Süddeutsche Zeitung

Italien: Museum in Nöten:Die Kunst, die Camorra und die Ignoranz

Vom Staat vernachlässigt, von der Camorra bedroht: Warum ein neapolitanischer Museumsdirektor die deutsche Kanzlerin Angela Merkel um Asyl für seine Sammlung bittet.

Andrea Bachstein

Wie bitte? Asyl für ein ganzes Museum mit tausend Kunstwerken und Videosammlung? Genau darum hat Antonio Manfredi in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel gebeten. Das klingt verrückt. Aber das ist Manfredi keineswegs.

Der quirlige Mann mit dem kurzgeschorenen Bart ist Direktor des "Casoria Temporary Art Museum", kurz Cam, das er vor sechs Jahren gegründet hat. Nebenbei ist der fast 50-Jährige selbst Künstler, mit einer ganzen Reihe von Auszeichnungen. Seine Skulpturen, Bilder und Fotografien sind nicht nur in Italien in Ausstellungen zu gesehen gewesen, sondern auch international. Er lehrt Kunstmanagement, etwa in China und Afrika, und wäre es in Ägypten ruhiger, würde er jetzt für einen Lehrauftrag an der Uni von Assuan aufbrechen. Sein Brief an die Kanzlerin ist ein Hilferuf, ein Akt des Protestes. Antonio Manfredi will die Kunstwerke retten und sein Projekt, das außergewöhnlich ist. Nicht nur, weil es einer Oase in einer Kulturwüste gleicht.

Die wenig attraktive 80.000-Einwohner Stadt Casoria liegt keine 20 Zugminuten von Neapel entfernt. "Hinterland", nennt man auch auf Italienisch solche Gebiete im Schatten von Großstädten. Das von Neapel ist bekannt als Territorium, wo die Camorra vieles bestimmt. Und damit haben Manfredis Sorgen auch zu tun.

Als sie eine Ausstellung zum Thema Camorra machten, rieten Anonyme am Telefon: Ihr solltet doch besser einen Wachdienst engagieren. Immer wieder, sagt Manfredi, "lässt man uns wissen, dass wir unter Beobachtung stehen". Vergangenes Jahr, bei einer Ausstellung afrikanischer Künstler, fanden sie die Figur eines gekreuzigten Schwarzen am Museumseingang. Auch dieses Thema passt Kampaniens Mafia nicht, sie verdient an afrikanischen, oft illegalen Hilfsarbeitern. Das Massaker, das Camorristi 2008 an sechs Afrikanern in Castelvolturno verübten, passt in dieses Bild.

Manfredi sitzt rauchend in seinem kleinen Büro und erklärt, es sei Teil seines Konzepts, gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Das Museum bietet auch Kurse für Kinder und Schüler an. Mit den Mitteln der Kunst will Manfredi Horizonte eröffnen in einer Region, in der sich viele in die tristen Zustände ergeben. Die Mafia aber fühle sich gestört von Leuten, die selber denken, sagt Manfredi.

Das Museum ist ein Meisterwerk an Selbstausbeutung. Es arbeitet ohne öffentliches Geld, nur für die Räume erlässt die Stadt die Miete. Von ein paar Unternehmern aus der Gegend gibt es ab und zu Sponsorengelder, die Künstler verzichten meist auf ihr Honorar. Das ist Manfredis weltweiten Beziehungen zu verdanken. Was er mit seiner Kunst verdient, steckt er zur Hälfte ins Cam. Das sei manchmal schwierig, er hat drei Kinder. Die anderen aus dem siebenköpfigen Team arbeiten gratis. Graziella Melania Geraci, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, verdient ihr Geld beim Kellnern. Dabei hat sie Kunstmanagement studiert. Genau wie der Kurator Domenico Mocerino. Er kommt gerade von seinem Brotjob als Nachtportier ins Museum.

Alle bringen sie Opfer für dieses Museum, das von ihrem Enthusiasmus getragen wird. Sie haben das Souterrain einer Schule in eine 3000 Quadratmeter große Kunstgalerie verwandelt, der man nicht ansieht, mit wie wenig Geld sie auskommen muss. Es kommen Besucher aus dem Hinterland, aus Neapel und dem Ausland, das Videofestival des Cam erhält immer mehr Aufmerksamkeit. Was Manfredi unter anderem zu seinem Brief getrieben hat, ist die Ignoranz, auf die das Cam in Casoria stößt. Es gibt kein Geld von der Gemeinde, der Provinz oder der Region - obwohl dorthin EU-Kulturmittel fließen. Obwohl Casoria sich "Kunststadt" nennen darf, was Privilegien wie die Sonntagsöffnung von Läden mit sich bringt.

Keine moralische Unterstützung

"Es geht mir gar nicht zuerst ums Geld", sagt Manfredi. Er findet viel schlimmer, dass es keine moralische Unterstützung gibt. Zu Ausstellungen lässt sich von der Stadtregierung niemand blicken. Sie lässt auch den Skulpturenpark verkommen, den das Cam der Stadt gestiftet hat. Bürgermeister Stefano Ferrara trifft man samstagmittags vor dem Rathaus. "Wir sind stolz auf das Cam", sagt er. Es gebe Pläne für neue Räume und eine halb städtische, halb private Leitung. Letzteres ist fast eine Drohung, wenn man sieht, wie schlecht vor allem im Süden Italiens öffentliche Verwaltungen oft funktionieren.

Manfredi sagt, was der Bürgermeister sage, stimme leider nicht. Seit drei Jahren halte ihn die Stadt nur hin mit Ankündigungen und tue nichts. Nicht nur von der Stadt, in der er geboren ist, fühlt Manfredi sich verlassen. Nirgendwo gibt es so viele Kunst- und Kulturschätze wie in Italien. Doch die Regierung Berlusconi hat bei ihrem Sparpaket auch hier drastisch gekürzt, der Kulturbetrieb ist überall in Not. Viele empört das. Auch deshalb Manfredis Asylantrag.

Und warum in Deutschland? "Es ist für mich die vertrauenswürdigste Adresse." Dass die Bundesrepublik trotz Sparzwang in Kultur und Bildung investiert, ist für viele Italiener ein leuchtendes Vorbild. Manfredi ist klar, dass Angela Merkel nicht einfach sein Museum aufnehmen kann, "das wäre wohl politisch heikel". - "Aber wenn doch", sagt er mit fester Stimme, "wir packen sofort."

Was er wirklich erhofft, ist ein Zeichen der Solidarität. An den Museumseingang haben sie schon mal eine schwarzrotgoldene Fahne gehängt.

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SZ vom 07.02.2011/aho
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