Zehn Jahre sind vergangen, fast auf den Tag genau, seit jenen dramatischen Szenen vor der toskanischen Insel Giglio, als die Costa Concordia havarierte. 13. Januar 2012. Das ist viel Zeit zum Nachdenken. In Italien - und wohl nicht nur hier - fragt man sich noch immer, was den Mann auf der Kommandobrücke damals bewegt haben könnte, von Bord zu gehen, als sich noch viele seiner Passagiere zu retten versuchten. 32 kamen ums Leben.
Nun hat sich dieser Francesco Schettino, Kapitän des großen Schiffes, wieder einmal zu Wort gemeldet. Aus dem Gefängnis Rebibbia in Rom, wo er seit bald fünf Jahren einsitzt. Und was er da über seinen Anwalt der Zeitung La Stampa ausrichten lässt, so kurz vor dem Gedenktag, ist zumindest denkwürdig. Er ist jetzt 61 Jahre alt. "Kommandant Schettino", sagt der Verteidiger, "durchläuft eine Psychotherapie, das ist nicht einfach für ihn. Im Grunde ist ja auch er ein Schiffbrüchiger, er denkt ständig an jene verdammte Nacht und an die 32 Todesopfer." Doch es sei nicht okay, dass er der Einzige sei, der dafür bezahle. "Man wollte einen Schuldigen finden, nicht die Wahrheit." Schiffbrüchiger und Sündenbock also.
Tatsächlich sitzt von den Crewmitgliedern und Zuständigen der Kreuzfahrtgesellschaft, die damals im Einsatz waren und ebenfalls zur Rechenschaft gezogen wurden, nur Schettino im Gefängnis. Alle anderen bekamen Alternativstrafen. Für die Justiz wog das Handeln des Kapitäns nun mal viel schwerer. Er wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt wegen fahrlässiger Tötung in 32 Fällen, fahrlässigen Schiffbruchs, fahrlässiger Verletzung in vielen Fällen, falscher Aussagen. Und weil er sein Schiff verlassen hatte, mit den Ersten, auf einem Rettungsboot. Vor allem dieser Umstand hat die Welt verstört. "Fare lo Schettino", den Schettino machen, ist in Italien zum geflügelten Wort für besondere Feigheit geworden.
Nun studiert er Journalismus, um die bösen Medien zu verstehen
Aber eben, er sieht das alles etwas anders und belegt Fernkurse in Rechtswissenschaft und Journalismus. Schettino findet, dass er vor dem juristischen Prozess schon "Opfer eines medialen Prozesses" geworden sei. Sein Mandant wolle verstehen, wie es kommen konnte, dass er zur "Zielscheibe" der Medien wurde, sagt der Anwalt. La Stampa hat auch den anderen Hauptakteur jener Nacht vor zehn Jahren interviewt, den Helden des Dramas: Gregorio de Falco, damals Offizier der italienischen Küstenwache in Livorno, zuständig für die Zone. Von ihm stammt der berühmte Satz: "Kehren Sie zurück an Bord, verdammte Scheiße!" De Falco, heute Senator der Republik, hält Schettinos Opferrolle für völlig verwegen. "Er hätte mir zuhören und an Bord bleiben sollen", sagt er. "So hätte er viele Leben retten können, und sich selbst gleich mit." Dass er das Schiff verlassen habe, wohl in einem Kurzschluss, sei das wahre Problem gewesen - eine Art Ursünde für einen Kommandanten.
Gut möglich, dass Schettino nach Absitzen eines Drittels der Strafe bald aus der Gefängnishaft entlassen wird und unter Hausarrest kommt. Wegen guter Führung. Ein Modellsträfling sei er, sagt Don Lucio Boldrin, der Gefängniskaplan. "Er ist sehr nett mit den anderen Häftlingen, er lässt sie auch nie die Rolle spüren, die er vor seiner Verhaftung innehatte." Das wäre ja noch schöner.