Islam in Deutschland:Ein Gebetshaus namens Goethe

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Seyran Ateş unterzeichnete in Berlin einen Mietvertrag für eine Moschee. (Foto: AP)

Die Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş eröffnet an diesem Freitag eine liberale Moschee in Berlin. Ein Ort, an dem Frauen und Männer gemeinsam beten und es auch egal ist, ob jemand Sunnit, Schiit oder Alevit ist.

Von Matthias Drobinski, Berlin

Es ist Ramadan, und Seyran Ateş fastet. Wasser zu trinken erlaubt sie sich in diesen Tagen, da ein Interview ins nächste übergeht, sonst ist sie konsequent. Fasten! Sie lacht. Seit sie mit 18 Jahren von zu Hause weggelaufen ist, hat sie nicht mehr gefastet; die Regeln der Religion gehörten zu der Welt, die sie hinter sich lassen wollte. Seit drei Jahren nun isst sie im islamischen Fastenmonat nichts mehr, vom ersten Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Es geht ihr großartig dabei - der bewusste Verzicht am Tag, das Fest am Abend; arbeiten kann sie ohnehin am besten nachts. Es gibt aber immer noch Momente, an denen sie ungläubig staunt über sich selbst.

Seyran Ateş, die unerschrockene Anwältin und Frauenrechtlerin, die scharfe Kritikerin des männerdominierten Islams im Allgemeinen und der deutschen Islamverbände im Besonderen, ist öffentlich religiös geworden. Mehr noch. An diesem Freitag wird sie zur Gebetszeit vorn vor den Gläubigen stehen und rufen: Gott ist der Größte! Ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist! Sie wird sich auf den Boden werfen vor dem Höchsten, die Gemeinde mit ihr.

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Seyran Ateş ist Imamin geworden. Sie hat ihre eigene Moschee gegründet - eine Moschee, in der Frauen und Männer gemeinsam beten, in der Schwule und Lesben willkommen sind genauso wie Frauen mit und ohne Kopftuch, jeder, ob Sunnit, Schiit, Alevit, der glaubt, dass es das geben kann: einen modernen, reformierten Islam; ein Gebetshaus, in dem Frömmigkeit und Vernunft Freunde sind. Sie soll "Ibn-Rushd-Goethe-Moschee" heißen. Ibn Rushd, das war der andalusische Arzt und Gelehrte des 12. Jahrhunderts, der Muslimen wie Christen Aristoteles nahebrachte und in der Logik die einzige Möglichkeit des Menschen sah, glücklich zu werden. Und Johann Wolfgang von Goethe schrieb mit dem West-Östlichen Divan jenes Werk, das bis heute die muslimische und die christliche Welt verbindet.

Das Treffen mit Deutschlands erster liberaler Imamin findet im schönen Haus des Ullstein-Verlags in Berlin statt - zum einen, weil im Gebetsraum, den ihr die evangelische Johannis-Gemeinde in Moabit vermietet hat, Bruder und Schwager noch weißeln, zum anderen, weil Seyran Ateş auch gleich ein Buch über ihr Projekt geschrieben hat. "Salam, Frau Imamin", das klingt ein bisschen wie "Grüß Gott, Herr Imam", das der Penzberger Imam Benjamin Idriz geschrieben hat, der auch für sich in Anspruch nimmt, Glauben und Moderne zu verbinden. Religiös, sagt Frau Ateș, sei sie immer schon gewesen, neu sei nur das öffentliche Bekenntnis. "Ich war mir immer sicher, dass es Gott gibt", sagt sie. In ihrer Familie war man gläubig, ohne allzu großen Eifer in der Praxis, spät erst, nach der Hadsch nach Mekka, zog die Mutter ein Kopftuch auf. Als Schülerin besuchte sie den evangelischen Religionsunterricht, lernte das Vaterunser auswendig und schrieb begeistert "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" mit Lippenstift an den Spiegel in ihrem Mädchenzimmer.

Nur warum in den Religionen Frauen weniger wert sein sollten als Männer, das verstand sie nicht. Warum sollten sie nicht katholische Priesterinnen werden dürfen? Warum sollten Frauen unwürdig sein, neben den Männern in der Moschee zu beten? "Wenn ich in die Blaue Moschee in Istanbul gehe und die Aufseher sagen mir, ab hier ist jetzt für Frauen verboten, dann empfinde ich das als Kränkung", sagt sie. Und als die Frauen zu ihr, der jungen Anwältin kamen, die im Namen eines religiös begründeten Patriarchats geschlagen wurden oder zwangsverheiratet werden sollten, da wurde aus der Kränkung Zorn. Und die für sich beanspruchten, im Namen der Religion Frauen Gewalt antun zu dürfen, wurden ihre Gegner. Ihre Mitstreiterinnen und Freunde waren meist Agnostiker und Atheisten, die im Zweifel Religion verachteten, und wie hätte sie da widersprechen sollen? Sie behielt ihren Glauben im Innern, als Privatsache, "wo er eigentlich auch hingehört", sagt Ateş. Sie ist für die strikte Trennung von Staat und Religion.

Zwei Ereignisse führten dazu, dass sie nun ihren Glauben öffentlich macht. Das eine geschah am 25. September 1984: Der Mann einer Frau, die sie vertrat, schoss Seyran Ateş an. Sie schwebte zwischen Leben und Tod, spürte, wie sie ihren Körper verließ, sah, wie sich ihre Kollegin beim hektischen Versuch, 112 zu wählen, immer wieder verwählte, und dann war da Gott. Sie fühlte Wärme und Frieden, sie wünschte mitzugehen, und sagte dann entschuldigend zu Gott: Ich bin noch zu jung, ich hab noch zu viel zu tun. Sie überlebte. Seitdem, so sagt sie, habe sie keine Angst mehr vor dem Tod, seitdem sei sie mehr denn je überzeugt, dass es diese andere Welt gibt.

Das andere Ereignis war weniger dramatisch: Von 2006 bis 2009 gehörte die prominent gewordene Rechtsanwältin der Islamkonferenz an, die der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen hatte. Sie war als Vertreterin jener Muslime berufen worden, die sich nicht durch die theologisch konservativen islamischen Verbände repräsentiert sehen, sie stritt mit den Verbandsvertretern, und irgendwann sagte Wolfgang Schäuble, das Problem der liberalen Muslime sei, dass sie sich nicht organisierten, dass sie keinen Verband hätten, der Einfluss und Repräsentation reklamieren könnte. Stimmt, dachte sich Ateş.

Sie fährt lieber nicht in die Türkei

Das Mobiltelefon klingelt, Ateş' Mutter ist dran, sie ist gerade in Berlin. Das Leben für Deutschtürken ist kompliziert geworden, erst recht, wenn sie, wie Ateş, keine Fans des Präsidenten Erdoğan sind. Nach der Islamkonferenz wollte sie 2009 eigentlich in die Türkei ziehen, zu anstrengend waren ihr die ständigen Beschimpfungen und Bedrohungen geworden. Sie studierte Islamwissenschaften in Ankara, hatte Mandantinnen in Istanbul und Berlin. Der Putschversuch hat sie aus diesem Leben gerissen, zufällig war sie in Deutschland und sagte dort im Fernsehen, sie glaube nicht, dass der Prediger Fetullah Gülen den Putsch angezettelt habe. Seitdem fährt sie lieber nicht zurück und bleibt in Berlin, wo ihre Mutter, die wiederum in der Türkei lebt, sie nun immer besuchen kommt.

Warum Seyran Ateş sich nicht mit andern verbunden hat - mit dem Bund liberaler Muslime zum Beispiel, dem Lamya Kaddor vorsitzt, die Autorin, Lehrerin, Islamwissenschaftlerin? Die nächsten Minuten redet Ateş nicht sehr freundlich über Schwester Kaddor; auch Lamya Kaddor hatte nicht immer nett über Schwester Ateş gesprochen. Auch unter liberalen Muslimen ist der Kampf um die richtige Position und das knappe Gut Aufmerksamkeit durchaus hart. So wird am Freitag die eine ihre liberale Moschee eröffnen, am Samstag die andere in Köln gegen Terror und islamischen Fundamentalismus demonstrieren.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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