Interview:"Schnee allein war sicher nicht der Grund für den Einsturz"

Nach dem Unglück in Bad Reichenhall werden nun viele öffentliche Gebäude hektisch geprüft, manche sogar evakuiert. Werden Bestandsbauten zu wenig kontrolliert? Uni-Professor Albrecht, Prüfingenieur für Baustatik, erklärt, welche Lasten Gebäude aushalten müssen und wie sie geprüft werden.

Eike Schrimm

Professor Gert Albrecht vom Lehrstuhl für Stahlbau an der Technischen Universität München ist Prüfingenieur für Baustatik. Im Auftrag der Obersten Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren untersucht er regelmäßig Gebäude und Brücken auf ihre Standfestigkeit.

Interview: Das Archivfoto zeigt die Eissporthalle Bad Reichenhall im Sommer 2005.

Das Archivfoto zeigt die Eissporthalle Bad Reichenhall im Sommer 2005.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Ist die Rechnung nicht ganz einfach: Der Schnee war viel zu schwer für das Dach der Eishalle?

Albrecht Nein, so einfach kann man das in der Tat nicht sagen. Es wurden ja Messungen durchgeführt. Das heißt also, der Eigentümer wusste, welche Last sein Dach aushalten kann, denn es wurde vom kritischen Grenzwert gesprochen. Gemeint war der zulässige Grenzwert. Und selbst wenn dieser Grenzwert erreicht wird, stürzt noch kein Dach zusammen. Da ist immer noch der Sicherheitsbeiwert. Erst wenn dieser Puffer aufgezehrt ist, kann das Dach einbrechen.

sueddeutsche.de: In Hamburg schneit es weniger als in Bad Reichenhall. Hat das Wetter Einfluss auf den Grenzwert?

Albrecht In der DIN 1055 sind Schneelastzonen für ganz Deutschland festgelegt. Danach kann man die Schneelasten pro Quadratmeter bestimmen und in der statischen Berechnung berücksichtigen.

Die Oberste Baubehörde im Staatsministerium des Inneren hatte festgestellt, dass die Karten für Bayern - speziell Oberbayern - zu ungenau sind. Sie hat deshalb eine wesentlich genauere Karte mit entsprechenden höheren Schneelasten eingeführt. Diese Schneekarte besagt also, mit welcher Schneelast in einer ganz bestimmten Region zu rechnen ist. Beim Bau eines Gebäudes ist diese Schneekarte ein verbindliches Regelwerk.

Selbst wenn beim Bau der Halle in den 70er Jahren die Karte der Schneelastzonen noch nicht vorlag und quasi nur die DIN bei der Dachkonstruktion eingehalten worden ist, hat der Eigentümer die Daten aus der Schneekarte zur aktuellen Berechnung des kritischen, zulässigen Grenzwertes herangezogen. Sonst wäre doch gar kein Mensch auf die Idee gekommen, Messungen vorzunehmen. Der Schnee allein war sicherlich nicht Grund für den Einsturz.

sueddeutsche.de: Schnee ist nicht gleich Schnee. Wie genau kann man sein Gewicht überhaupt errechnen?

Albrecht Pulverschnee ist natürlich viel leichter als Schnee, der viel Wasser gespeichert hat. Man benötigt deshalb den Wasseranteil im Schnee und die Höhe der Schneedecke, um zu berechnen, welches Gewicht auf dem Dach liegt. In der Praxis sieht die Messung dann so aus, dass man mit einem Glaszylinder den Schnee aufnimmt und ihn dann schmilzt. Je mehr Wasser aus ihm gewonnen wird, desto schwerer ist er. Ein Kubikmeter Wasser wiegt immerhin eine Tonne oder anders gesagt: zehn Kilo-Newton, wobei ein Kilo-Newton zehn Zentimeter Wasser auf einem Quadratmeter sind.

sueddeutsche.de: Muss ein bestehendes Gebäude regelmäßig geprüft werden, wie zum Beispiel ein Auto?

Albrecht Die Eishalle ist ein öffentliches Gebäude und muss deshalb mindestens alle fünf Jahre gemäß der bayerischen Landesverordnung über Bau und Betrieb von Versammlungsstätten überprüft werden. Entweder nimmt die Untere Bauaufsichtsbehörde diesen sorgfältigen Sicherheits-Check selber vor oder es werden Prüfingenieur oder Sachverständige beauftragt.

sueddeutsche.de: Die Eishalle wurde in den 70er Jahren gebaut worden. Dieses Jahrzehnt ist verschrieen und man hat sofort minderwertige Betonbunker im Kopf.

Albrecht Natürlich werden jetzt wieder viele Vorurteile laut. Aber so weit ich das beurteilen kann, war das Dach der Halle eine stabilen Holzträger-Konstruktion. Die Dacheindeckung bestand aus Trapezblechprofilen. Diese Bauart ist üblich - auch heutzutage noch - und darf jetzt nicht verdammt werden.

sueddeutsche.de: Aber wie konnte die Halle trotzdem zusammenbrechen?

Wie oft bei solchen tragischen Unglücken, sind bestimmt mehrere Faktoren zusammengetroffen. Eine qualifizierte Aussage kann meines Erachtens erst durch Recherchen vor Ort oder durch Bauteile-Versuche und vor allem durch Sichtung aller technischen Unterlagen, Abnahmezeugnisse et cetera getroffen werden.

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