zur Ausstellung, und Medici wäre ohne Johannes nicht zum reichsten Bankier seiner Zeit aufgestiegen. Johannes' Absetzung konnte selbst der Medici nicht verhindern, König Sigismund musste aber sein ganzes diplomatisches Geschick aufwenden, um die Banker von einem abrupten Abbruch ihrer Konstanzer Geschäfte abzubringen.

600 Jahre Konstanzer Konzil

Das "Konzil" in Konstanz, in dem die Papstwahl stattgefunden hat.

(Foto: dpa)

Hätten die Banken den Geldhahn zugedreht, wäre die Veranstaltung vorbei gewesen. Man kann davon ausgehen, dass sie die Wahl Oddo Colonnas im November 1417 zumindest billigten. Dieser neue Papst, der sich Martin V. nannte, war noch nicht mal zum Priester geweiht. Solche Wahlen waren nicht ungewöhnlich, Hauptsache, die Herkunft des Kandidaten gewährleistete eine Kontinuität im Amt - also auch eine Kontinuität alter Symbiosen. Oddo Colonna stammte aus einflussreichem römischem Adel.

Die Konzilsteilnehmer brauchten Unsummen an Geld, allein um sich gebührend zu repräsentieren. Wenn der eine Bischof mit perlenbesetzter Mitra auftrat, konnte der nächste keinesfalls billiger daherkommen. Die Ausstellung zeigt viel von dem Protz und Prunk, mit dem um Ansehen konkurriert wurde. Das Kunstgewerbe prosperierte.

Blühendes Sexgewerbe

Und mindestens im selben Maß blühte das Sexgewerbe. Das späte Mittelalter war eine vergleichsweise freizügige Zeit. Einerseits entwickelte sich zwar Kunst, die auf eine Frömmigkeit ihrer Schöpfer und ihrer Rezipienten schließen lässt. Doch andererseits prägten Phallus- und Vulvadarstellungen die Alltagskunst - auch solche Gegenstände sind zu sehen. Man konnte wie Enea Silvio Piccolomini in jüngeren Jahren pornografische Schriften verfassen und dennoch später Papst werden. Während des Konzils, als die 7000-Einwohner-Stadt bis zu 70 000 Bewohner zählte, arbeiteten hier mehr als 800 Prostituierte.

Wie die Statue einer Hübschlerin aus Straßburg, der "Münsterschwalbe", erkennen lässt, warben die Frauen mit entblößter Brust um Freier. Es klingt doppeldeutig, was der Minnesänger Oswald von Wolkenstein über seine Besuche in den Konstanzer Freudenhäusern schrieb: "Denk ich an den Bodensee tut mir gleich der Beutel weh." Der Stadtrat legte die Preise für Bordellbesuche fest.

Es war nicht erst hundert Jahre später Martin Luther, der gegen diese Zustände vorging. Aus Böhmen verbreitete sich die Lehre des radikalen Theologen Jan Hus, der die Armut predigte und das Weib für ein Geschöpf des Teufels hielt. Ein solcher Fundamentalist rüttelte an den Thronen der Fürsten und Kirchenfürsten. Dass er nach Konstanz kam, um seine Lehre vor dem Konzil zu verteidigen, bezahlte er mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen.

Anfang vom Ende des Mittelalters

Ulrich von Richental hat die Verbrennung wie überhaupt das gesamte Konzil in seiner üppig illustrierten Handschriften-Chronik festgehalten. Die Asche Hus' wurde in den Rhein gestreut, auf dass keine Reliquie übrig bleibe. Ein Stück seines Mantels hat sich offenbar dennoch erhalten. In Konstanz ist das Stück zu sehen, das 1853 in einem Colmarer Museum auftauchte.

In den Jahren nach dem Konzil erstarkte das Papsttum wieder und drängte den Konziliarismus beständig zurück. Konziliarismus ist das, was progressive Theologen meinen, wenn sie von einer Demokratisierung der Kirche sprechen: Mitsprache. So betrachtet war Konstanz anno 1414 ein erster Wendepunkt.

Wann hörte das Mittelalter auf, wann begann die Neuzeit? Der Einfachheit halber setzen die Historiker die Schwelle um das Jahr 1500 an, zwischen der Entdeckung Amerikas und der Reformation 1517. Epochemachende Umwälzungen sind aber Prozesse, die sich über eine Sattelzeit erstrecken, und der Konstanzer Ausstellung gelingt der Nachweis, dass diese Sattelzeit im frühen 15. Jahrhundert begann. Das Konzil von Konstanz war der Anfang vom Ende des Mittelalters.

Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters 1414-1418. Konstanz, Konzilgebäude. Bis 21. September. Katalog 382 Seiten, 29,90 Euro. Aufsatzband 247 Seiten, 39,95 Euro.

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