Interview mit Marek Lieberberg:"Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards"

Der deutsche Konzertveranstalter über Eriegnisse, autoritären Strukturen und planwirtschaftlichen Kontrollwahn in der heutigen Konzertkultur - und weshalb die Stones immer noch auf Tour sind.

Interview von Alexander Gorkow

SZ am Wochenende: Herr Lieberberg, eine Frage, die direkt mal 'raus muss: War früher alles besser?

Interview mit Marek Lieberberg: Marek Lieberberg.

Marek Lieberberg.

(Foto: Foto: AP)

Marek Lieberberg: Oh, hm ... nein.

SZaW: Aber?

Lieberberg: Sagen wir: Ereignisreicher, die Anfänge der Rockmusik waren ereignisreicher. Konzerte zu organisieren war 1970 ein Abenteuer. Heute habe ich es als Veranstalter mit autokratischen Strukturen zu tun - sowie mit dem Filz der Bürokratie.

SZaW:Ihr erstes Konzert?

Lieberberg: Kann ich Ihnen exakt sagen, das war am 7. September 1970. Halle Münsterland in Münster: The Who. Ich war 24 Jahre alt, um nicht zu sagen: jung. Die Feuertaufe. Da kann ich Ihnen was erzählen!

SZaW: Okay, gleich. Aber wie kommt man mit 24Jahren auf die Idee, ein Konzert mit The Who in Münster zu organisieren?

Lieberberg: Ich hatte die Band in London angesprochen. Wir saßen in einem Lokal nahe der Wardour Street. The Who waren das große Ding, gerade waren in Brighton diese Schlägereien zwischen Rockern und Mods gewesen, und . . .

SZaW: Ihr eigene Musikerkarriere war da gerade gescheitert, oder?

Lieberberg: Moooment!

SZaW: Doch, doch! Zuvor waren Sie unter dem tollen Namen Mike Lee & The Echos selber aufgetreten, aber ...

Lieberberg: Nix aber! Wir haben die Stadthalle in Köppern und die führende Gaststätte in Waldsolms-Brandoberndorf bespielt, die Hysterie ging hoch bis nach Kassel!

SZaW: Nun gut.

Lieberberg: Ja, gut, womit ich nicht leugnen will, dass es zu Weltruhm nicht reichte. Ich war dann Musikjournalist und Student, ich habe Soziologie studiert, es war ja die Zeit um 1968, in der sich alles vermischte. Ich schrieb viel über Musik.

SZaW: Waren Sie ein '68er?

Lieberberg: Ja und nein. Die Musik, die Literatur, das Theater vor allem, das hat mich beeindruckt. Politisch war die Zeit wichtig - aber auch dumm und gefährlich.

SZaW: Wieso?

Lieberberg: Weil Sie sofort niedergeschrien wurden, wenn Sie eine andere Meinung hatten als die Brüllaffen vom SDS! Das hat mich abgestoßen - auch, wie sie in Frankfurt plötzlich Adorno niedergemacht haben.

SZaW: Eine gewisses revolutionäres Chaos gehört zu jedem Ereignis, oder?

Lieberberg: Ach, wissen Sie, da war ich ganz der junge und ängstliche Jude. Außer meinen Eltern ist meine gesamte Familie von den Nazis ausgerottet worden, meine beiden Schwestern sind im Krieg verhungert. Eine infernalische Familiensituation.

SZaW: Aber gegen die noch in Würden befindlichen Nazis gingen die '68er doch vor.

Lieberberg: Allerdings mit Methoden, die mir denen ihrer Mütter und Väter nicht immer unähnlich erschienen. Diese eine Wahrheit, die einige Pseudorevolutionäre gepachtet hatten, diese Selbstgerechtigkeit, die behagte mir nicht.

"Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards"

SZaW: Nun zur Musik! Wieso sind Sie nicht Journalist geblieben?

Interview mit Marek Lieberberg: Material Girl mit Ereignischarakter: Madonna.

Material Girl mit Ereignischarakter: Madonna.

(Foto: Foto: AFP)

Lieberberg: Damals gab es unter den Musikern, mit denen ich zu tun hatte, immer wieder die Frage: "Marek, do you want be a journalist - or do you want to make money?" Das hat mich dann langsam nervös gemacht.

SZaW: Sie müssen aber 1970 schon reich gewesen sein.

Lieberberg: Wieso denn das?

SZaW: Weil Sie The Who nach Münster holten.

Lieberberg: Ich hatte keinen Pfennig! Nix! Wissen Sie, was wir hatten damals? Lust! Eine wahnwitzige Lust auf diese Musik! Und auf das Abenteuer, diese Leute, die im "Marquee", im "Ufo Club", im "Speak Easy" auftraten - The Who, Deep Purple, Pink Floyd - nach Deutschland zu holen!

SZaW: Wie hoch war das finanzielle Risiko?

Lieberberg: Nun ja, hoch halt! Natürlich, was glauben Sie denn? Wir hatten keine Rücklagen. Aber es lag auch etwas in der Luft, das heute nicht mehr in der Luft liegt. Ein gewisses Vertrauen.

SZaW: Woran erkannte man das?

Lieberberg: Schauen Sie, die größte Tournee Anfang der 70er, das war Deep Purple in Rock. Heute hätten sie es bei einer Band in diesem Rang mit fünf Managementstufen zu tun: Manager, Business-Manager, Agent, Anwalt, persönlicher Berater. Die Musikindustrie geht heute nicht nur an mangelnder Kreativität zugrunde, sondern vor allem an ihren autoritären Strukturen und ihrem planwirtschaftlichen Kontrollwahn, so lange, bis jeder seinen Mist dazu getan hat, und bis die ganze Band in einem Netz aus Verpflichtungen hängt.

SZaW: Wie war das 1972?

Lieberberg: Den Vertrag für die deutschen Konzerte von Deep Purple 1972 habe ich auf einer Papiertischdecke in einem Gartenlokal auf der Mendelssohnstraße in Frankfurt gemacht. Mit deren Manager John Coletta ging das zackzack: Ihr kriegt die und die Garantie, wir kriegen die und die Prozente, fertig ist die Laube. Doppelte Ausfertigung, zwei Unterschriften, patsch.

SZaW: Mmh ...

"Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards"

Interview mit Marek Lieberberg: Der "Boss" will den Leuten etwas mitteilen.

Der "Boss" will den Leuten etwas mitteilen.

(Foto: Foto: AFP)

Lieberberg: Das war, nicht zuletzt, der Grund dafür, dass wir noch Ereignisse schaffen konnten, verstehen Sie? Ein Britney-Spears-Konzert ist heute kein Ereignis mehr, weil es Walter Benjamins These vom Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit in der Potenz nochmal total überhöht: hier kupfert ja die Künstlerin bizarrerweise ihre eigene Reproduktion ab, also zum Beispiel ihre Musikvideos. Dazu gehört dann in der Gesamtheit ein Produktionsapparat, der jede Improvisation ausschließt, bis hin zur Organisation der Konzerte, der Eintrittspreise, und so weiter. Wo ist da dann noch das Ereignis?

SZaW: Damit hat Madonna angefangen, oder? Deren Konzerte Sie auch veranstalteten.

Lieberberg: Und doch waren Madonnas Konzerte, auch die zuletzt in Berlin, Ereignisse. Sie ist und bleibt ein Star. Keine große Sängerin - aber ein Star. Die letzte Tour hat mich trotzdem traurig gemacht.

SZaW: Warum?

Lieberberg: Ich kenne Madonna seit den frühen 80ern. Damals konnte man noch lange und wirklich persönliche Gespräch mit ihr führen, was unter Umständen für Konzerte wichtig sein kann. Das ging zuletzt nicht mehr. Wo sie ihre Nase raussteckte, wurde sie gejagt. Darunter litt sie, deshalb zog sie sich auch total zurück. Wenn überhaupt, raste sie durch Berlin wie gehetztes Wild. Ein Fotograf schoss dann das Bild ihrer leeren Teetasse in einem Berliner Café. Das ist für mich zu einer Ikone ihrer An-, beziehungsweise Abwesenheit geworden.

SZaW: Gehen wir nochmal zurück: Lief Ihr erstes selbst veranstaltetes Konzert - das mit The Who im September 1970 - glatt?

Lieberberg: Natürlich nicht. Nichts lief glatt damals. The Who waren ja nicht nur genial. Sondern auch total verrückt.

SZaW: Die hatten Keith Moon!

"Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards"

Lieberberg: Und eben um Keith, der wirklich ein ganz großer Schlagzeuger war, geht es nun. Ich mietete die Band damals im Schlosshotel Wilkinghege ein, auch heute noch keine ganz schlechte Adresse.

SZaW: Oh weh, die Möblierung ...

Lieberberg: ... da kommt mir der Hotelmanager entgegen und sagt mit kühler Stimme: "Herr Lieberberg, Sie sind bereits ausgecheckt, Sie und Ihre Truppe aus England."

SZaW: Weshalb?

Lieberberg: Das habe ich den Mann auch gefragt. Da zeigt er hinter sich und sagt: "Deshalb."

SZaW: Und?

Lieberberg: Über ihm saß Keith Moon auf einem Kronleuchter! Der segelte in hohem Bogen quer durch die Empfangshalle! Ich werde das niemals vergessen. Das war so ein Leuchter, der aus Hirschgeweihen zusammengenagelt war. Hotelgäste kreischten. Keith brüllte: "Marek, it's fucking great in Germany, I love it!" Ich rief zurück: "Yes Keith, and we're already out."

SZaW: Und dann?

Lieberberg: Wir mussten noch in derselben Nacht nach Offenbach. Wir haben ja nirgendwo mehr ein Hotel bekommen in Nordrhein-Westfalen, die haben sich alle gegenseitig gewarnt: Achtung, da kommt ein junger Konzertfritze mit einer Truppe Irrer aus England. Also sind wir nach Offenbach, ich im VW-Käfer vorneweg, The Who und ihre Trucks hinterher ... Sagen Sie, reden hier zwei alte Männer vom Krieg?

SZaW: Aber was denn!

Lieberberg: Okay. Ich meine, es gibt ja auch heute noch Ereignisse, oder?

SZaW: Zum Beispiel?

Lieberberg: Zum Beispiel habe ich die Solotournee von Bruce Springsteen als Ereignis wahrgenommen, und wenn mich mein Eindruck nicht täuscht: seine Fans auch. Es gibt auch heute Künstler, die, sagen wir, ausbrechen aus so vorgestanzten Formen. Im Herbst kommt Bob Dylan wieder. Bei dem wissen Sie auch nicht, was Sie erwartet, das ist das reine Roulette.

SZaW: Zufällig zwei Ihrer Künstler!

Lieberberg: Nicht zufällig, nein, nein, ich veranstalte diese Konzerte nicht ohne Grund, okay?

SZaW: Aber sagen Sie nochmal: The Who in Münster oder in Offenbach - was waren das für seltsame Auftrittsorte? Für Bands, die schon damals Größe hatten?

Lieberberg: Bis auf die Westfalenhalle in Dortmund, die uns oft zu groß war, gab es ja in Deutschland noch nicht diese Mehrzweckhallenkultur wie heute. Nur: Ein Konzert ist ja kein Ereignis, nur weil es in der Schalke-Arena stattfindet, nicht wahr?

SZaW: Die Erotik der Mehrzweckhalle ...

Lieberberg: ... können Sie natürlich vergessen! Da müssen Sie ja gegen diese Hallen anspielen. In den frühen 70er hatten wir abenteuerliche Zustände in diesen verstaubten, mittelgroßen und alten Festhallen, die es damals noch gab. Die Huttensäle in Würzburg, unvergessen! Da steht heute ein Supermarkt. Da hatten wir Deep Purple drin. Pink Floyd spielten ihr "Meddle"-Album in Heidelberg und im Hamburger Audimax, die Düsseldorfer Philipshalle war gerade erst fertiggebaut, da spielten Pink Floyd auch, und die Leute draußen saßen bis zum nächsten S-Bahnhof auf der Straße, um nur ein paar Töne zu ergattern, in der Halle waren ein paar tausend Leute zuviel . . .

SZaW: ... wie konnte man das stattfinden lassen, unter dem Sicherheitsstandpunkt?

Lieberberg: Wie denn nicht? Beim Pink-Floyd-Konzert im Hamburger Audimax haben Fans die Türen mit einem Baumstamm aufgerammt! Das müssen Sie sich vorstellen! Wie die Wikinger! Wenn so ein Konzert ausfällt, liegt alles in Schutt und Asche.

SZaW: Und es gab keine Sicherheitsleute, die ...

Lieberberg: In den Huttensälen in Würzburg sagte mir 1972 der Hausmeister vorm Deep-Purple-Konzert: "Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Lieberberg, wir haben das hier in Würzburg mit der Sicherheit rigide im Griff!" Ein paar Rocker testeten dann mal, wie schnell man einen so strengen Hausmeister in einer Drehtür beschleunigen kann. Der ist da durchgeschossen wie in einer Slapstick-Komödie. Zu Konzertbeginn lag er schon im Krankenhaus.

SZaW: Wieso erlaubten sich die Leute, Konzerthallen zu stürmen?

Lieberberg: Da gab es - wie für jeden Quatsch damals - einen weltanschaulichen Überbau.

SZaW: Sogar das?

Lieberberg: Sogar das! Nämlich: Die Musik ist frei! Niemand hat das Recht, für etwas so Schönes wie Musik Eintritt zu verlangen.

SZaW: Toll! Die Welt ist eine Performance - und weil wir Pink Floyd lieb haben, muss Pink Floyd uns auch lieb haben?

Lieberberg: So ungefähr, ja ...

SZaW: Und die Kosten?

Lieberberg: Weiß nicht, sollte der Staat bezahlen oder der Veranstalter. Jedenfalls, das war der systemkritische Überbau der Hallenstürmerbewegung: Die Musik ist frei!

SZaW: Dann waren Sie natürlich nach damaligen Kriterien der üble Kapitalist.

Lieberberg: Oh, das bin ich immer noch. Als Veranstalter bin ich auch immer Schuld: an den Preisen fürs Ticket, an der schlechten Luft in der Halle, am miesen Sound, an allem. Nur der Künstler ist nie Schuld. Aber das ist okay. Ich kann damit leben.

SZaW: Herr Lieberberg, wird das "Live 8"-Spektakel am Samstag ein, nun ja, Ereignis?

Lieberberg: Ich hoffe es, und ich glaube es auch.

SZaW: Was soll uns da überraschen? Alles ist perfekt durchorganisiert.

Lieberberg: Wie wollen Sie das perfekt durchorganisieren? Wie wollen Sie vorhersehen, was aus dem Kurzauftritt von Pink Floyd in London wird? Roger Waters und David Gilmour haben annähernd 25 Jahre nicht miteinander geredet. Waters hat die anderen drei Bandmitglieder jahrzehntelang mit Prozessen überzogen. Holy Moses!

SZaW: Sie haben die Pink-Floyd-Tourneen von 1970 an in Deutschland organisiert.

Lieberberg: Und ich bin, weil ich die Band sehr gut kenne, und weil ich sie über alle Maßen schätze, wegen dieses Londoner Kurzauftritts überraschend nervös.

SZaW: Es werden ja nur ein paar Lieder sein ...

Lieberberg: Hören Sie: Nichts ist bei dieser Band in irgendeiner Weise lapidar. Und seien Sie sicher, die arbeiten hart daran, dass diese paar Lieder bei "Live 8" so klingen, dass sie erhobenen Hauptes wieder aus dem Hyde Park abreisen können. Das sind Pedanten. Und doch können Sie bei zwei Menschen wie Roger Waters und David Gilmour nicht wissen, wie das ausgeht ...

SZaW: Werden die nochmal auf Tour gehen?

Lieberberg: Ich glaube nicht.

SZaW: Wieso nicht?

Lieberberg: Die Herren sind über 60 Jahre alt. Sie schauen - bei allem Krach, den sie hatten, und der auch mich einige Nerven gekostet hat - auf eine unglaubliche Geschichte zurück. Wieso sollen die das jetzt nochmal aufs Spiel setzen? Ich meine, diese "Wall"-Konzerte 1981 in Dortmund, das war für uns alle lebensverändernd, auch für viele Fans war das lebensverändernd. Das war ein Ereignis! Wie von Peter Brook inszeniert - und noch so viel mehr.

SZaW: Wissen Sie, welche Lieder die am Samstag im Hyde Park spielen werden?

Lieberberg: Nein, das ist sehr streng geheim. Es wird ja spekuliert wie irre . . .

SZaW: Sie werden mit "Comfortably Numb" aufhören, da bin ich sicher.

Lieberberg: Das sagen Sie! Das Lied ist nicht das prominenteste. Oh je, war das eine Zeit ...

SZaW: Sie meinen: Pink Floyd waren auch hinter der Bühne ein Ereignis?

Lieberberg: Gewissermaßen. Der herrische, übellaunige, ungerechte, wenn auch geniale Roger Waters. Sowie der stets britisch lächelnde David Gilmour, der jenen Roger Waters ein ums andere Mal hübsch auflaufen ließ. Man war wirklich froh, wenn man ihnen nicht gleichzeitig begegnete.

SZaW: Wie ging das damals in Dortmund?

Lieberberg: Nun, die Band wohnte die ganze Woche über in Düsseldorf im "Breidenbacher Hof". Wenn ich mit David essen ging, so war Roger besser nicht dabei. Es dauerte sonst nur Minuten, und sie hatten sich in den Haaren: Roger kalt zischend, David warm lächelnd. Es war furchtbar.

SZaW: Wie die Kinder, oder?

Lieberberg: Natürlich. Um was ging es denn? Inhaltlich würde Ihnen keiner der beiden heute ernsthaft sagen können, um was es ging, die haben keinen argumentativ hochwertigen Streit ausgefochten, verstehen Sie? Das macht mir ja nun solche Angst.

SZaW: Wieso das?

Lieberberg: Naja, dass sie sich jetzt so altersmilde anschauen da in London, und diese Nummer hier aufführen: Mensch, komm, setzen wir doch den großen Dinosaurier nochmal auf die Straße. Ich halte von sowas nichts: An den Rolling Stones oder U2 sehen Sie, wie trostlos das ausgehen kann.

SZaW: Beide Bands sollten Ihrer Meinung nach besser nicht mehr touren?

Lieberberg: Natürlich nicht! Sie sind ein Abbild ihres eigenen Glanzes. Das ist zynisch. Bei U2 steht ein Mann von über 50 Lebensjahren in schwarzer Lederhose und mit Sonnenbrille auf der Bühne und gibt den Herrn vom Underground! Hinter ihm steht ein Gitarrist mit einer Strickmütze! Und all' das soll uns weismachen, diese Band sei noch ein Ereignis? Ich bitte Sie! Diese ganze Propagandamaschine namens U2 hat einen wahren und schönen Kern, und dieser Kern liegt im Ursprung dieser Band, als sie Kraft und Spiritualität hatte. Nun zieht die Karawane weiter, wenn auch aus wirtschaftlichen Zwängen.

SZaW: Sie wollen mir weismachen, U2 oder die Rolling Stones touren aus wirtschaftlichen Zwängen? Die sind reich!

Lieberberg: Täuschen Sie sich mal nicht über deren Verpflichtungen. Wenn Sie Apparate am Hals haben wie Bono oder Scheidungsfälle wie Mick Jagger, dann sind Sie über alle weiteren Einnahmen sehr froh.

SZaW: Ich dachte, wenn man so alt und reich ist wie zum Beispiel die Rolling Stones, tourt man nur noch aus Spaß.

Lieberberg: Das sagen die natürlich, aber glauben Sie das nicht! Spaß ist nicht der Grund der "Rolling-Stones-Tournee 2006."

"Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards"

SZaW: Sie können über diese Bands so denken, Sie veranstalten deren Tourneen ja nicht.

Lieberberg: Die Kausalititätskette bitte andersrum drehen, mein Lieber: Ich veranstalte deren Tourneen nicht, weil ich so über sie denke. Glauben Sie mir, bei Springsteen oder Dylan - deren Tourneen ich ja veranstalte - sieht die Sache halt anders aus. Ich weiß das, weil ich beide Künstler seit vielen Jahren gut kenne. Die wollen den Leuten noch etwas mitteilen.

SZaW: David Gilmour gibt in London gelegentlich so Kammermusikabende ...

Lieberberg: ... auch sehr hübsch, natürlich, so geht es doch auch: mit Würde. Die beiden Herren von Abba spielen in Schweden auf Folkkonzerten alte schwedische Lieder. Glauben Sie, ich hätte aus finanziellen Gesichtspunkten nicht nochmal Lust, Abba auf Tour zu schicken? Ich habe deren Tourneen gemacht, das waren phantastische Zeiten. Aber die wissen, dass das in die Hose gehen würde. Die sind nicht dumm.

SZaW: Ist Jagger dumm?

Lieberberg: Nein, er ist in einer Mühle aus Verpflichtungen. Und er ist vor allem eins: Geschäftsmann. Deshalb der ganze Totentanz. Der einzige wirkliche Charakter bei den Stones ist Keith Richards, der hat diese mumifizierte Tiefenschärfe, eine literarische, große Figur! Nein, mit den Stones könnte ich nur einen mir bekannten Menschen glücklich machen.

SZaW: Wen?

Lieberberg: Daniel Cohn-Bendit!

SZaW: Ah, ein Ein-Personen-Ereignis.

Lieberberg: Dani ruft nur aus zwei Gründen an. 1. Er bittet mich um Tickets für seine Kinder.

SZaW: Der 2.Grund?

Lieberberg: Er ist ja neulich im April 60 geworden. Da fragte er mich, ob ich nicht regeln könne, dass Mick Jagger für ihn etwas singt. Man habe doch damals in den 60ern gemeinsam für die richtige Sache gekämpft.

SZaW: Das meinte er nicht ernst.

Lieberberg: Ich schwöre es.

SZaW: Sind Sie in einer Partei?

Lieberberg: Nein.

SZaW: Sie lächeln?

Lieberberg: Ja, wissen Sie, bei Leuten wie Dani, da steh' ich vor einer Art Bühne und ...

SZaW: ... staune.

Lieberberg: ... ja, und staune.

Marek Lieberberg, 59, gründete mit Marcel Avram 1970 die Konzertagentur Mama Concerts. 1986 trennten sich die beiden im Streit, pflegen aber inzwischen wieder ein entspanntes Verhältnis. Lieberberg ist heute der führende Veranstalter in Deutschland. Er lebt in Frankfurt, ist verheiratet und hat drei Söhne, von denen einer - André Lieberberg - in seiner Agentur arbeitet.

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