Süddeutsche Zeitung

Italien:Hätte die Katastrophe im Hotel Rigopiano verhindert werden können?

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Von Oliver Meiler

Plötzlich war da Rauch, 40 Stunden danach: Rauch aus der Küche. Als niemand mehr daran zu glauben schien, dass unter den Schneemassen noch Leben war, stießen die Feuerwehrleute im verschütteten Hotel Rigopiano in den Abruzzen auf zehn Vermisste, unter ihnen vier Kinder. Sie hatten sich unter einer Deckenverstrebung, die der Lawine standgehalten hatte, verschanzen können. Ein zufälliges Luftloch, eine Nische der Hoffnung.

"Sie hatten ein Feuer angefacht, um sich daran zu wärmen", sagten die Retter, "über den Rauch fanden wir ihren Unterschlupf in der Küche." Und zu den Stimmen, hinter der dicken Schneemauer. Auch Kinderstimmen waren dabei. "Als wir sie befreiten, brauchten wir nur in ihre Augen zu schauen, um zu verstehen, was sie durchgemacht hatten."

Die Geborgenen wurden mit Hubschraubern in die nahen Krankenhäuser geflogen, doch alle schienen wohlauf zu sein. Die gute Nachricht stärkte die Hoffnung, dass weitere Überlebende gefunden werden könnten, auch drei Tage nach dem Unglück. Am Freitagabend wurden jedoch noch immer mehr als ein Dutzend Menschen vermisst.

Hundert Helfer waren im Einsatz, rund um die Uhr. Und da das Wetter endlich besser geworden war und kein Schnee mehr fiel, hatten auch die schweren Räumungsgeräte der Armee zum Hotel gebracht werden können. Das Rigopiano lag fast vollständig begraben unter den Schneemassen.

Mit 300 Kilometern pro Stunde soll die Lawine in die Tiefe gerollt sein. Auf ihrem Weg hatte sie alles mitgerissen, Bäume entwurzelt, schweres Geröll mitgetragen. Als sie das Hotel erreichte, war die Wand aus Schnee und Eis 700 Meter breit - eine gewaltige, wuchtige Walze. Das erklärt, wie es dazu kommen konnte, dass das dreistöckige Hotel in Farindola am Fuß des Gran Sasso, auf 1200 Metern über Meer, unter den Massen verschwand, dass es erdrückt und als Ganzes verschoben wurde. Man fand Matratzen mehrere Hundert Meter weiter unten im Tal, weggetragen von der rollenden, rasenden Furie.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt in mehrere Richtungen

Doch die Gewalt der Natur allein erklärt in diesem Fall nicht alles. Die Staatsanwaltschaft in der Provinzhauptstadt Pescara hat eine Untersuchung eingeleitet, ihr Verdacht lautet auf "fahrlässige Tötung". Die Ermittler werden sich unter anderem mit der Frage befassen, ob das Hotel nicht hätte geschlossen oder evakuiert werden müssen.

Die Wetterprognosen für die erste Wochenhälfte waren nämlich dermaßen deutlich gewesen, dass wegen des großen Schneefalls Alarmstufe 4 galt - auf einer Skala, die bis 5 reicht. Es kam noch schlimmer: Es fiel so viel Schnee wie in dieser Region seit 50 Jahren nicht mehr. Wahrscheinlich hätte aber bereits Stufe 4 genügen sollen, um die Behörden zu alarmieren. Niemand schlug Alarm. War das fahrlässig? Dann bebte die Erde.

Die Ermittler werden sich auch mit der Präfektur beschäftigen müssen. Sie hat die ersten Notrufe nach dem Niedergang der Lawine offenbar missverstanden, obschon die Notrufer insistierten. Ging deshalb viel Zeit verloren, bevor sich die Rettungsmannschaft auf den Weg machte - auf Skiern, weil die Straße zum Hotel nicht befahrbar war? Und warum hatte man nicht schon viel früher versucht, sie zu räumen? Fehlte es an Schneepflügen?

Schon beim Bau des Hotels gab es Ungereimtheiten

Die Justiz wird sich bei ihren Ermittlungen auch einer alten Geschichte neu annehmen müssen, einem Gerichtsfall, den man in Farindola für immer abgeschlossen wähnte. Das Vier-Sterne-Resort war nämlich ein "gigantisches Beispiel für illegales Bauen", wie es die Zeitung La Stampa nennt.

Früher stand da, wo 1972 das Hotel entstehen sollte, eine rustikale Hütte für Hirten und Wanderer. Der Platz war Weideland, umgeben von schönen Wäldern, die sich hochziehen zum Gran Sasso. Von dort hat man eine schöne Aussicht auf das Hochplateau und seine Idylle. Ob es gefährlich sein könnte, ein Hotel so dicht an den Berg zu bauen, fragte man sich damals nicht. Man baute sogar bald massiv aus.

Damit aus dem einfachen Gästehaus ein luxuriöses Resort mit Wellnessbereich und Pool werden konnte, wo auch der Hollywoodstar George Clooney einmal absteigen würde, wurde öffentlicher Boden verbaut. Die damalige Gemeindeverwaltung von Farindola geriet bald in den Ruch, Bestechungsgeld angenommen zu haben, angeblich 26 000 Euro. Gegen den linken Bürgermeister, dessen Vize, einige Beamte und die Bauunternehmer wurde 2008 ein Verfahren eingeleitet. Eingestellt wurde es erst im vergangenen November, alle Angeklagten wurden freigesprochen. Selbst wenn sie verurteilt worden wären, hätten sie nichts zu befürchten gehabt: Das Vergehen wäre schon verjährt gewesen.

Und jetzt also hängt noch ein weiterer Schatten über dem Rigopiano: eine dieser Geschichten über illegales Bauen und dubioses Kungeln, wie sie oft bekannt werden, wenn Tragödien über Italien kommen.

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SZ vom 21.01.2017
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