ItalienIn der Nacht kam das Erdbeben

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Menschen in Neapel stehen kurz nach dem Erdbeben auf den Straßen der süditalienischen Stadt.
Menschen in Neapel stehen kurz nach dem Erdbeben auf den Straßen der süditalienischen Stadt. (Foto: Alessandro Garofalo/dpa)

Im Großraum Neapel bebt die Erde so heftig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Auch wenn offenbar niemand verletzt wurde, sind viele Menschen vor Ort verunsichert. Die Phlegräischen Felder, ein Supervulkan westlich der Stadt, wurden zuletzt immer öfter von kleineren Erdbeben erschüttert.

Von Marc Beise, Rom

"Es war eine Nacht, die wir nicht vergessen werden", sagte Bürgermeister Gigi Manzoni, und das gilt ganz sicher für jene 35 Familien, die von Rettungskräften aus ihren Wohnungen gerettet wurden. Für die Hunderten, die die dunklen Stunden lieber im Auto verbrachten. Für die Tausenden, die in Pozzuoli am Montagabend für fünf bis sechs Stunden von immer neuen Erdstößen verängstigt wurden.

Im Großraum Neapel, einer der am dichtesten bewohnten Regionen Italiens, bebte die Erde so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr, die Ausstöße waren nach den Berichten der örtlichen Medien in allen Stadtteilen Neapels deutlich zu spüren bis hinunter zum Hafen der Millionenstadt. Das erste Beben kam um 19.51 Uhr, um 20.20 Uhr maßen die Geräte des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) eine Stärke von 4,4, schwächer ging es mehrfach weiter bis kurz vor ein Uhr in der Nacht.

Zwar verläuft ein Erdbeben mit einer Stärke von 4,4 in der Regel moderat und hat meist keine größeren Folgen, hier aber geht es um die Phlegräischen Felder, die seit Jahrtausenden und in den vergangenen Jahren erst recht eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Die Rede ist von einem ausgedehnten vulkanischen Gebiet im Nordwesten von Neapel; im Gegensatz zum östlich von Neapel gelegenen Vesuv, der im Jahr 79 nach Christus die Stadt Pompeji unter Lava begrub, gibt es hier keinen Hauptvulkan, sondern eine Reihe von Vulkanen, die seit mehr als 80 000 Jahren aktiv sind; man spricht von einem "Supervulkan".

In den vergangenen hundert Jahren hat sich die Erde dreimal angehoben

Die Phlegräischen Felder haben eine Struktur, die als Caldera bezeichnet wird, ein abgesenktes Gebiet in annähernd kreisförmiger Form, das durch Eruptionen entstanden ist und sich über Land und unter Wasser erstreckt. Schon in der Antike und dann im Mittelalter wurden immer wieder Erdbeben berichtet, der Name Phlegräische Felder ist bereits griechischen Ursprungs. In den vergangenen hundert Jahren hat sich die Erde dreimal angehoben, zuletzt zwischen 1950 und 1952, zwischen 1969 und 1972 und zwischen 1982 und 1984; beim jüngsten Mal waren das immerhin drei Meter, was man an den Molen im Hafen von Pozzuoli beobachten kann, die deutlich höher liegen als die Schiffe auf dem Wasser.

Seit elf Jahren gilt für das Gebiet die Alarmstufe Gelb, die zur Vorsicht aufruft. Zuletzt 2023 hat die Erde mehrfach rumort, immer wieder kam es zu kleineren Beben. Ob sich hier eine Katastrophe anbahnt, ist umstritten, die Experten warnen vor Panikmache und sehen für die kommenden Jahrzehnte keine unmittelbare Gefahr. Aber viele Bürger sind verunsichert, und die vergangene Nacht hat nicht dazu beigetragen, sie zu beruhigen.

Offenbar gibt es keine Verletzte oder größere Schäden, aber Berichte über Risse in den Häusern und herabfallende Fassadenteile. Vor allem in der Nähe des Epizentrums (der Erdbebenherd lag drei Kilometer unter der Erde) seien die Häuser "durchgeschüttelt" worden, hieß es. Die Notfallpläne wurden aktiviert und Einsatzkräfte rückten aus. Menschen flohen aus ihren Häusern, noch in der Nacht wurden Versorgungszelte aufgebaut. Beliebt war der Vorplatz des ehemaligen Nato-Stützpunktes, wo es keine Gebäude gibt. Der Zugverkehr auf einigen Strecken und auch die Metrolinie 2 in Neapel wurden vorsorglich unterbrochen. An diesem Dienstag sollen die Schäden gesichtet werden, einige Schulen bleiben sicherheitshalber geschlossen.

Zugleich hat die Debatte darüber begonnen, ob die Behörden sich auf den Ernstfall ausreichend vorbereitet haben und wie ernst die Lage wirklich ist. "Wir sind nicht zufrieden mit den Kontrollen, die sie durchführen oder durchführen werden, wir wollen die Wahrheit wissen", zitierten Medien Stimmen aus der Nacht: "Wir sind überzeugt, dass sie uns nicht alles sagen. Evakuierungsversuche und Gerede reichen nicht mehr aus. Jeder Gelehrte gibt seine Version wieder, aber wir wissen nicht mehr, wo die Wahrheit liegt."

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