Brückeneinsturz:Italien verhängt Ausnahmezustand über Genua

Lesezeit: 3 min

Wer ist schuld am Einsturz der Brücke? Die italienische Regierung sieht die Betreibergesellschaft in der Verantwortung. (Foto: AP)
  • Italiens Regierung hat über Genua den Ausnahmezustand verhängt und fünf Millionen Euro Soforthilfe auf den Weg gebracht.
  • Innenminister Salvini verortet eine Teilschuld bei der EU: ​"Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", beklagt der Lega-Chef.
  • Die Zahl der Opfer des Unglücks steigt: Mittlerweile wird die Zahl der Toten auf 39 beziffert.

Nach dem verheerenden Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua hat die italienische Regierung einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand für die Hafenstadt verhängt. Bei einer Krisensitzung des Ministerrates in Genua sei auch eine Soforthilfe von fünf Millionen Euro freigegeben worden, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte anschließend bei einer Pressekonferenz. Zudem soll ein spezieller Ad-hoc-Kommissar sich um das Krisenmanagement kümmern.

Bei dem Einsturz der viel befahrenen Morandi-Brücke am Dienstag waren nach neuen Angaben mindestens 39 Menschen ums Leben gekommen. Rettungskräfte setzten am Mittwoch die Suche nach möglichen weiteren Opfern fort. Die Staatsanwaltschaft in Genua befürchtet, dass sich noch zahlreiche Vermisste unter den Trümmern der am Dienstag eingestürzten Autobahnbrücke befinden. "Es könnte noch zehn bis 20 vermisste Personen geben", sagte der leitende Staatsanwalt Francesco Cozzi laut Nachrichtenagentur Ansa am Donnerstag.

Interview zum Einsturz
:"Die Schrägkabel sind der Schwachpunkt der Konstruktion"

Wie konnte es zu der Katastrophe in Genua kommen? Ein Baustatiker über mögliche Ursachen und warum Brückeneinstürze häufiger vorkommen, als viele denken.

Interview von Felix Straumann

Die Autobahnbrücke war Teil der sogenannten Blumenautobahn A10, einer auch von zahlreichen Touristen genutzten wichtigen Verkehrsachse an der italienischen Riviera, die Genua mit Ventimiglia an der französischen Grenze verbindet.

Die Regierung machte den Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia für das Unglück verantwortlich. "Autostrade per l'Italia war nicht in der Lage, die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Verwaltung der Infrastruktur zu erfüllen", sagte Verkehrsminister Danilo Toninelli (Fünf Sterne) dem staatlichen Sender RAI 1.

"Als erstes muss das Top-Management von Autostrade per l'Italia zurücktreten", schrieb Toninelli in einem Facebook-Eintrag. Außerdem prüfe die Regierung, dem Unternehmen die Lizenz zum Betrieb von Straßen zu entziehen und Bußgeldforderungen von 150 Millionen Euro zu erheben. Vize-Premier Luigi Di Maio (Fünf Sterne) bestätigte, dass Toninelli entsprechende Verfahren auf den Weg gebracht habe, wie die italienische Zeitung Repubblica meldet. Zuvor hatte Toninelli gesagt, wer auch immer einen Fehler gemacht habe, müsse bezahlen.

Der zur Atlantia Gruppe gehörende Betreiber Autrostrade wies den Vorwurf einer Pflichtverletzung zurück. Man habe die Brücke auf vierteljährlicher Basis entsprechend den gesetzlichen Vorgaben kontrolliert, teilte das Unternehmen mit. Außerdem habe die Firma zusätzliche Prüfungen vorgenommen, unter Nutzung modernster Technologien und der Hinzuziehung externer Experten. Das Ergebnis dieser Kontrollen zum Zustand der Brücke sei Basis für das von der Regierung abgesegnete Wartungs- und Unterhaltungsprogramm gewesen. Bereits am Dienstag hatte Autostrade mitgeteilt, dass erst dann Näheres über die Ursachen des Einsturzes gesagt werden könne, wenn ein gesicherter Zugang zur Unfallstelle möglich sei.

Am Dienstagmittag war während eines Unwetters ein etwa 100 Meter langes Teilstück der Morandi-Brücke in Genua plötzlich eingestürzt. Etwa 30 Autos sowie mehrere Lastwagen wurden dabei in die Tiefe gerissen. Über die Brücke verläuft die Autobahn A 10.

Italiens Innenminister Matteo Salvini, Chef der rechten Lega Nord, attackierte im Zusammenhang mit dem Brückenbau die Europäische Union und deren Sparvorgaben. Kosten, die für die Sicherheit ausgegeben werden, "dürfen nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt", sagte der EU-Gegner dem Sender Radio24. "Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", sagte Salvini.

Suche in Bergen von Beton und Stahl

Recherchen unterschiedlicher Medien am Dienstag hatten ein anderes Bild gezeigt. Danach hat Italien nur einen Bruchteil des für Straßenbau vorhandenen Budgets abgerufen, wie die ARD-"Tagesschau" zusammenfassend berichtete. Auch die Mittel aus EU-Fonds schöpfe das Land bei Weitem nicht aus.

Die Zahl der Opfer des Unglücks steigt immer noch an. Nach derzeitigen offiziellen Angaben starben mindestens 39 Menschen. Darunter sind drei Minderjährige im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. Nach Angaben des französischen Außenministeriums sind unter den Toten drei Franzosen. Auch drei Chilenen kamen nach Angaben von chilenischen Behörden ums Leben. Es gebe 16 Verletzte, der Zustand von zwölf sei kritisch, teilte die Präfektur mit. Sowohl die Zahl der Toten als auch die der Verletzten könnte sich noch erhöhen.

Am Ort des Einsturzes sind Rettungskräfte immer noch dabei, in Bergen von Beton und Stahl nach Überlebenden zu suchen. "Die ersten Opfer an der Oberfläche konnten in Sicherheit gebracht werden, jetzt muss unter den Trümmern der Häuser gesucht werden, aber da sind Tausende Tonnen Beton", sagte der aus Frankreich zur Verstärkung eingetroffene Feuerwehrmann Patrick Villardry der Nachrichtenagentur AFP. Der Einsatz sei äußerst schwierig.

Der italienische Ingenieursverband rief die Regierung dazu auf, einen "Marshall-Plan" zur Restaurierung oder zum Ersatz Zehntausender Brücken im Land zu schaffen, die in den 1950er und 1960er Jahren gebaut worden waren.

Die Arbeiten an der Morandi-Brücke waren bereits in der Vergangenheit kritisiert worden. Ein Experte der Universität Genua, Professor Antonio Brencich, sagte bereits in einem Interview 2016, beim Bau habe es Ingenieursfehler gegeben. "Diese Brücke ist falsch. Jetzt oder später wird sie ersetzt werden müssen. Ich weiß nicht wann, aber es wird eine Zeit geben, wenn die Instandhaltungskosten höher sind als ihr Ersatz."

Auch ein Anwohner namens Giancarlo, der den Abend nach dem Unglück bei einer Tüte Chips und einem Glas Wein in der Bar Eridania verbrachte, hat sich seine Meinung über die Ursache der Tragödie bereits gebildet. "Das Ding war nicht mehr zu warten, das war einfach nur noch abzureißen", sagt er der SZ.

© SZ.de/AFP/AP/dpa/Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Eingestürzte Autobahnbrücke in Genua
:Suche in den Trümmern

Verzweiflung, Trauer, Tausende Tonnen Beton: In den Schock über die Katastrophe mischt sich Wut. Bilder aus Genua am Tag nach dem Brückeneinsturz.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: