Interview:Promis auf Entzug

Eine Ärztin am Londoner Entzugsklinikum Capio Nightingale spricht über süchtige Stars und ihre Therapie im Rampenlicht. Auch Skandalrocker Pete Doherty war schon Patient in dieser Klinik.

Lukas Fritsch

Die Diagnose Sucht bei Stars ist so alt wie die Entertainment-Branche selbst. Neu ist, dass Musiker und Schauspieler immer öfter professionelle Hilfe suchen - in Kliniken, die mittlerweile selbst berühmte Namen tragen.

Auch Pete Doherty war schon in der Londoner Entzugsklinik Capio Nightingale.

Auch Pete Doherty war schon Patient in der Londoner Entzugsklinik Capio Nightingale.

(Foto: Foto: dpa)

Über die Therapie prominenter Patienten sprach die Süddeutsche Zeitung mit Henrietta Bowden-Jones, Psychiaterin am Capio Nightingale Hospital in London. Dort wurde unter anderem der außer Kontrolle geratene Rockstar Pete Doherty behandelt - ein vierwöchiger Aufenthalt kostet etwa 29.000 Euro.

SZ: Mrs. Bowden-Jones, kommen Patienten wie Pete Doherty in der Regel rechtzeitig zu Ihnen?

Bowden-Jones: Zunächst einmal werde ich hier natürlich nicht über irgendwelche bestimmten Patienten reden, das werden Sie verstehen. Aber zu Ihrer Frage: Bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit ist die Behandlung meistens überfällig. Die Betroffenen melden sich oft erst dann, wenn sie ihr Leben nicht mehr in den Griff bekommen. Bei Film- oder Musikstars ist der Punkt für eine Behandlung meist in dem Moment erreicht, wenn sie ihren Zeitplan nicht mehr einhalten können. Manchmal sagt auch der Agent: Du ruinierst deinen Ruf, wenn du keine Pause machst - sag, dass du müde bist und clean werden willst.

SZ: Hat sich die Art der Abhängigkeiten über die Jahre verändert?

Bowden-Jones: Viele unserer Patienten sind süchtig nach Alkohol, Heroin oder Kokain. Meistens handelt es sich um eine kombinierte Abhängigkeit. Es kann etwa in erster Linie eine Alkohol- oder Kokainabhängigkeit vorliegen, plus Spiel- oder Sexsucht obendrauf. Häufig kommt auch eine Kombination von Alkohol und Kokain vor. Besonders in der Welt der Stars.

SZ: Für gewöhnliche Patienten ist der Arzt eine Respektperson. Haben Sie es mit erfolgsverwöhnten VIPs schwerer?

Bowden-Jones: Nein. Sehen Sie, wenn berühmte Menschen zu uns kommen, ist das zunächst einmal eine sehr demütigende Erfahrung für sie. Mit demütigend meine ich, dass ihnen hier bewusst wird, dass sie genauso sind wie alle anderen. Und so werden sie auch behandelt.

SZ: Wie verläuft die Therapie?

Bowden-Jones: Unsere Patienten durchlaufen ein vierwöchiges 12-Stufenprogramm. Der wichtigste Bestandteil sind Gruppensitzungen. Die Gruppen setzen sich aus den unterschiedlichsten Leuten zusammen. Einige sind extrem reich und bekannt, andere sind Kapazitäten in ihrem Fachgebiet, deshalb aber nicht unbedingt berühmt. Wir haben hier hochrangige Banker und Politiker, Menschen, die wirklich wichtig für England sind.

SZ: Diese Mischung ist beabsichtigt?

Bowden-Jones: Ja, denn sie bringt alle Teilnehmer auf einen Nenner. Und der lautet: Du bist wie jeder andere, und ja, du hast diese Eigenschaft - sei es Impulsivität oder eine genetische Veranlagung -, die dich für eine Abhängigkeit empfänglich macht.

Promis auf Entzug

SZ: Für einen Star muss das eine harte Erfahrung sein - zu erkennen, dass er bloß einer von vielen ist.

Bowden-Jones:: Ja, sehr hart! Aber das ist auch der Grund dafür, warum die Gruppen so gut funktionieren. Der Arzt könnte sonst nie so grausam- nun, "grausam" ist vielleicht ein schwieriges Wort - ...so konfrontativ zu den Patienten sein.

SZ: Worin besteht die Konfrontation?

Bowden-Jones: Wenn neue Patienten in die Gruppe kommen, stellen sie sich vor: Mein Name ist soundso, ich bin drogenabhängig. Und nur das ist die Terminologie, die eine Rolle spielt. Die Gruppen analysieren gemeinsam: Warum habe ich Drogen gebraucht, wie muss eine Zukunft ohne Drogen aussehen, welche Schäden habe ich mit dieser Sucht meiner Familie, meinen Freunden und meinem Leben allgemein zugefügt. Die Teilnehmer erzählen ihre gesamte Lebensgeschichte, die sie bis an diesen Punkt gebracht hat. Vor der Gruppe. Das ist sehr schmerzhaft.

SZ: Was ist die Methodik einer Entziehungskur - harte Arbeit oder manchmal auch einfach nur Entspannung?

Bowden-Jones: Es ist eine Menge harter Arbeit, sehr intensiv. Eine Entzugsklinik ist kein Wellness-Spa. Wer ausgebrannt ist, kann in ein Spa gehen, um zu entspannen. Wer abhängig ist, muss in eine Entzugsklinik.

SZ: Ein Mensch, der ständig in der Öffentlichkeit steht, hat gewöhnlich Übung darin, sich nach außen hin abzuschotten. Wie kommen Sie an jemanden ran?

Bowden-Jones: Oft ist das gar nicht so schwierig. Wenn sehr bekannte Leute zu uns kommen, sind sie normalerweise in einer ziemlich schlechten Verfassung, so dass man nicht sehr lange braucht, um zu ihnen durchzudringen. Sie wollen ja, dass ihnen geholfen wird.

SZ: Reden wir über Britney Spears. Wie kann man eine Behandlung durchführen, wenn man den eigenen rasierten Schädel und Analysen seiner seelischen Verfassung in jeder Zeitung sehen muss?

Bowden-Jones: Die ersten Tage sind die Patienten ziemlich abgeschnitten, meistens verbringen sie ihre gesamte Zeit in der Klinik. Aber klar, es gibt hier Zeitungen, und jeder darf mitbringen, was er will. Das ist ja auch der Sinn des Ganzen: zu lernen, der Wirklichkeit wieder zu begegnen - mit all dem, was dazugehört. Die Medien werden über sie berichten, daran wird sich nichts ändern. Wie begegnen sie also in Zukunft dem Stress und den Angriffen auf ihre Privatsphäre? Daran arbeiten wir in der Therapie.

SZ: Auch Ärzte lesen Klatschspalten. Ist es nicht schwierig, mit diesem Wissen im Kopf neutral auf einen Menschen zuzugehen?

Bowden-Jones: Gegenfrage: Was tut ein Arzt, wenn sich ein Star das Bein bricht? Würde es die Art und Weise verändern wie er operiert? Nein, das würde es nicht. Sehen Sie, der Rest der Welt behandelt diese Leute nicht wie normale Menschen. Also müssen wir es tun. Wir machen einfach unseren Job.

SZ: Manche brechen ihre Therapie auch ab - wie gerade Robbie Williams.

Bowden-Jones: Die Behandlung steht und fällt damit, dass der Patient die Motivation hat, gesund zu werden. Ist jemand dazu noch nicht bereit, kommt es vor, dass er die Therapie abbricht. Stars haben dazu noch Termindruck. Sie denken etwa: Oh Gott, ich habe bald dieses Fußballturnier oder jene Tournee. Wenn ich absage, kostet mich das einen Haufen Geld, und die Leute werden unangenehme Fragen stellen. Wer einen normalen Job hat, kann mitunter leichter sagen: Es geht mir nicht gut, ich mache eine Pause.

SZ: Als Pete Doherty bei Ihnen war, standen vor der Tür die Paparazzi. Wie gehen Sie mit solchen Zaungästen um?

Bowden-Jones: Nun, wir haben einfach nichts mit ihnen zu tun.

SZ: Aber wenn Fotografen aufs Gelände vordringen und die Privatsphäre stören, ist das nicht ein Problem?

Bowden-Jones: Es gibt Vorkehrungen, um so etwas zu vermeiden. Wer kein Patient ist und keinen Termin hat, kommt hier nicht rein.

SZ: Wenn die Behandlung abgeschlossen ist, sind die Patienten wieder dem Medienrummel ausgesetzt. Ist die Gefahr dadurch höher, rückfällig zu werden?

Bowden-Jones: Der Druck ist enorm, das kann man nicht leugnen. Aber auch auf Menschen, deren Leben wir als durchschnittlich bezeichnen würden, lastet oft großer Druck. Vielleicht können sie ihre Miete nicht bezahlen, vielleicht ist ihr Kind krank, und das ist absolut gleichzusetzen mit dem Stress durch die Öffentlichkeit. Es ist nicht unbedingt schwerer, clean zu bleiben, wenn man von einer Kamera verfolgt wird.

SZ: Wie viele Ihrer Patienten müssen nach ihrer Entlassung wiederkommen?

Bowden-Jones: Abhängigkeit ist eine chronische Krankheit. Der Lebensstil und die Charaktereigenschaften, die einen in die Abhängigkeit getrieben haben, können sich schnell wieder einstellen - wenn man einmal vergisst, warum man der Sucht ein Ende gesetzt hat.

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