Süddeutsche Zeitung

Italien:Polizist mit elf Stichen getötet: Zwei US-Studenten verurteilt

Lesezeit: 2 min

Viele Ungereimtheiten, aber ein klarer Schuldspruch: Zwei Amerikaner werden in Rom zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Der rätselhafte Mord an einem Carabiniere treibt Italien seit zwei Jahren um.

Von Oliver Meiler, Rom

Zwei Jahre, fünfzig Verhandlungstage mit Gesichtsmaske, ein Schuldspruch trotz Pandemie. In Rom ist das Urteil in einem viel beachteten Mordprozess gegen zwei junge US-Amerikaner gefällt worden, und wenn nun niemand wirklich Genugtuung verspürt in dieser Geschichte, dann hat es damit zu tun, dass sie so traurig und dramatisch ist. Und ziemlich mysteriös.

Es passierte in einer Sommernacht 2019, zwischen Trastevere und Prati, zwei zentralen Vierteln Roms. Finnegan Lee E., damals 19, und sein Freund Gabriel N.-H., 18, beide aus San Francisco, haben den Tag mit Sightseeing zugebracht. N.-H. kennt die Stadt gut, er ist halber Italiener, seine Großeltern haben ein Haus am Meer bei Rom. E. ist zum ersten Mal da, er hat Drogenprobleme.

Sie beschließen, sich Kokain zu beschaffen. Ein Vermittler mit Fahrrad bringt sie zu einem Dealer in einer Seitengasse, und der verkauft ihnen statt Kokain ein Häufchen gemahlenes Aspirin. Ein Gramm für 80 Euro, schlecht verpackt. Die jungen Männer riechen den Betrug, doch das Geld ist weg. Sie klauen den Rucksack des Mittlers, als Pfand, und fliehen. Der ruft auf seinem Handy an, das in der gestohlenen Tasche liegt, und schlägt einen Deal vor: den Rucksack gegen 80 Euro. Die Amerikaner legen eine Schippe drauf: das Geld und ein Gramm Koks. Sie einigen sich.

Der Vermittler ruft nun auch die Carabinieri an und meldet den Diebstahl. Man beschließt, dass die Polizisten den Rucksack zurückholen - "Operation Wiederbeschaffung". So beginnt der zweite Teil der Geschichte, der tödliche.

Warum hat der Vermittler die Carabinieri angerufen?

Es ist jetzt drei Uhr früh, ein Treffpunkt beim Hotel der Kalifornier ist ausgemacht. Zwei Carabinieri in Zivil gehen hin - ohne Dienstwaffe, was dem Protokoll widerspricht. Sie melden ihrer Wache auch nicht, dass sie ihre Einsatzzone verlassen. Als am verabredeten Treffpunkt statt des Vermittlers mit dem Fahrrad zwei Männer aus der Dunkelheit treten, beginnt schnell ein Handgemenge mit den Amerikanern. E. hat ein Messer mitgebracht, die Klinge ist 16 Zentimeter lang, er sticht damit elf Mal auf den 35-jährigen Mann ein, mit dem er kämpft. Mario Cerciello Rega, Vice brigadiere - Unteroffizier - der Carabinieri, stirbt kurz darauf. E. und N.-H. fliehen, später werden sie in ihrem Hotel festgenommen. Die Tatwaffe haben sie im Zimmer versteckt.

Der Fall ist schnell sehr groß in den Medien, auch wegen der vielen Ungereimtheiten. Warum, fragt man sich, hat der Vermittler die Carabinieri angerufen? Ist er vielleicht ein Informant der Polizei? Oder ist er womöglich gar Mitglied einer unseligen Bande, der auch Beamte angehören? Die Fotos der Hochzeit des toten Carabiniere sind noch frisch, sie sind jetzt in allen Zeitungen. Der italienische Staat ehrt den Polizisten als Helden, der im Dienst sein Leben ließ. Zur Bestattung in Somma Vesuviana, seiner Heimatgemeinde bei Neapel, kommen viele hohe Würdenträger der Republik.

Die jungen Amerikaner behaupten, die Carabinieri hätten sich nicht als Carabinieri zu erkennen gegeben. Die Dienstmarken? Hätten sie ihnen nicht gezeigt. Der Einsatzkollege des getöteten Polizisten beteuert das Gegenteil, beweisen kann er es aber nicht. Zwei Mal im Verlauf der Ermittlungen wird er sich selbst widersprechen, in zentralen Punkten. Dann kommt ein Video an die Öffentlichkeit, das N.-H. beim Verhör auf der Wache zeigt: mit Handschellen und verbundenen Augen. Aufgenommen hat es ein Polizist, der dabei war. Die Empörung ist groß: So etwas in Europa?

Nun, nach fünfzig Verhandlungstagen und 13-stündiger Beratung der Richter, sind die beiden jungen Amerikaner zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. E. als Mörder, N.-H. als Mittäter. Die Verteidigung hatte für beide auf Notwehr plädiert. Die Witwe des Opfers war bei jeder Gerichtsverhandlung dabei gewesen. Nach dem Urteil stellte sie sich weinend vor die Fernsehkameras, schwarz gekleidet. "Marios Integrität ist nachgewiesen", sagte sie, "nach all diesen bösen Verdächtigungen."

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