Interview mit der Schwester des Dalai Lama:"Lachen kann eine Waffe sein"
Lesezeit: 5 Min.
Jetsun Pema, die Schwester des Dalai Lama war Ministerin für Frauen in der Exil-Regierung, plant derzeit eine tibetische Universität in Bangalore. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht sie über die Zukunft Tibets, die Olympischen Spiele und ihren Bruder. Interview: Claudia Fromme
Eigentlich sollte der Dokumentarfilm "10 Fragen an den Dalai Lama" Thema sein, bei diesem Treffen im Hotel "Kaiserin Elisabeth" in Feldafing am Starnberger See. Die amerikanische Produktion läuft von Donnerstag an im Kino, und zum Filmstart ist Jetsun Pema, 68, die Schwester des Dalai Lama, aus dem indischen Exil in Dharamsala angereist. Den Film aber hat sie noch nicht gesehen. "Macht nichts", sagt sie und lacht. "Ich werde ihn mir bei der Premiere anschauen, das ist früh genug."
Sie wolle sowieso lieber über aktuelle Fragen reden, sagt sie. Jetsun Pema war Ministerin für Frauen in der Exil-Regierung und hat 1964 die Organisation Tibetan Children's Villages gegründet, die sich seither um Zehntausende Flüchtlingskinder kümmerte und den SOS-Kinderdörfern ähnelt. Gerade ist sie dabei, eine tibetische Universität in Bangalore zu gründen, Semesterstart ist im Juli.
Süddeutsche Zeitung: Die Gesandten des Dalai Lama sind aus Shenzhen abgereist, wo sie sich mit Vertretern der chinesischen Regierung getroffen haben. Von einer "freundlichen Stimmung" war die Rede - und dass es neue Treffen geben soll. Welche Hoffnung verbinden Sie damit, Jetsun Pema?
Pema: Die Hoffnung eines jeden Exiltibeters ist, eines Tages nach Tibet zurückzukehren. Das Treffen in Shenzhen am Sonntag war das siebte in fünf Jahren und die Gespräche haben, wie alle zuvor, nirgendwohin geführt. Die Chinesen spielen auf Zeit. Seine Heiligkeit ist 72 Jahre alt und sie glauben, dass die Tibet-Frage beendet sein wird, wenn der Dalai Lama nicht mehr ist. Dabei macht er es ihnen so leicht wie vielleicht keiner nach ihm. Er fordert keine Unabhängigkeit, sondern nur kulturelle Autonomie. Nur, dass wir unsere Religion ausüben dürfen, unsere Sprache sprechen, unsere Kultur leben können. Aber die chinesische Regierung unterstellt ihm ständig, dass er anderes im Schilde führt. Sie nennt ihn "Dämon".
SZ: In Tibet hält sich eine chinesische Delegation bereit, das olympische Feuer auf den Mount Everest zu tragen. Was fühlen Sie dabei?
Pema: Es ist wieder eine dieser chinesischen Machtdemonstrationen, jede einzelne schmerzt mich. Weil das Wetter zu schlecht ist, geht der Fackellauf noch nicht los - vielleicht sind die Götter auf unserer Seite. Seit dem großen Aufstand von 1959 haben wir nicht so viel Aufmerksamkeit in der Welt bekommen wie bei den Protesten entlang der Strecke des Feuers. Ich persönlich begrüße die Proteste.
SZ: Begrüßt sie auch der Dalai Lama?
Pema: Er hat immer unterstützt, dass China die Olympischen Spiele bekommt, aber zugleich fühlt er, dass ein Gastgeber auch Verpflichtungen hat. Als sich das Olympische Komitee für China entschied, war ein Punkt, dass es auf Fragen zu Menschenrechten reagieren muss. Es geht ja nicht nur um Tibet, sondern auch darum, wie China sein eigenes Volk behandelt. Doch da wurde noch gar nicht genau nachgefragt. Alle sind zu beschäftigt damit, Geschäfte mit China zu machen.
SZ: Empfinden Sie Hass auf China?
Pema: Wenn man jünger ist, fühlt man Hass. Heute bin ich 68 und beobachte, seit ich zehn Jahre alt bin, die Situation in Tibet aus dem Exil. Der Hass ist abgeebbt. So oft es geht, versuche ich Informationen aus Lhasa zu bekommen, viel läuft übers Mobiltelefon, aber oft werden die Funksignale gestört. Die Menschen riskieren ihr Leben, wenn sie über die Zustände berichten. Ich habe viele verzweifelte Nachrichten bekommen. Einer sagte mir: "Wir können nicht mehr, wir haben nichts mehr außer unserem Leben." Manchmal bin ich mutlos, aber ich versuche dann positiv zu sein. Der Buddhismus lehrt, dass negative Gefühle schlecht sind.
SZ: Wenn der Papst etwas sagt, hält die Welt den Atem an, wenn der Dalai Lama als religiöses Oberhaupt der tibetischen Buddhisten redet, sagen manche: lustiger Typ. Ist es schwer, eine Autorität zu sein, wenn man volksnah ist wie Ihr Bruder?
Pema: Er ist ernsthafter als alle anderen, das Leid aller Tibeter geht ihm nah. Aber auch Lachen kann eine Waffe sein. Wenn man positiv ist, verleiht einem das besondere Energie. Der Dalai Lama ist eine sehr offene Person. Darum ist es Unsinn, wenn die Chinesen ihn verdammen und sagen, dass er der Mastermind hinter den Unruhen in Tibet vom März ist und die Proteste gegen das olympische Feuer organisiert. Ein Friedensnobelpreisträger als Unruhestifter - das ist doch verrückt.
SZ: Die Jugendlichen in den Tibetan Children's Villages nennen Sie "Amala", Mutter. Heute erwächst der Protest gerade aus den Reihen der jungen Exil-Tibeter. Es sind Ihre Kinder, die gegen den Dalai Lama aufbegehren, die mit Gewalt die Unabhängigkeit Tibets erwirken wollen.
Pema: Jeder hat das Recht zu denken, was er will. Seine Heiligkeit sagt: Wir leben in einer Demokratie, freie Meinung ist Teil davon. Aber wenn sie Unabhängigkeit fordern, reicht die Idee allein nicht. Nun ist es an der Zeit für diese zornigen jungen Menschen, die gegen Seine Heiligkeit sind, ihren Aktionsplan vorzubringen. Das tibetische Volk soll darüber abstimmen, dann werden wir sehen. Wenn es besser ist als der friedliche Weg - gut. Aber: Sie haben keinen Plan. Die, die Gewalt fordern, sollten auch die Folgen bedenken. Gewalt erzeugt Gegengewalt, das Leid der Tibeter würde durch die militärische Übermacht Chinas noch größer.
SZ: Sie sprechen immer von Seiner Heiligkeit, nie von Ihrem Bruder. Warum?
Pema: Ich nenne ihn schon immer so. Er ist mein Mentor, mein Guru. Einen Bruder sehe ich nicht in ihm. Als ich zur Welt kam, war er schon als 14. Dalai Lama inthronisiert, lebte im Potala-Palast. Ich konnte ihn nur selten sehen und ich fand es auch ein wenig langweilig dort im Palast, weil wir nicht spielen durften - er musste sich ja auf seine Aufgabe vorbereiten. Er spielte dann heimlich mit den Putzleuten. Manchmal hat er auch spielende Kinder auf den Straßen von Lhasa mit einem Fernrohr beobachtet.
SZ: Wie oft treffen Sie ihn heute?
Pema: Ich gehe nur zu ihm, wenn ich ein Problem habe, und in meinem Alter habe ich nicht mehr viele Probleme. Direkt kann ich ihn auch nicht erreichen. Er hat kein Handy, und Internet ist auch nicht sein Ding. Ich melde mich immer erst bei seinem Assistenten an, ich will ihn nicht stören. Aber immer, wenn er in Dharamsala auftritt, bin ich da. Manchmal essen wir zusammen. Und immer geht es um die Kinder. Ihm liegt die Ausbildung der Jugendlichen, der Flüchtlingskinder am Herzen. Er unterstützt meine Pläne für die Universität in Bangalore.
SZ: Hat der Aufstand vom März Auswirkungen auf die Flüchtlingssituation?
Pema: Normalerweise nehmen jedes Jahr 3000 Tibeter den 2000 Kilometer langen Weg über die Berge auf sich, 1200 von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Viele kommen mit abgefrorenen Zehen hier an, es ist ein harter Weg. Seit den Unruhen sind es sehr viel weniger geworden. Die Grenzen werden viel schärfer bewacht.
SZ: Sie widmen sich besonders der Pflege der tibetischen Kultur. Seit der chinesischen Invasion sind fast 60 Jahre vergangen. Droht nicht die Gefahr, dass im Exil die Vergangenheit nur konserviert wird?
Pema: Kultur lebt mit der Zeit und mit den Menschen. Darum ist es wichtig, unsere Kultur zu bewahren, nicht aber, sie einzufrieren, wie sie in den 50er Jahren war. Dazu gehört etwa die Stellung der Frau. Seine Heiligkeit hat sogar gesagt, dass der nächste Dalai Lama auch eine Frau sein könnte. Es gibt heute viele Menschen, denen das Schicksal der Tibeter nicht egal ist - das zeigt doch, dass wir unsere Kultur erfolgreich bewahrt haben. Auch dass viele Exiltibeter ihren Kindern Tibetisch beibringen, ist ein Hinweis darauf. Ich kann Tibetisch sprechen, aber nur schlecht schreiben und lesen, weil ich das Land so früh verlassen habe. Das ist leider so. Ich spreche Englisch. Aber für alle Fälle habe ich eine Sekretärin, die meine Briefe auf Tibetisch schreibt.