Israelischer Guru vor Gericht:Der Sturz des Erretters

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Ein israelischer Guru soll 17 Frauen versklavt und seine Töchter vergewaltigt haben. Trotzdem stand der Clan lange Zeit in seinem Bann.

Peter Münch, Tel Aviv

"Er ist der Messias", hat eine seiner Frauen gesagt, und alle haben sie ihn angebetet. Manche haben sich seinen Namen eintätowieren lassen, andere seine Gesichtszüge, sie waren ganz in seinem Bann. Goel Ratzon hat sich mitten in Tel Aviv einen Harem gehalten mit mindestens 17 Frauen und 37 Kindern. Ein Geheimnis war das nicht, sogar ein Film über ihn wurde im vorigen Jahr im israelischen Fernsehen gezeigt. Da sieht man, wie die Frauen ihm das lange weiße Haar kämmen und ihn hegen und umsorgen. Doch dieses Leben ist nun vorbei. Der Guru sitzt in Haft, und die Anschuldigungen wiegen schwer: Versklavung wird ihm vorgeworfen, Vergewaltigung und Inzest. Denn auch mit eigenen Töchtern soll er Kinder gezeugt haben.

"Ich habe alle Qualitäten, die eine Frau will", sagte Goel Ratzon. Seit Juni überwachte ihn die Polizei - nun hat sie offenbar genügend belastendes Material beisammen, um den 60-Jährigen vor Gericht zu bringen. (Foto: Foto: Reuters)

Der Fernsehfilm und all das, was nun die Polizei und die Nachbarn zu berichten haben, gibt Einblick in eine Welt voller bizarrer und furchtbarer Regeln. Ratzon, 60 Jahre alt, trat als Heiler auf, und er brüstet sich gern mit seiner Wirkung aufs andere Geschlecht: "Ich bin perfekt. Ich habe all die Qualitäten, die eine Frau will", sagte er in dem Film.

Was die äußeren Lebensumstände anging, hat er den Frauen allerdings nicht viel zu bieten gehabt. Seine seltsame Großfamilie hatte er auf drei völlig überfüllte Appartements verteilt, die Frauen gingen arbeiten und verdienten das Geld. Wenn es Abend wurde, auch das zeigt der Film, suchte er sich eine Gefährtin für die Nacht aus.

Reden bei Strafe verboten

Nachbarn berichten, dass die Frauen, alle streng konservativ gekleidet, meist mit gesenktem Haupt das Haus verließen. Er hatte ihnen offenbar verboten, mit anderen Männern zu sprechen. Auch sonst galten strenge Gesetze, die Ratzon in einem Regelbuch festgehalten hat. Unbotmäßigkeiten wurden mit Geldstrafen belegt. "Es ist wie ein Staat", sagte er dazu, "ich muss meine Prinzipien durchsetzen und Ordnung schaffen." So war es den Frauen - bei einem Bußgeld von 2000 Schekel, knapp 400 Euro - verboten zu streiten. Sie durften in keinem Raum reden außer im Wohnzimmer(200 Schekel); sie durften ihn nicht unterbrechen, wenn er sprach (500 Schekel).

Es waren wohl vor allem junge, irgendwie ungefestigte Frauen, die bei Goel Ratzon Halt suchten. Er soll ein paar Jahre in Indien gelebt und dort Hypnosetechniken erlernt haben. Zur Gehirnwäsche zählte auch, das alle Kinder in abgewandten Formen seinen Vornamen trugen. Goel heißt auf Hebräisch "Erretter". Womöglich war seine Gefolgschaft noch viel größer als nun von der Polizei genannt. In dem Film war von 32 Frauen und 89 Kindern die Rede gewesen. Er machte sie so von sich abhängig, dass andere Kontakte kaum noch möglich waren. Vergeblich hatten Eltern immer wieder versucht, ihre Töchter aus Ratzons Fängen zu holen. Doch den Behörden waren die Hände gebunden, weil alle Frauen freiwillig bei ihm lebten und auch die Kinder, wenn sie in der Schule oder im Kindergarten untersucht wurden, gut ernährt und gut gekleidet erschienen.

Doch offenbar war im vorigen Sommer mindestens eine der Frauen zur Polizei gegangen und hatte um Hilfe ersucht. Seit Juni wurde Goel Ratzon überwacht, den Berichten zufolge auch abgehört und gefilmt, und jetzt glaubt man, genug Belastungsmaterial zusammengetragen zu haben. Die Polizei stürmte die Wohnungen, die alle verdunkelt und verdreckt gewesen sein sollen, und führte ihn ab. Vor dem Haftrichter erschien ein kleiner, ältlicher Mann mit Brille und Holzfällerhemd, der alles andere als verunsichert wirkt auf den Fotos, die dort von ihm geschossen wurden. Einer Schuld ist er sich ohnehin nicht bewusst, jedenfalls streitet er alles ab. Und seine Anwältin erklärt nur lapidar: "Er mag zwar anders sein, aber er ist kein Krimineller."

"Schlagt zurück, wenn mir der Staat etwas antut"

Nun muss der Staatsanwalt ans Werk gehen und den Prozess vorbereiten. Doch gefragt ist in diesem Fall zudem ein ganzes Heer von Sozialarbeitern und Psychologen, die sich um die Frauen und Kinder kümmern. Der ganze Clan wurden von der Polizei mitgenommen und wird nun betreut. Es herrscht die Angst, dass manche von ihnen durchdrehen, dass sie sich oder anderen etwas antun. Sie haben schließlich alles verloren, von einem Moment auf den anderen - ihren Guru, ihr Leben. Was Freiheit ist, werden sie nicht mehr wissen. Und es war Goel Ratzon selbst, der die Angst vor einer Katastrophe noch geschürt hatte. "Wenn ich sterbe, dann müsst ihr ein friedliches und zurückgezogenes Leben führen", hatte er seinen Frauen gepredigt. "Aber wenn der Staat mir etwas antut, dann schlagt zurück, so hart ihr könnt, auch wenn es euer Blut kostet."

© SZ vom 16.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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