Süddeutsche Zeitung

Interview zur Schwarzen Szene:"Ein Abziehbild der Gesellschaft - nur in Schwarz"

Tausende Anhänger der Gothic-Szene kommen zum Wave-Gotik-Treffen nach Leipzig. Kulturwissenschaftler Alexander Nym, selbst Protagonist der Szene, erklärt im Gespräch, warum besonders Goths immer wieder Opfer physischer Gewalt werden, wie Rechte versuchen, die Szene zu infiltieren - und wieso er sich 1993 die Haare abgeschnitten hat.

Von Felicitas Kock

An diesem Wochenende wird es wieder dunkel in Leipzig: Die Schwarze Szene trifft sich zu einem ihrer größten Festivals, dem Wave-Gotik-Treffen. Doch wer sind die Menschen, die da in bizarr anmutenden Outfits gemeinsam feiern? Wie hat sich die Szene in den vergangenen Jahren entwickelt? Und was macht Protagonisten der Gothic-Kultur immer noch zur Zielscheibe für gewaltsame Angriffe? Alexander Nym - 1974 in Nürnberg geboren, selbst Protagonist der Szene und als Wissenschaftler mit der schwarzen Kultur befasst - beantwortet im Gespräch mit Süddeutsche.de die wichtigsten Fragen.

Herr Nym, wann haben Sie angefangen, Schwarz zu tragen?

Das war 1987. Ich habe schon als Kind gerne Edgar Allan Poe gelesen und Christopher-Lee-Filme geschaut. Als ich dann entdeckt habe, dass es sowas wie eine Schwarze Szene gibt, hat mich das natürlich angesprochen. Ich habe angefangen, mich dunkel anzuziehen, habe mir die Haare hochtoupiert, spitze Schuhe getragen. Ist ja auch einfacher: Man muss sich keine Gedanken mehr machen, was man anzieht, wenn im Schrank eh alles schwarz ist.

Wie hat Ihr Umfeld auf diese drastische Veränderung reagiert?

Meine Eltern haben es akzeptiert. Sie fanden es normal, dass man mit 13 ein bisschen komisch wird. Außerhalb meines Elternhauses war es natürlich nicht einfach. Sowas wie mich gab es damals einfach sehr selten. Ich bin in Nürnberg aufgewachsen, habe das zweitgrößte Gymnasium Bayerns besucht und war da zeitweise der einzige Grufti. Einen Dunkel-Punk gab es noch, aber als Schwarzkittel stand man damals in der Hackordnung der Jugendkulturen ganz unten.

Das bedeutet?

Dass man von allen auf die Fresse bekommt. In den Achtzigern war es besonders schlimm, weil es überall hieß, wir seien Satanisten und Katzenschlächter. Die Medien haben über schwarz gekleidete Teenies berichtet, die angeblich in Särgen schliefen. Das hat uns zur willkommenen Zielscheibe gemacht. Aber durch die extreme Diskriminierung, durch die Schläge, die man bisweilen einsteckt, lernt man auch, sich zu behaupten. Vielleicht hat die Szene auch deshalb bis heute überlebt - weil ihre Protagonisten seit jeher ein dickes Fell haben müssen.

Ein dickes Fell reicht nicht immer: Im Jahr 2007 wurde die 20 Jahre alte Sophie Lancaster in einem Park nahe der englischen Stadt Manchester von fünf jungen Männern so heftig verprügelt, dass sie zwei Wochen später im Krankenhaus ihren Verletzungen erlag. Die Polizei geht davon aus, dass sie angegriffen wurde, weil sie zur Gothic-Szene gehörte.

Ja, das war ein heftiger Fall. Sie wurde angegriffen, ohne etwas getan zu haben, einfach weil sie anders aussah. In Deutschland kommt es heute glaube ich ein bisschen darauf an, wo man lebt. Wenn ich mit jugendlichen Schwarzkitteln spreche, die auf dem Dorf aufwachsen, dann ist schon rauszuhören, dass sie sich damit quasi automatisch zu Opfern machen. Sie sind dort meist Einzelgänger, haben keine Lobby, können sich nicht wehren.

Die Polizei in Manchester hat kürzlich beschlossen, Angriffe auf Goths, Emos und Punks als sogenannte "Hate Crimes" einzustufen und damit härter zu bestrafen. Bisher galt das nur bei Straftaten, die wegen der Rasse, der Religion oder der sexuellen Orientierung des Opfers begangen werden. Was halten Sie davon?

Ich denke, das ist grundsätzlich kein schlechter Gedanke. Wird ein Grufti geschlagen, dann ja meistens wegen seines andersartigen Aussehens. Bestimmten Leuten ist egal, ob jemand mit schwarzer Hautfarbe oder schwarzen Klamotten vorbeigeht - solange er anders ist, wird er als Zielscheibe gesehen. Ich glaube aber nicht, dass die neue Kategorisierung tatsächlich etwas bringt. Denn die Leute, die da zuschlagen, wollen meistens ihren eigenen Sozialfrust abbauen. Wenn Menschen andere Menschen wegen ihres Aussehens attackieren, ist das ein grundlegendes gesellschaftliches Problem und keine Frage der Kategorie.

Also kein geeignetes Modell für Deutschland?

Ich denke, gerade in Deutschland werden Mitglieder der Schwarzen Szene heute eher anerkannt als noch in den achtziger Jahren. In den Neunzigern gab es dieses Revival - auf einmal interessierten sich unglaublich viele Leute für unsere Musik und unsere Kleidung. Die Szene rückte ein gewaltiges Stück in Richtung Mainstream. Man kann heute gar nicht mehr von einer Jugendkultur sprechen. Die Protagonisten, die von Anfang an dabei waren, stehen jetzt kurz vor der Rente. Gothic ist heute eher ein Lebensstil, für den sich Menschen jedes Alters und aller gesellschaftlichen Schichten entscheiden.

Was macht diesen Lebensstil aus?

Losgegangen ist das Ganze ja mit der Punk- und Industrial-Musik der siebziger Jahre. Aber heute spielt Musik nicht mehr die Hauptrolle. Literatur, Filme, die Art, wie man seine Wohnung einrichtet - eigentlich erstreckt sich die schwarze Kultur auf jeden Lebensaspekt. Der kleinste gemeinsame Nenner, die universelle Gemeinsamkeit, ist natürlich die schwarze Kleidung. Aber ansonsten ist die Szene sehr individualistisch. Es geht darum, das eigene Leben zum Kunstwerk zu machen, aber jeder interpretiert Gothic anders. Auf dem Wave-Gotik-Treffen (WGT) wird man das jetzt wieder ganz gut beobachten können.

Bei dem Treffen handelt es sich um eines der größten Festivals der Szene weltweit. Was laufen da für Leute rum?

Als ich zum ersten Mal dort war, Anfang der Neunziger, war das ein ganz kleines Fest für ein paar Freaks. Und jetzt ist es riesig! Manche reisen extra aus dem Ausland an. Und die Besucher sind ganz unterschiedlich. Da läuft dann der blutüberströmte Zombie neben der Manga-Prinzessin durch die Gegend. Insgesamt würde ich sagen, die Besucher des Festivals sind ein Abziehbild unserer Gesellschaft, nur eben in Schwarz.

Und Braun.

Sie sprechen den Vorwurf an, dass in der Gothic-Szene auch viele Rechtsradikale ihren Platz gefunden haben sollen. Diesen Vorwurf gibt es schon so lang wie die Szene. Und sicher ist da ein rechter, vielleicht sehr rechter Rand. Vor allem in den neunziger Jahren haben Nazis versucht, sich anzubiedern. Die ganze Sache mit den Runen, Themen aus der europäischen Geschichte, die in den Texten mancher Bands verarbeitet werden, das Dunkle - davon geht schon eine große Verführungskraft aus. Aber die Szene ist grundsätzlich unpolitisch. Goths lassen sich ungern belehren.

Wie kann man unpolitisch bleiben, wenn Rechtsradikale versuchen, die eigene Szene zu infiltrieren?

Infiltrieren ist nicht das richtige Wort. Die Rechten haben es nicht geschafft, Szenegänger in großem Stil für ihre Ideologie einzunehmen. Es gibt ein paar Rechte, auch auf dem WGT. Aber das sind einzelne und die werden eigentlich gar nicht bemerkt. Goths suchen auch nicht nach ihnen, sie wollen keine Konfrontation, das sind meist ganz zurückhaltende, introvertierte, sensible Leute. Es gibt jetzt eine Aktion, die heißt "Schwarz gegen Braun". Die Initiatoren sind aber weniger politisch-dogmatisch, sondern leisten Infoarbeit bei Veranstaltungen wie jetzt beim WGT.

Wenn Sie von der Szene sprechen, geraten sie gelegentlich ins Schwärmen. Warum haben sie sich 1993 die Haare abgeschnitten und ein Jahr lang keine schwarze Kleidung mehr angerührt?

Ich glaube, ich habe immer nach mehr Tiefe gesucht. Ich dachte, wenn ein Mensch den Mut hat, sich so krass vom Mainstream abzuwenden, dann muss da doch auch ein intellektueller Hintergrund sein. Meine Erwartungshaltung wurde enttäuscht - Gothic war nicht die sensibel-intellektuelle Szene, die ich damals gesucht hatte. Das hat mich irgendwann ermüdet. Trotzdem hat mich das Ganze nie wieder richtig losgelassen, sodass ich mich heute auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit der Szene beschäftige. Nur meine Hardcore-Phase, die ist eben vorbei.

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