Italien:Das Wunder von Ischia

Applaus ertönt, als Rettungskräfte den dritten von drei verschütteten Brüdern aus den Trümmern bergen. Das Glück der Familie ist die einzige schöne Note in Italiens jüngstem Erdbeben-Drama.

Von Oliver Meiler, Rom

Fünfzehn Stunden unter den Trümmern, beschützt vom Gestänge eines Etagenbetts. Als die Feuerwehrleute und Zivilschützer endlich auch Ciro befreit hatten, den dritten von drei verschütteten Brüdern, elf Jahre alt, da ertönte ein langer, lauter Applaus über den staubigen Steinbergen von Casamicciola, einem Dorf auf der Insel Ischia vor Neapel.

Am Montagabend, um 20.57 Uhr, war der Ort von einem Erdbeben erschüttert worden. Nur Stunden vor Ciro war Mattias, 7, aus dem Trümmerhaufen gezogen worden. Wie durch ein Wunder war auch Pasqualino unversehrt geblieben, ein Baby, sieben Monate alt. Der Vater der drei Buben hatte mit gebrochenem Arm gerettet werden können. Die Mutter, erneut schwanger, blieb ganz unverletzt und zeigte den Helfern, wo sie suchen mussten. Da Ciro ein Handy hatte, konnten Eltern und Helfer ständig mit den Brüdern reden, sie beruhigen, sich behutsam zu ihnen vorarbeiten. Das Glück der Familie ist die einzige schöne Note im Drama von Ischia.

Beim Beben der Stärke 4 kamen zwei Frauen ums Leben, mehrere Dutzend Menschen wurden verletzt, 2600 verloren ihr Obdach. Und einmal mehr klagt man nun in Italien über das eigene Unvermögen, den vielen Gefahren der Natur gebührend zu lauschen und entsprechend zu bauen: Unter dem Land reiben sich Erdplatten, es staut sich da und dort Magma, der Boden ist nie still.

Auch die Ferieninsel Ischia, beliebt bei Kanzlerin Angela Merkel, die da schon ihren Osterurlaub verbracht hat, ist vulkanisch und seismisch. Das weiss man spätestens seit 1883, als ebenfalls mitten im Sommer ein Erdbeben 2313 Menschenleben forderte - hauptsächlich in Casamicciola. Die Hälfte der Dorfbevölkerung kam damals um. Daher rührt das geflügelte Wort: "Hier passiert Casamicciola!" Man kennt den Spruch in ganz Italien, er steht für: Hier passiert ein Chaos.

Doch die Erinnerung verblasst schnell. Viele Häuser auf Ischia sind nicht erdbebensicher. Um die bürokratischen Prozeduren und die Schutzauflagen zu meiden, wurde oft illegal gebaut. Nach dem Beben stritten sich die Experten über Stärke und Art der Erschütterung. Die Direktorin des Observatoriums für den Vesuv und die übrigen Vulkane in der Gegend, Francesca Bianco, beruhigte die Bevölkerung: Das Beben, sagte sie, sei kein Signal des Vulkans von Ischia, sondern ein tektonisches.

Der Vulkan ist zwar noch aktiv, er sorgt aber vor allem dafür, dass die beliebten Thermen von Ischia aus heissen Quellen genährt werden. Nur Stunden nach dem Beben haben tausend Touristen die Insel aus Furcht verlassen.

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