Süddeutsche Zeitung

Italien:Und Pizza am Sonntag!

Die Corona-Pandemie bringt die Essensrituale der Italiener durcheinander. Restaurants öffnen am heiligen Sonntag, und Brunch gibt es plötzlich auch.

Von Oliver Meiler, Rom

Der Sonntagmittag ist der neue Samstagabend, zumindest in Rom. Das Restaurant "Armando al Pantheon" zum Beispiel, ein berühmtes Lokal, war sechzig Jahre lang am Sonntag zu, weil dann keine Politiker vorbeischauten und die Römer wie die Italiener im Allgemeinen am Tag des Herrn und der Familie ohnehin eher nicht auswärts aßen. Das machten sie am Samstagabend, unter Freunden: "Facciamoci una pizza" (Gehen wir auf eine Pizza) war der Refrain dazu. Am Sonntag hingegen aß man daheim im großen Kreis, und kochen sollte unbedingt die Nonna oder wenigstens die Mamma. Später ging man raus für die passeggiata, den Spaziergang im Viertel, die Herren mit den Händen im Kreuz, die Damen mit den neuen Schuhen, die Kinder lärmend vorneweg.

So ungefähr war das vor Corona, immer. Die Italiener hängen an ihren alten Gewohnheiten, fast religiös, gerade beim Essen und dem ganzen Drumherum. Gnocchi? Gibt es am Donnerstag und basta. Fisch am Freitag, Kutteln am Samstag, wenn man es mit dem Komödianten Totò hält. Nun ist alles anders - außer der passeggiata. Neue soziale "Tendenzen" zeichnen sich ab, schreiben die Zeitungen. Zwangsläufig. In Rom, einer gelben und mäßig gefährdeten Risikozone, müssen die Bars und Restaurants um 18 Uhr schließen, während sie etwa in Mailand und Neapel, beide rot, gar nicht erst öffnen dürfen. Die Liturgie des Samstagabends fällt überall aus, genau wie der gerne ausufernde aperitivo.

Und so haben "Armando al Pantheon" und viele andere Lokale in Rom erstmals am Sonntag offen, um wenigstens ein bisschen etwas von dem zu kompensieren, was sie an den Abenden verlieren. Gegen die heilige Tradition. Es soll sogar Römer geben, die am Sonntagmittag Pizza essen. Und Familien, die im engen Kreis am Sonntag ins Restaurant gehen.

"Brunch-Manie" in Rom

Auch Brunch, diese ursprünglich wohl angelsächsische Verquickung von Breakfast und Lunch, von Frühstück und Mittagessen, feiert erste Popularitätserfolge, was schon sehr erstaunlich ist: Die Italiener mischen Gerichte und Genres nur sehr ungern. In Rom gab es früher nur einige wenige Pubs und eine Buchhandlung in Trastevere, die am Sonntag Brunch anboten. Der Corriere della Sera schreibt von einer "Brunch-Manie" und führt gleich sieben empfehlenswerte Lokale auf, die in der Not den fremden Brauch in ihr Repertoire aufgenommen haben, obschon der tollste Aspekt daran coronabedingt verboten ist, nämlich die freie Bedienung am Buffet. Auch Hotelbars machen Brunches und öffnen die Türen Nichtgästen, richtige Hotelgäste gibt es kaum mehr. Beliebt sind Häuser mit Dachterrassen. Wer will schon noch drinnen sitzen?

Überhaupt: Der Außenraum, er wurde ausgeweitet, wie man das noch vor Kurzem für unmöglich gehalten hätte. Parkplätze wurden aufgehoben, Gehsteige geopfert, damit die Restaurants ihre Tische und Stühle mit coronakonformem Abstand im Freien aufstellen können, auch mal auf der Straße. Früher kamen Stadtpolizisten mit dem Messband und bestraften Lokale, die eine Fußbreite zu viel öffentlichen Bodens besetzten.

Nun fühlt sich alles etwas anarchischer an unter dem Himmel. Der römische Winter war bisher gnädig, mit viel Sonne und Temperaturen eines verlängerten Herbsts, es ist ein schwacher Trost. Wenn nur bald wieder alles ist, wie es immer war - und es Pizza am Samstag gibt.

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