Interview über Untreue:Eine Frage von Kosten und Nutzen

Der Verhaltensforscher Karl Grammer weiß ganz genau, wie Mann und Frau ticken: Auch in einer festen Beziehung halten beide weiterhin Ausschau nach dem idealen Partner.

Von Gabriela Herpell

Karl Grammer, geboren 1950, studierte Zoologie, Anthropologie und Physik an der Universität München und arbeite seit 1978 an der Forschungsstelle Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft.

Seit 1991 leitet der Verhaltensforscher das Ludwig-Boltzmann-Institut für Urbanes Verhalten in Wien. In seinem Buch "Signale der Liebe" (DTV) zeigt er fundiert auf, welche Mechanismen und Gesetze die Kontaktaufnahme, die Wahl eines Partners und die dazu gehörigen Strategien bestimmen. Jetzt arbeitet Grammer an einem neuen Buch, dessen vorläufiger Titel "Reproduktionsmaschinen" ist und das nächstes Jahr erscheint.

Das Institut für Humanbiologie in Wien: In kleinen Zimmern beugen sich eifrige Studenten über Mikroskope, überall stehen Skelette herum, die Atmosphäre ist streng wissenschaftlich. Professor Karl Grammer hält noch eine Vorlesung, dann kommt er den Gang entlang geschlendert. Während des Interviews spielt er mit einer unangezündeten Zigarette, er wirkt aber dennoch sehr entspannt. Seine Thesen, die manchmal sehr desillusionierend klingen, scheinen ihm großen Spaß zu machen.

SZ: Herr Professor Grammer, Ihr Schwerpunkt als Verhaltensforscher liegt auf Beziehungen. Sagen Sie, sind Männer treuloser als Frauen?

Grammer: Männer erwarten von einer Partnerin, in die sie investieren, mehr oder minder die Treue - suchen aber selber weiter.

SZ: Aha.

Grammer: Ja.

SZ: Also noch schlimmer als gedacht. Sagten Sie gerade "investieren"?

Grammer: Ja, denn die Biologie trifft ihre Entscheidungen auf Grund der Kosten-Nutzen-Rechnung. Der hohe Treueanspruch des Mannes an die Frau kommt daher, dass der Mann im Gegensatz zu der Frau nie sicher ist, dass seine Kinder sein eigener Nachwuchs sind. Aus diesem Grund hat das körperlich stärkere Geschlecht angefangen, die Frauen zu kontrollieren. Die Verschleierung in bestimmten Gesellschaften, das ist keine kulturelle Entwicklung, sondern Biologie. Umgekehrt können Sie sehen: Je weniger das Investment des Mannes in den Nachwuchs eine Rolle spielt, desto freier sind die Frauen.

SZ: Wo ist das der Fall?

Grammer: Bei uns. Der Staat beteiligt sich an den Kosten, er zahlt im besten Fall Kindergarten und Ausbildung, er zahlt eventuell Sozialhilfe für Mutter und Kind. Der Versorger ist nicht mehr so nötig. Auf einmal findet man viele Alleinerziehende.

SZ:Aber ein Kind kostet viel, und nur in der Not hilft der Staat mit Sozialhilfe.

Grammer: Aber er tut es eben. Gleichzeitig muss man bei einer Beziehung viele Kompromisse eingehen. Eine Frau wägt heute ab: Komme ich allein durch mit dem Kind? Oder muss ich mich mit einem Mann zusammentun, obwohl ich allein besser dran wäre?

SZ:Männer neigen zur Untreue, während Frauen zum Desinteresse tendieren?

Grammer: Nein. Ich habe bisher nur über die Untreue der Männer geredet. Auch Frauen suchen noch weiter, wenn sie bereits in einer Beziehung sind. Die Gründe sind nur andere als bei Männern. Sie suchen immer nach dem besseren Mann. Frauen suchen ihre Männer nach dem Status aus.

SZ:Was ist Status?

Grammer: Geld, Ruhm, Ansehen. Vor allem Geld.

SZ: Wie altmodisch.

Grammer: Am Kiosk sehen Sie, wie archaisch die Partnerwahl funktioniert: In Frauenmagazinen geht es nur um Schönheit, in Männermagazinen um schnelle Autos und Geld. So primitiv ist das.

SZ: Könnte es nicht auch mal so etwas wie Coolness sein? Guter Musikgeschmack - zum Beispiel?

Grammer: Nein, nein, es sei denn, der Geschmack lässt einen Rückschluss auf eine bestimmte gesellschaftliche Position zu.

SZ: Also sucht die Frau immer nach einem Mann mit mehr Geld, und sobald sie so einen sieht, geht sie mit ihm ins Bett.

Grammer: Theoretisch: ja. Die Mission der Frau ist es, Männer mit immer höherem Status zu wählen, bis zu dem Punkt, an dem die Männer nicht mehr tolerabel sind.

SZ: Was für Männer sind das?

Grammer: Machos. Aber die Frau braucht ja eine Beziehung, in die sie investieren kann, für ihren Nachwuchs. Und da haben die Frauen eine wirklich lustige Methode entwickelt: Die Männer, die sie heiraten, sind eher die feminisierteren Typen. Die Männer, mit denen sie ins Bett geht dagegen - das sind vor allem die Machos.

SZ: Der feminisierte Typ ist der Versorger?

Grammer: Ja. Er versucht, seinen Mangel an Attraktivität durch höheres Investment auszugleichen.

SZ: Bedeutet das, die Alpha-Männer dieser Welt sind vielfache Väter - und ihre Kinder werden von Weicheiern versorgt?

Grammer: So wäre es - wenn die Frauen damit durchkämen.

SZ: In Deutschland soll jedes achte Kind nicht das leibliche des Vaters sein, der es aufzieht.

Grammer: Das halte ich für übertrieben. Da gibt es sehr viele unterschiedliche Zahlen, und es ist auch extrem schichtabhängig.Sicher ist hingegen: Es ist absolut keine Seltenheit, dass ein Mann Nachwuchs aufzieht, der nicht sein eigener ist.

SZ: Also sind Frauen so untreu wie Männer.

Grammer: Wie wissen nur, dass sie auch untreu sind. Doch Frauen haben die besseren Tricks entwickelt; aus gesellschaftlichem Druck heraus, denn ihre Untreue ist noch nicht so anerkannt wie die der Männer. Frauen verbergen beispielsweise heute ihre Empfängnisbereitschaft.

SZ: War sie denn mal sichtbarer?

Grammer: Bei Schimpansen können Sie eine 30 Zentimeter lange Schwellung sehen, die orangerot leuchtet. Bei anderen Säugern ist die Empfängnisbereitschaft riechbar. Die Menschen haben sie versteckt.

SZ: Dabei heißt es doch immer, Männer würden die Fruchtbarkeit der Frau spüren: Die Haare glänzen, die Haut ist rosig, ihre Gesten sind einladender . . .

Grammer: Die Signale sind deutlich dezenter als bei anderen Säugern, aber Sie haben Recht, Männer können die Empfängnisbereitschaft der Frauen instinktiv erkennen. Wir haben Frauen Tagebuch führen lassen zum Verhalten ihres Partners. Da stellte sich heraus, dass er zum Zeitpunkt der Ovulation häufiger unangemeldet vorbei kam, Blumen mitbrachte, schlecht über andere Frauen redete. Das nennt man Überwachungsverhalten. Ich gehe nicht davon aus, dass die Männer eine echte Ahnung haben, in welchem Empfängnisstadium sich die Frau befindet. Und doch passen sie auf, dass sie nicht fremd geht. Sie haben, wie gesagt, auch allen Grund dazu. Frauen sind tatsächlich sehr willig zur Zeit ihres Eisprungs. Sie paaren sich häufiger als sonst, und zwar oft sogar gleich doppelt.

SZ: Doppelt?!?

Grammer: Das heißt, dass sie innerhalb kürzester Zeit, also vielleicht innerhalb von 24 Stunden, mit zwei Männern schlafen. Davon ist natürlich nur einer der Partner. Wenn überhaupt.

SZ: Sehr interessant. Aber wozu soll das gut sein, evolutionsbiologisch?

Grammer: Es sichert das optimale Erbmaterial: Der Bessere wird gewinnen. Sie betreiben Spermienkonkurrenz.

SZ: Manche Männer sind doch notorische Fremdgeher, wie John F. Kennedy oder Warren Beatty. Und andere nicht.

Grammer: Sie wollen darauf hinaus, dass es auch Unterschiede gibt in den Ausmaßen von Treue und Untreue. Da geht es dann aber nicht mehr um das, was im Menschen angelegt ist, sondern um sozio-sexuelle Strategien, die von anderen Faktoren abhängen. Es gibt zwei: Entweder bin ich treu und investiere, aber nicht in viele, oder ich bin untreu und kann nicht so viel investieren, weil es so viele sind.

SZ: Herr Grammer, wenn man Ihnen zuhört, bekommt man das beklemmende Gefühl, dass man seiner Bestimmung gar nicht entkommen kann.

Grammer: Ja, und Sie können Ihre Bestimmung sogar an der Länge ihrer Finger erkennen. Die zeigt nämlich an, wie die Hormone im Körper verteilt sind. Wenn Kinder eine weibliche Fingerlänge haben - also der Zeigefinger länger als der Ringfinger ist - sind sie weniger promisk. Anders als die mit männlicher Fingerlänge, bei denen der Ringfinger länger ist als der Zeigefinger. Die haben in der Regel viele Partner. Und Probleme mit Mathematik.

SZ: Dabei sind Jungs doch meistens besser in Mathe als Mädchen.

Grammer: Zuviel Testosteron führt aber dazu, dass man nicht gescheit denken kann. Wenn Sie dann die Partnerwahlstrategien untersuchen, die so genannten Lifetime-Strategies, können Sie Folgendes sehen: Eine Mutter, die viel Testosteron produziert, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Kind bekommen, in dessen Lifetime-Strategie viele verschiedene Sexualpartner vorkommen. Wenn sie viel Östrogen produziert, wird ein monogamer Mensch daraus. Steuern kann man das nicht, es sind sehr viele Dinge, die diesen Hormonhaushalt beeinflussen, Ernährung, Klima, Lebensumstände, alles eigentlich, bis hin zu kulturellen Faktoren.

SZ: Kann man denn nicht ein wenig an seiner sozio-sexuellen Strategie ändern? Michael Douglas ist angeblich treu, seit er Catherine Zeta-Jones getroffen hat.

Grammer: Das fällt wohl in den Bereich serielle Monogamie. Die Monogamie, so wie wir sei kennen, ist sowieso eine recht späte Erscheinung. Normal war: ein Mann mit vielen Frauen. Heute haben die Männer in der modernen Gesellschaft eine junge Frau, mit der sie jung Kinder bekommen, dann heiraten sie nochmal, wenn sie 40, 45 sind, und zwar wieder eine junge Frau, mit der sie Kinder bekommen.

SZ: Die moderne Form der Vielweiberei.

Grammer: Eben. Daher kommt es auch, dass Männer Untreue als sexuelle Untreue wahrnehmen und Frauen als emotionale. Er hat bei sexueller Untreue mehr zu befürchten, sie hat durch emotionale Untreue mehr zu verlieren. Wenn er eine andere liebt, zieht er das Investment ab und gibt es woanders hinein.

SZ: Das scheint Sie ja sehr zu freuen.

Grammer: Ich liebe diese evolutionsbiologischen Theorien; sie sind so einfach. Man braucht keine Konstrukte. Alles geht immer nur auf eines zurück: die Sicherung des Erbguts. Zwei Menschen tun sich zusammen, um ein neues Individuum auf den Weg zu bringen. Es wäre doch viel einfacher, jeder wäre für seinen Nachwuchs allein verantwortlich, viel ökonomischer. Doch sie verzichten auf die Hälfte der Population in der Produktion. Und sogar dafür gibt es eine elegante, evolutionsbiologische Erklärung.

SZ: Nämlich?

Grammer: Die Existenz von Parasiten. Nur mit der Hilfe von permanenter Durchmischung und Generationen von neuen Immunsystemen kann man den Parasiten trotzen. Weil sich die Parasiten immer anpassen. Man kann ihnen nur davonlaufen, durch ständige Veränderung der Lebensumstände. Durch variable Nachkommen also, denn so hat der Parasit das Immunsystem ja jeweils noch nie gesehen.

SZ: Das heißt, wir haben nur Sex, weil es Grippeviren oder Bakterien gibt?

Grammer: Genau. Im Idealfall haben wir Sex mit jemandem, der ein ganz anderes Immunsystem hat als wir selbst.

SZ: Wie erspürt man das?

Grammer: Menschen reagieren positiv auf andere Menschen, weil sie finden, dass sie gut riechen. Man kann tatsächlich feststellen, dass man auf den Geruch einer Person anspringt, deren Immunsystem dem eigenen entgegengesetzt ist; das nennt man "ehrliche Signale".

SZ: Gibt es denn noch mehr?

Grammer: Das Immunsystem wird markiert durch Dinge wie reine Haut oder Körperbau. Ein breites Kinn bei einem Mann zeigt beispielsweise an, dass er viel Testosteron hat, und wenn dieser Mann mit seinem breiten Kinn die Pubertät überlebt, zeigt das an, dass er sich das Testosteron leisten konnte. Das Kinn ist also ein Signal für ein gutes Immunsystem.

Eine Frage von Kosten und Nutzen

SZ: Wie greift Ihre Theorie, wenn sich zwei Menschen zusammentun, die nicht das Bedürfnis haben, sich fortzupflanzen?

Grammer: Das geht ja erst seit 50 Jahren, seit es Verhütungsmöglichkeiten gibt und diese auch zugelassen sind. Aber das ändert nichts, die Kopplung ist sowieso indirekt: Das Ganze läuft über Sex. Da gibt es Gehirnmodule, die die Entscheidungen treffen. Das stellt man sich heute vor wie ein Schweizer Taschenmesser. Die Menschen haben in den sechs Millionen Jahren, die es sie gibt, die Einzelteile eines Schweizer Taschenmessers erworben, um die Probleme zu lösen. Es ändert sich also nichts für Leute, die sich gegen Reproduktion entschieden haben.

SZ: Das heißt, auch jemand, der sich nicht fortpflanzen will, reagiert auf die fruchtbare Ausstrahlung einer Frau oder auf das breite Kinn eines Mannes. Und ist getrieben von der ganzen Problematik, ohne Nachwuchs zu wollen. Klingt abstrus.

Grammer: Vielleicht, aber man kann gar nicht desinteressiert sein am genetischen Material, das liegt nicht im Bereich des Willens. Sie nehmen Attraktivität wahr, ob Sie wollen oder nicht. Und die Kriterien bleiben immer gleich.

SZ: Welche sind es denn?

Grammer: Da gibt es drei Grundlagen: Alles, was mit Hormonmarkierungen zu tun hat, volle Haare, Gesichtszüge, Körperbau, Geschlechtsmerkmale. Dann das Alter, weil das mit dem Reproduktionsstatus zu tun hat. Und Symmetrie, weil sie anzeigt, inwieweit das Genom in der Lage ist, sich mit Entwicklungsstörungen auseinander zu setzen. Attraktivität setzt sich überall durch: Ein attraktives Baby wird mit mehr Aufmerksamkeit bedacht als ein unattraktives. Ein attraktives Kind kommt besser durch die Schule, ein attraktiver Mensch verdient später mehr, wird vor Gericht besser behandelt. Wir sind süchtig nach Attraktivität.

SZ: Und was geschieht im Alter? Wie reagieren ältere Menschen aufeinander?

Grammer: Die Evolution hat nur bis zur Menopause oder bis kurz danach gearbeitet. Langlebigkeit war nicht vorgesehen. Aber ich denke, die Mechanismen bleiben dieselben, auch wenn keine Reproduktion mehr stattfinden kann. Sehen Sie sich 50-jährige Männer an: Da spielt Attraktivität immer noch eine große Rolle. Und Fruchtbarkeit. Darum suchen sie sich doch alle junge Frauen.

SZ: Verzeihung, aber: Immer mehr Frauen suchen sich doch heute junge Männer.

Grammer: Das ist eine so neue Entwicklung, dass sie für uns nicht relevant ist. Aber das liegt auch daran, dass sie länger leben und mehrere Beziehungen haben können. Das Leben ist ja sowieso zu lang geworden, um in einer Beziehung zu bleiben. So ewig war das Zusammenleben von zwei Menschen nie vorgesehen.

SZ: Wie lange war es denn vorgesehen?

Grammer: Es ist bewiesen, dass die Beziehung von zwei Menschen so lange hält wie es dauert, eine Brut aufzuziehen; also drei bis sechs Jahre. Anhand der Scheidungsraten lässt sich feststellen, dass viele Ehen dann tatsächlich beendet sind

SZ: Aber da ist die menschliche Brut doch längst noch nicht so weit. Dann wäre es also sozusagen normal, wenn ein Vater seine Kinder mit sechs Jahren verlässt.

Grammer: Normal gibt es nicht. Es geht auch hier wieder darum, ob sich eine andere Beziehung bietet, in der man die Kosten-Nutzen-Rechnung als günstiger erachtet oder nicht. Die Welt ist halt so materiell.

SZ: Wenn ein Mann sein Kind verlässt, um mit einer neuen Frau ein anderes zu produzieren - was könnte der Nutzen sein?

Grammer: Der kann emotional sein: mehr Liebe, besserer Sex. Die Leute denken ja nicht an Reproduktion. Sie denken an Sex! Und der zieht dann die Reproduktion nach sich.

SZ: Also kann der bessere Nutzen schlicht besserer Sex sein.

Grammer: Klar. Sexuelles Missvergnügen in Beziehungen ist der größte Trennungsfaktor.

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