Süddeutsche Zeitung

Interview mit Kader Loth:"Wenn einen Ziegen ablecken, ist das nicht fein"

Kader Loth, Türkin aus Berlin, ist ein Medien-Gesamtkunstwerk. Seit ihren Auftritten auf der Pro-Sieben-"Alm" ist die bis vor kurzem Unprominente eine Frau, zu der praktisch jeder eine Meinung hat. Viele hassen sie, weil sie glauben, dass Kader Loth die Verblödung des Fernsehens personifiziere. Andere bewundern die Grandezza, mit der sie auf der "Alm" die Bäuerin gab.

Von Rebecca Casati & Alexander Gorkow

Es ist keine gute Idee, sich zum Interview mit Kader Loth in einem Münchner Café zu verabreden. Seriöse Männer verdrehen sich die Hälse, Mädchen betteln um Autogramme. Gerade hat sie die Single "Alles was Du brauchst" veröffentlicht. Auf dem grazilen Bonus-Lied "Mein Name ist Kader" versammelt sie einige ihrer blühenden Sentenzen aus dem Realityfernsehen, zum Beispiel "Bitte kein Krach", "Man wird hier nicht nur dumm, auch vergesslich", "Ich muss meine Seele reinigen" sowie natürlich: "Fräulein Loth wird sich darüber Gedanken machen".

SZaW: Frau Loth, nach Jahrzehnten der Bedeutungslosigkeit sind Sie dieses Jahr in Millionen deutsche Wohnzimmer geplatzt.

Loth: Oh, was für eine flegelhafte Ausdrucksweise! Zutreffend ist, dass ich in mehreren erfolgreichen Realityfernsehformaten aufgetreten bin; vier Wochen bei "Big Brother", drei bei "Die Alm".

SZaW: Viele Menschen, vermutlich auch ein Großteil unserer Leser, stehen Erfolgssendungen wie der "Alm" oder deren Protagonisten schockiert gegenüber. Wir erhoffen uns von Ihnen einen kurzen Einblick in den Wahnsinn "Reality-TV" - und in seine Folgen!

Loth: Sie haben mich um ein Interview gebeten, darum sitzen wir jetzt hier. Ich kann ja nur für mich sprechen. Und ich hoffe wirklich, Sie haben nicht vor, mich die ganze Zeit zu beleidigen.

SZaW: Von den vielen reanimierten Prominenten in diesen Shows blieben ausgerechnet Sie - die ursprünglich unbekannteste - in Erinnerung.

Loth: Sicherlich, meine Rolle war auffällig: ein Glamour-Girl in der Wildnis. Die Nägel sind mir abgebrochen. Ich hatte keine Schminke. Ich musste abwechselnd melken und ausmisten. Aus der Figur Kader Loth ist eine richtige Bäuerin geworden. Die Zuschauer haben mich sogar zur "Almkönigin" gewählt.

SZaW: Wenn Sie - wie eben gerade - ein volles Café passieren, dann sehen die Leute Sie an wie eine Außerirdische.

Loth: Ich habe deshalb keine sozialen Probleme entwickelt, falls Sie darauf anspielen. Es ist ein neuer Lebensabschnitt. Ich muss mir erstmal eine neue Strategie zurecht legen, ein Konzept.

SZaW: Klingt irgendwie undramatisch, das mit der schlagartigen Berühmtheit ...

Loth: Gut, ich gebe zu, ich musste zum Beispiel umziehen. Und da ich keinen Angestellten habe, der meine Einkäufe erledigt, muss ich das selbst machen. Dabei fühle ich mich manchmal schutzlos, nackt. Die Leute tuscheln und beobachten mich. Oder sie duzen mich gleich: Ey Kader, wie geht's ...? Sie haben mich im Fernsehen beim Aufstehen gesehen, beim Waschen, ungeschminkt. Es ist kein Abstand mehr da, keine Distanz.

SZaW: So ist das Fernsehen, zumal das Reality-Fernsehen.

Loth: Sicherlich. Andererseits ist das Feedback sehr positiv. Ich freue mich besonders, dass ich offenbar von Damen und Herren gleichermaßen akzeptiert werde.

SZaW: Bis zu drei Millionen Zuschauer kringelten sich über Ihre "Alm"-Abenteuer, zig Zeitungen und auch Politiker aber schmähten Sie und Ihre Kollegen: mal als abgehalfterte Taugenichtse, mal als verhaltensauffällige Trottel.

Loth: Mhm.

SZaW: Hier riesige Popularität, dort Hohn - das ist nicht von Pappe, was?

Loth: Allerdings. Wir hatten auf der Alm keine Ahnung, wir waren ja abgeschnitten da oben. Was wir erfuhren, war, dass unser Aufenthalt um eine Woche verlängert wurde, weil die Quoten so toll waren. Nach drei Wochen überreichte mir Pro Sieben dann die Pressemappe.

SZaW: Und da waren dann vor allem sehr wüste Beschimpfungen drin.

Loth: Nicht nur. Aber auch, ja.

SZaW: Heftig, oder?

Loth: Nun - ich habe keinen Mangel an Selbstwertgefühl.

SZaW: Diese massive Aggression im Verhältnis zu dem skurrilen Format - hat Sie das erstaunt?

Loth: Ja, mitunter auch getroffen. Überschriften wie "Schlampenschlacht" und so weiter. Entgleisungen, die mich persönlich, mich intim treffen sollen, meine Person, meinen Körper - das tut dann auch weh. Ich denke, dass Leute, die so denken, vielleicht ein Problem mit sich selbst haben.

SZaW: Dasselbe hat man Ihnen vorgeworfen. Sie mussten nicht nur melken und ausmisten, sondern auch so genannte "Sepp-Aufgaben" bestehen, sich an empfindlichen Stellen von einer Ziege ablecken lassen oder in einen Zuber mit frischem Kuhmist baden.

Loth: Nun ja . . . ich bin über mich selbst hinausgewachsen.

SZaW: Haben Sie trotzdem Verständnis dafür, dass man da ins finale Grübeln kommt?

Loth: Doch, ich habe für einige Kritik Verständnis. Wir haben uns die Aufgaben nicht ausgesucht, auch nicht die Gäste, die später hochgeschickt wurden . . .

SZaW: Sie hätten sich weigern können.

Loth: Natürlich. Gab es da Grenzen? Ja, doch. Wenn einen Ziegen ablecken, ist das nicht fein. Aber entscheidend ist, wo einen die Ziegen ablecken. Wenn es zu schlimm, im wahrsten Sinne des Wortes: unter der Gürtellinie gewesen wäre, hätte ich das nicht mitgemacht. Aber so war es ja nicht. Um nicht lachen zu müssen, habe ich an Friedhöfe und böse Gesichter gedacht. Und meine Lieben, ich möchte Euch mal nach der Relation fragen!

SZaW: Heißt?

Loth: Gibt es nicht viel, viel schlimmere Dinge auf der Welt als eine Realityshow, wo ein paar Leute einige Wochen lang unter Umständen wie vor 100 Jahren leben? Sich von einer Ziege ablecken lassen? Haben Sie vielleicht auch mal gelacht?

SZaW: Wer? Wir?

Loth: Ja! Den Leistungsgedanken mal beiseite - diese Sendung war ein Spaß! Sie sollte Freude bereiten, nicht die Welt verändern. Sie erforderte ein bisschen Humor. Nicht nur von den Teilnehmern. Auch von den Zuschauern.

SZaW: Haben die Deutschen zu wenig Humor?

Loth: Die Deutschen? Die Deutschen haben Humor, es haben doch drei Millionen zugeschaut. Aber haben die Journalisten Humor? Gibt es nicht geeignetere Anlässe, Leute so schlimm zu beleidigen, wie wir da oben von der Presse beleidigt wurden? Haben wir politische Verbrechen begangen oder so etwas? War die "Alm" so schlimm? Eine Sache war schlimm . . . Ich hatte keinen Haartrockner.

SZaW: Klar.

Loth: War das ernst gemeint? Puuh: nein!

SZaW: Drollig ist, dass Sie mitunter von sich selbst als "die Figur Kader Loth" sprechen. Was gehört zu dieser Figur?

Loth: Humor. Selbstironie. Unterhaltungswert. Persönlichkeit.

SZaW: Sie wirken so huldvoll-manierlich in all diesem Wahnsinn, Frau Loth! Sehr viel länger gediente Damen im Fernsehen - zum Teil in seriöseren Formaten - gebärden sich heutzutage weniger manierlich.

Loth: Ich danke Ihnen. Das ist mir angeboren.

SZaW: Was macht denn Ihrer Meinung nach Ihre Persönlichkeit noch aus?

Loth: Ich bin eine Türkin, die in Berlin aufgewachsen ist. Ich bin ein multikulturelles Mädchen. Und ich bin eine Lady.

SZaW: Den Schlagzeilen nach sind Sie sogar eine sogenannte Luxus-Lady!

Loth: Und was ist eine Luxus-Lady?

SZaW: Sagen Sie!

Loth: Ich weiß es doch nicht. Ich komme aus völlig normalen Verhältnissen. Ich kann, wenn es sein muss, ein stinknormales Leben führen und mit 1000 Euro im Monat auskommen.

SZaW: Aber die Leute wollen mehr über Sie herauskriegen. Noch weiß man ja faktisch nichts über Ihr Leben.

Loth: Na und?

SZaW: Ihre Fanclub-Beauftragte ist von der PDS - haben wir gelesen.

Loth: Na und?

SZaW: Sympathisieren Sie politisch . . .

Loth: Das spielt doch gar keine Rolle. Vielleicht haben PDS-Leute mehr Humor? Ist aber nicht meine Partei.

SZaW: Sind Sie ein politischer Mensch?

Loth: Ja.

SZaW: Sie lesen die Zeitungen?

Loth: Ja. Auch viel im Internet.

SZaW: Und was schauen Sie im Fernsehen?

Loth: Sehr wenig. Meistens nur die Nachrichten. Kurz vorm Einschlafen.

SZaW: Lustig. Wen bewundern Sie politisch?

Loth: Alice Schwarzer, für das, was sie in den 70ern erkämpft hat. Auch, dass sie dabei ihren Humor behalten hat.

SZaW: Würde Alice Schwarzer Sie mögen?

Loth: Fragen Sie Alice Schwarzer! Ich habe auch wirklich hohen Respekt vor den Frauen, die sich auf Kontinenten wie Afrika oder in islamischen Ländern für die Frauenrechte einsetzen.

SZaW: Was fällt Ihnen zu Ihrer Heimatstadt Berlin ein, politisch?

Loth: Dass die Stadt total pleite ist. Dass die Politik hier schlimm versagt hat!

SZaW: Stimmt es, dass Sie eineinhalb Jahre Jura studiert haben?

Loth: Wer hat sich denn da wieder über mich lustig gemacht? Ich wollte mal Rechtsanwältin werden, naja ... Ich habe ein Fernstudium begonnen, das war's.

SZaW: Sie haben eine türkische Mutter und einen deutschen Vater, oder?

Loth: Ich bin türkischer Herkunft. Das ist wirklich alles, was ich dazu zu sagen habe. Meine Familie hat in der Öffentlichkeit nichts verloren.

SZaW: Aber die Medien werden alles versuchen, da mehr 'rauszukriegen.

Loth: Wie gesagt, meine Familie ist tabu. Eine von mir geschützte Art. Mein Reichtum.

SZaW: Leben Sie dann nicht in Angst, dass sich bald jemand aus Ihrer Vergangenheit in der Presse meldet und auspackt? Und noch schlimmer: der so richtig schmutzige Wäsche wäscht?

Loth: Ich wüsste nicht, warum. Ich bin ein guter Mensch und lebe sehr zurückgezogen. Meine Nachbarn kennen mich eher aus dem Fernsehen als privat. Ich verstehe, dass man, sobald man eine Person der Öffentlichkeit ist, angreifbarer wird. Aber es gibt keine Vergangenheit, für die ich mich schämen müsste.

SZaW: In einer Zeitung stand, Sie behaupteten, 1975 geboren zu sein. Man wisse aber nicht, was Sie in den zehn Jahre davor gemacht haben.

Loth: Das finde ich ungeheuer anmaßend. War der Holzkopf bei meiner Geburt dabei? Weiß er es besser? Dann soll er mal nur rausrücken damit. Fragt man eine Dame nach ihrem Alter? Mann, das sind vielleicht Manieren!

SZaW: Gut, dann haben wir als Profil immerhin: multikulturell veranlagtes Mädchen aus Berlin. Eine Stadt-Lady.

Loth: Eine tapfere Zusammenfassung. Andererseits aber - nicht vergessen - ist die Lady auf die Alm gegangen, hat Brot gebacken, Kühe gemolken, sich einmal auch ausfällig gezankt - wofür ich mich inzwischen ein wenig schäme. Aber es brach aus mir heraus.

SZaW: Wie haben Sie den TV-Choreografen Herrn Detlef Soost gleich noch genannt? Einen blöden W . . . ?

Loth: Huuuu, stopp, nicht wiederholen, ein böses Wort! Das gehört nicht in eine seriöse Zeitung. Ich habe mein Ding gemacht da oben. Ich nehme mich nicht zu ernst, aber ernst genug, um genau zu wissen: Wenn ich mich in einem Reality-Format im Fernsehen verstelle, wenn ich nicht mehr die Kader bin, wenn ich nicht natürlich bin, dann gehe ich unter.

SZaW: Und doch unterstellt man Ihnen, in mancherlei Hinsicht etwas künstlich zu sein. Zum Beispiel reden Sie oft sehr künstlich - was ja auch ganz witzig sein kann.

Loth: Detlef Soost sagte mir auf der Alm immer, ich solle doch mal natürlich und nicht so künstlich sein. Ich wusste nicht, was er meinte. Ich bin natürlich. Ich bin da im Fernsehen so, wie ich unter normalen Umständen auch bin. Ich bin die Kader. Und ich bleibe die Kader.

SZaW: Wie geht es jetzt weiter mit der Kader?

Loth: Eine eigene Sendung wäre Klasse, auf "Pro Sieben" oder "RTL2". Mal sehen, ob die Herrschaften den Mut haben.

SZaW: Und wie wäre so eine Sendung?

Loth: Auf mich zugeschnitten.

SZaW: Auf Ihren Typ.

Loth: Eben so.

SZaW: Ein Sender wie "Pro Sieben" brachte es fertig, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Tatjana Gsell flugs auf die Alm zu treiben - um die Quote hochzutreiben.

Loth: Ja.

SZaW: Ein solcher Sender ist zu allem fähig.

Loth: Zu vielem, ja.

SZaW: Auch dazu, Sie abzuschießen, wenn Sie denen nicht mehr ins Konzept passen.

Loth: Natürlich.

SZaW: Seit Sie sich für den "Penthouse" ausgezogen haben, bei "Big Brother" oder der "Alm" mitgemacht haben, fragen sich Leute: Was kann die eigentlich?

Loth: Was soll denn diese Frage?

SZaW: Nun ja, früher musste man Gitarre spielen können oder schauspielern oder trommeln, irgendetwas halt, um berühmt zu werden. Nun reicht es aus, einfach jemand zu sein, oder?

Loth: Das macht mich wütend, wirklich! Was heißt: einfach jemand zu sein? Ich bin unter drei Millionen Zuschauern nach drei Wochen "Alm" zur Siegerin gewählt worden. Weil ich toll aussehe? Ich glaube nicht. Ich glaube, weil ich Personality habe, weil ich Spaß bereitet habe, weil ich reden kann zum Beispiel. Hallo?

SZaW: Ein Wort zu Ihrer Zukunft. Sie werden jetzt schauspielern wollen!

Loth: Um Gottes Willen!

SZaW: Es heißt doch immer, man wartet dann so auf gute Rollenangebote . . .

Loth: Ich warte nicht auf solche Angebote, wirklich nicht. Es wäre sehr albern, wenn Kader Loth plötzlich als kurzgeschorene Fernsehanwältin in einem Krimi auftauchen würde.

SZaW: Sie haben die CD "Alles was du brauchst" aufgenommen. Sie wollen also Sängerin werden.

Loth: Der Song ist ein Beitrag zu einem Gesamtkunstwerk, der hat mir in erster Linie viel Freude bereitet.

SZaW: Was wird aus dem Gesamtkunstwerk Kader Loth, wenn sich "Bild" und "Pro Sieben" gleichzeitig entscheiden, das Gesamtkunstwerk abzuschießen?

Loth: Kader Loth.

SZaW: Wie?

Loth: Dann wird aus mir die Kader Loth, die ich war, bevor ich bekannt wurde.

SZaW: Sie wären nicht traurig?

Loth: Doch, schon. Aber nicht gefährdet. Ich sehe das wirklich gelassen. Ich stehe fest im Leben, glauben Sie mir das mal.

SZaW: Sind Sie ein Star?

Loth: Nein, ich sehe mich nicht in dieser Kategorie. Der Begriff wird missbraucht. Ich habe einen gewissen Bekanntheitsgrad. Meine Karriere ist eine Reise - und die wird mich jetzt mal weiter führen.

SZaW: Hat Verona Feldbusch Angst vor Ihnen?

Loth: Oh, das glaube ich nicht!

SZaW: Sie haben das flamboyantere Auftreten - und auch eine viel nettere Stimme.

Loth: Ihr seid allerliebst. Aber wieso sollte sie vor mir Angst haben? Sie kann besser "Blubb" sagen - ich besser "Contenance". Es ist ja doch Platz für uns beide.

SZaW: Sie könnten ihr ein paar nette Werbeverträge vor der Nase wegschnappen.

Loth: Ich könnte mir ein paar nette Werbeverträge schnappen. Aber ich muss sie Verona nicht vor der Nase wegschnappen . . . Bin ich ein Typ für Spinatwerbung?

SZaW: Kader Loth, zum Schluss haben wir nur noch eine Frage: Was bedeutet Ihr Vorname auf Deutsch?

Loth: Schicksal.

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