Süddeutsche Zeitung

Israel: Gericht erzwingt OP von Mädchen:Amputieren statt beten

Dem krebskranken Mädchen müssten Ärzte dringend eine Hand amputieren, doch ihre frommen Eltern weigerten sich. Jetzt erzwingt ein Richter in Israel die Operation - das Leben des Kindes sei wichtiger als der Glaube von Mutter und Vater.

Peter Münch, Tel Aviv

Im Scheba-Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv liegt ein 13-jähriges Mädchen und wartet auf den Tod. Sie hat Krebs, und die Ärzte haben schon vor drei Monaten dringend eine Operation empfohlen. Die Hand soll amputiert werden, um den Tumor zu entfernen und den Krebs an der Ausbreitung zu hindern. Nur so könne das Mädchen überleben. Doch die Mutter verweigert die Operation, aus religiösen Gründen. Selbst ein Rabbiner hat sie nicht umstimmen können. Nun aber, so berichtet das Internetportal ynet, hat ein Familiengericht in Tel Aviv entschieden: Die Operation soll durchgeführt werden, das Leben eines Kindes hat Vorrang vor allen Einsprüchen, auch von Eltern.

Es ist ein Drama, wie es sich immer wieder in fundamentalreligiösen Zirkeln abspielt. Bei den Zeugen Jehovas beispielsweise sorgt die generelle Ablehnung von Bluttransfusionen regelmäßig für traurige Streitfälle. In Deutschland machte einst der Fall eines kleinen Jungen aus Augsburg Schlagzeilen, dessen Eltern, die einer islamischen Sekte angehörten, eine Tumor-Operation ablehnten und mit dem Kind die Flucht ergriffen. In Israel kennt man solche Fälle vor allem aus ultra-orthodoxen Kreisen.

So hatte unlängst eine junge Frau eine lebensrettende Krebsoperation abgelehnt, weil ihr dabei die Gebärmutter hätte entfernt werden müssen und sie keine Kinder mehr hätte bekommen können. Hintergrund im Judentum ist der Glaube, dass der menschliche Körper eigentlich Gott gehört und der Mensch nicht frei darüber verfügen darf. Weit härter als in den meisten anderen Ländern war in Israel auch um ein Organspende-Gesetz gerungen worden. Die Chefrabbiner stimmten zwar 2009 zu, doch ein paar ultra-orthodoxe Rabbis entwarfen einen Anti-Organspendeausweis und empfahlen kranken Gläubigen, lieber auf ein Wunder zu hoffen als fremde Organe zu empfangen.

Auf ein solches Wunder hat wohl auch die Mutter der 13-Jährigen gesetzt, die das Kind nach dem Tod des Vaters vor einigen Jahren alleine erzieht. Als die Ärzte sie von der Dringlichkeit einer Operation überzeugen wollten, soll sie erwidert haben, die einzige Behandlungsmethode, die ihre Tochter bräuchte, wäre Fasten und Beten. Die Warnung, dass ihre Tochter zum sicheren Tod verurteilt wäre ohne Operation, konterte sie damit, dass der Tod besser wäre als eine Amputation. Ihre Tochter, so wird berichtet, habe darauf zu weinen angefangen und gesagt: "Dann habe ich wohl keine andere Wahl."

Die Ärzte wandten sich daraufhin an das Gesundheitsministerium, von dort ging die Sache ans Gericht. Der Richter verwies im Urteil darauf, dass auch in der Halacha, dem jüdischen Recht, die Rettung von Leben über allem stehe. Nun hat das Mädchen doch wieder eine Wahl.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1119050
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.07.2011/jab
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.