Island nach dem Vulkanausbruch:Am Tor zur Hölle

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"Wer sich Sorgen macht, muss woanders hinziehen": Die Isländer kämpfen um ihr Hab und Gut - und bereiten sich schon auf die nächste Katastrophe vor.

Gunnar Herrmann

Vom Esszimmer aus hat Gudny Halla Gunnlaugsdottir die Aschewolke gut im Blick. "Andere Leute hängen sich Gemälde von Vulkanausbrüchen an die Wand", sagt sie schmunzelnd. "Wir brauchen das nicht." Nur ein paar Kilometer von ihrem Gehöft Buland entfernt erhebt sich der Eyjafjalla-Gletscher, aus dessen Mitte dicker Qualm in den Himmel strömt.

Die Isländer wissen, dass zwischen Naturschauspiel und Katastrophe oft nur eine schmale Grenze verläuft: Aschewolken über dem Eyjafallajökull. (Foto: Foto: dpa)

Vom Esstisch aus gesehen erscheint der Ausbruch in der Tat malerisch. Gunnlaugsdottir reicht selbstgemachte Pralinen, ihr Mann Gudmundur Olafsson brüht frischen Kaffee. Das Ehepaar wirkt ein wenig müde. Die gepackten Koffer auf dem Wohnzimmersofa lassen erahnen, dass sich hinter der Idylle eine enorme Anspannung verbirgt. Denn die Isländer wissen, dass zwischen Naturschauspiel und Katastrophe oft nur eine schmale Grenze verläuft. Und Buland liegt mittendrin in diesem Grenzgebiet.

Dreimal musste Gudny Halla Gunnlaugsdottir sich in den vergangenen Woche in Sicherheit bringen, weil der Vulkan den Gletscher geschmolzen und Flutwellen ins Tal geschickt hatte. Isländer sind auf so etwas vorbereitet. Es gibt Notfallpläne und Warnsysteme.

Am Tag vor dem ersten Alarm war Gunnlaugsdottir noch bei einer jener Versammlungen, die der Katastrophenschutz regelmäßig einberuft. Doch als sie dann in der drauffolgenden Nacht wachgeklingelt wurde, und es hieß: "In einer Stunde müsst ihr raus", war es trotzdem ein Schock.

Es blieb noch Zeit, um Kühe und Pferde zu füttern. Gunnlaugsdottir, die auch als Homöopathin arbeitet, packte einige Blütentropfen und Heilöle ein. Die vier Kinder nahmen ihre Violinen mit. "In so einer Situation merkt man, was einem wichtig ist", sagt die Bäuerin.

Flut und Asche zogen knapp an Buland vorbei. "Aber ich bin traurig, wenn ich an die Menschen denke, die weiter im Osten wohnen", sagt Gunnlaugsdottir. Schon wenige Kilometer von ihrem Hof entfernt beginnt das Ascheland. Wer dort hin will, muss über die Ringstraße, die Island umrundet, Richtung Vulkan fahren und den Markafluss überqueren.

Seit kurzem ist die Strecke wieder passierbar. Die Flut aus dem Gletscher hatte den Fluss zum reißenden Strom anschwellen lassen, der 400 Meter der Fahrbahn einfach hinwegspülte. Ein Bautrupp hat inzwischen die Risse in Islands Hauptverkehrsader mit einer Schotterpiste notdürftig geflickt.

Hinter dem Markafluss sind die schroff abfallenden Klippen, breiten Täler und Viehweiden mit dichtem Staub bedeckt. Die Asche, die Europas Flugverkehr lahmlegte - hier kann man sie mit Händen greifen.

Sie liegt in kleinen Haufen am Wegesrand, wälzt sich auf der Straße in dicken Wolken hinter den Lastwagen her, der Wind wirbelt sie über die Felder. Am Wochenende hing das schwarze Gesteinspulver aus dem Vulkan so dick über dem Gebiet, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte.

Lesen Sie auf der zweiten Seite: Worum sich die Isländer sorgen - und ob die Ängste begründet sind.

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Ein paar hundert Menschen leben hier. Sie kämpfen verzweifelt um ihren Besitz. Die größte Sorge gilt den Tieren. Sie können krank werden, wenn sie Asche fressen. Der Staub enthält Fluor, das die Knochen und Gelenke schädigt. Kühe und Pferde werden lahm, verlieren ihre Zähne und verenden qualvoll. Die Tiere müssen darum im Stall versorgt oder ganz weggeschafft werden.

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Auch Gunnlaugsdottir hat wertvolle Zuchtpferde zu einem Hof von Freunden im Westen Islands bringen lassen. Zwar ist über Buland bis jetzt kaum Asche niedergegangen, aber sicher ist sicher. Was ist, wenn der Wind sich dreht? Oder wenn die Katla ausbricht, der größere Vulkan neben dem Eyjafjallajökull? Die Katla könnte noch viel schwerere Verwüstungen anrichten, fürchten die Bauern.

"Wir sollten uns keine Sorgen machen"

Armann Hoskuldsson mahnt zur Ruhe. Die Asche werde bald vom Regen weggespült. Und die Katla zeige keine Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch, sagt der Vulkanologe. Er hat außerdem beobachtet, dass der Vulkan unter dem Eyjafjallajökull langsam aber stetig an Kraft verliert. Zwei von drei Kratern sind erloschen, die Aschewolke schrumpft. "Wir erwarten, dass das so weitergeht."

Vielleicht werde es noch ein paar kleinere Eruptionen geben. Genau können die Wissenschaftler das nicht vorhersagen. "Wir sollten auf der Hut sein", sagt Hoskuldsson, "aber wir sollten uns keine Sorgen machen. Wer sich Sorgen macht, muss woanders hinziehen."

Ähnlich sieht man das auf Buland. Vom Hof aus kann man neben Eyjafjallajökull und Katla auch die Vulkane der Westmännerinseln erkennen, die im Süden ihre zackigen Gipfel aus dem Atlantik recken. Und etwa 50 Kilometer nördlich erhebt sich der Hekla, der auch "Tor zur Hölle" genannt wird. "Wir leben nun mal in einem Land des Feuers", sagt Gunnlaugsdottir. Ihre Homöopathenausrüstung und die Violinen wird sie erst mal eingepackt lassen.

© SZ vom 22.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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