Heidentum auf Island:Die Götter durchfließen alles

Für Hilmarsson sind es gute Mächte, die nicht über ihm stehen, sondern ihn umgeben, alles durchfließen. Kern seines Glaubens sei es, ein ehrlicher, guter Mensch zu sein, möglichst konfliktfrei zu leben. Odin gibt im "Hávamál", dem Hohen Lied der Edda, Ratschläge dafür. Trotzdem taugen die nordischen Götter - fehlbar und sterblich - weder als Vorbild, noch Wunschzettelempfänger. "Wir fragen nicht: Was würde Odin jetzt tun?", so Hilmarsson. "Das würde uns auch in große Probleme stürzen."

Es gibt zum Beispiel dieses Gedicht, viel jünger als die Edda, in dem die Götter eine Party feiern, sehr betrunken sind und gar nicht mitbekommen, wie die Welt unterzugehen droht. Hilmarsson hat es mit der isländischen Band Sigur Rós vertont. Der Gode ist nämlich auch Komponist, hat schon mit Sängerin Björk zusammengearbeitet und für seine Musik zum Oscar-nominierten Werk "Children of Nature" den Europäischen Filmpreis gewonnen. In Hollywood hat er für "In the cut" mit Meg Ryan komponiert, doch L.A. war nichts für ihn.

Deutsche Neonazis, die gerne "Heil Odin" brüllen

Für den ersten Spatenstich zum neuen Hof hat er sich den Tag der Sonnenfinsternis ausgesucht. Vor ihm auf dem Tisch liegen die Entwürfe für den Tempel, der am Hang zum Wasser liegen wird, einige Meter tief in den Boden eingegraben, um der Erde, der Natur näher zu sein. Lange musste die Ásatrú-Gemeinde auf den Baubeginn warten, sie hatte viel Geld in der Finanzkrise verloren. Nun steckt sie knapp 900 000 Euro in einen ersten Teil, die Versammlungshalle. Deren Form erinnert an etwas zwischen Walnuss und Arche, das raffinierte Glasdach wirft je nach Sonnenstand verschiedene Licht-Formen ins Innere. Mit dem, was die Wikinger vermutlich als Hof verstanden, hat das nichts zu tun. Die Quellen reichen ohnehin nicht, um den alten Glauben genau nachzuleben. Die Isländer versuchen es gar nicht erst, ihr Heidentum ist eine neue Religion, keine alte.

Auch in Deutschland verabreden sich erste Reisegruppen, um den Hof zu besuchen. "Unter deutschen Heiden herrscht oft der Mythos, dass in Island alles besser ist", sagt Religionswissenschaftlerin Dagmar Fügmann, die seit Jahren Ásatrú-Anhänger für ein Forschungsprojekt beobachtet. In Deutschland gebe es ungezählte Gruppen, Einzelpersonen und Vereine, insgesamt sicher mehrere Tausend germanische Heiden. Ihre Lage ist anders als in Island, auch wenn sie sich auf dieselben Quellen und Götter stützen. Die Brüder Grimm und Richard Wagner haben vermutlich aus der Edda abgeschrieben. Doch dann entstand seit Ende des 19. Jahrhunderts eine völkische Bewegung, die das germanische Heidentum zur passenden Religion für ihre Rassenideologie erkor.

Ásatrú-Anhänger in Deutschland hätten häufig die Erfahrung gemacht, "dass es eine reflexartige Gleichsetzung gibt: Wenn du germanischer Heide bist, dann bist du auch rechtsradikal", erklärt Fügmann. Dabei distanzierten sich viele deutlich von jedem rechten Gedankengut. Schuld an den Vorurteilen sind vereinzelte, rechtsextreme Splittergruppen. Und immer wieder Neonazis, die zur Sonnenwende ein Feuer anzünden und "Heil Odin" brüllen - nicht nur in Deutschland.

Die isländischen Heiden erreichen im Jahr Hunderte Briefe aus dem Ausland, sagt Hilmarsson, von Goden, die Anleitung oder offizielle Anerkennung wünschen. Es sind Irre dabei, wie einer aus Südafrika, der sich eine echte Wikinger-Frau aus Island wünschte. Die Idee von Volk und ethnischen Gruppen sei seiner Religion aber völlig fremd, sagt der Allsherjargode. Idiotisch geradezu, aus einem Glauben, bei dem Götter von Riesen abstammen, Ideen von ethnischer Herkunft abzuleiten. Das Heidentum sei immer verbunden gewesen mit Islands Geschichte und Identität, "aber nie im völkischen Sinne".

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