Italien:Trauer und Wut

Bergungsmaßnahmen nach Lawine in Italien

Bergungsarbeiten am verschütteten Hotel Rigopiano.

(Foto: Vigili Del Fuoco/dpa)

Die Bergung der Toten aus dem Hotel Rigopiano ist abgeschlossen. Doch die Aufarbeitung noch lange nicht. In die Trauer mischen sich nun Kritik und Streit.

Von Oliver Meiler, Rom

Eine Woche lang haben hundert italienische Feuerwehrleute in der kompakten Eisdecke gegraben. Tag und Nacht, Zentimeter um Zentimeter. Doch am Ende der Suche steht eine tragische Bilanz: 29 Menschen haben ihr Leben verloren im Hotel Rigopiano in den Abruzzen. Sie wurden überrascht von einer Lawine, die wahrscheinlich von einem Erdbeben ausgelöst worden war und alles verschüttete.

Elf Menschen überlebten trotz der 120 000 Tonnen Schnee, der Bäume und der Steine: Zwei von ihnen, weil sie sich gerade außerhalb des Hotels aufgehalten hatten, als die Lawine niederging, neun konnten nach zwei Tagen aus den Schneemassen befreit werden. Ihre Rettung war ein kleines und bewegendes Wunder, das die Hoffnung nährte, es könnte noch mehr Luftlöcher geben, noch mehr Nischen mit Leben. Vergeblich.

Unterkühlung sei nur eine von mehreren Todesursachen, sagt die Richterin

In die Trauer um die vielen Opfer schleicht sich auch Kritik und Streit. Angehörige werfen den Behörden vor, sie hätten zu wenig gewarnt vor den Gefahren am Fuß des Gran Sasso und dann viel zu langsam reagiert, als das Unglück passiert war. Die Staatsanwaltschaft von Pescara untersucht unter anderem den Fall einer Beamtin, die in der Notfallzentrale der Präfektur arbeitete. Die Frau nahm den ersten Notruf entgegen und stufte ihn als Fantasterei ab: Die Geschichte mit der Lawine, sagte sie, sei eine "Erfindung von Dummköpfen", sie habe gerade erst noch Kontakt zum Hotel gehabt. Der Anruf ging um 17.09 Uhr ein, kurz nach der Katastrophe. Die Hilfsoperation begann nach einer Reihe weiterer Notrufe um 19.01 Uhr.

Danach brauchten die Helfer zehn Stunden, um das Resort zu erreichen - auf Skiern und zu Fuß. Die neun Kilometer lange Straße, die vom Dorf zum Hotel führt, war nicht geräumt. Es hatte sich vor dem Niedergang der Lawine trotz mehrerer Aufforderungen des Hotels kein Schneepflug organisieren lassen. Auch das ist nun Teil der Ermittlungen. Es gibt die Vermutung, dass womöglich weitere Gäste und Bedienstete des Rigopiano hätten gerettet werden können, wenn die Helfer früher eingetroffen wären. Manche Verschüttete erfroren wohl hinter den Schneemauern. Untersuchungsrichterin Cristina Tedeschini relativierte die These: Alle sechs Menschen, deren Leichen bisher obduziert wurden, seien an einer Kombination von Ursachen gestorben. Unterkühlung sei nur eine davon gewesen.

Das Unglück drückt schwer auf die Stimmung im geprüften Mittelitalien. Seit dem Erdbeben im vergangenen August, das die Ortschaften Amatrice, Accumoli und Arquata zerstörte, gibt die Erde in den drei Regionen Latium, Abruzzen und Marken keine Ruhe. Das zehrt an den Kräften. Und die Hilfe für die Bevölkerung kommt nur sehr zäh in Gang. Viele Menschen leben in umfunktionierten Sporthallen. Sie warten noch immer darauf, dass sie in bebensichere Fertighäuser ziehen können.

Am Mittwoch haben Dutzende ihren Unmut nach Rom getragen, vor den Palazzo Chigi, den Sitz der italienischen Regierung. Auf ihren Spruchbändern stand: "Die Bürokratie tötet mehr als das Erdbeben."

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