Süddeutsche Zeitung

Interview:"Du bist wie der Flaschengeist"

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Unterschiedlicher könnten Schauspieler Götz George und Regisseur Hajo Gies nicht sein: George ist temperamentvoll, Gies wohl temperiert. In "Alpenglühen" haben sie erneut zusammengearbeitet. George und Gies über Freundschaft, Kompromisse und "Schimanski".

Interview: Christopher Keil

Wenn Götz George, der die meiste private Zeit auf Sardinien verbringt, nach Hamburg reist, sucht er umgehend seinen sardischen Freund Paolino auf. Praktischerweise betreibt Paolino ein Restaurant an der Alster. George sitzt immer am selben Ecktisch. Diesmal war ihm die vertraute Umgebung noch vertrauter: Auf dem Tisch waren Dorade und Weißwein, am Tisch saß Hajo Gies. Gies, 59, und George, 66, sind seit 25 Jahre befreundet.

Beiden ist die Tatort-Figur Schimanski zu verdanken. Gies hat als Regisseur für Schimanski den Grimme-Preis (1988) und den Bayerischen Fernsehpreis (1990) gewonnen. George hat alles gewonnen, auch einen Emmy.

Späte Anerkennung seiner Schimanski-Darbietung war 2004 eine Emmy-Nominierung. Nun haben beide wieder zusammengearbeitet. Alpenglühen 2 heißt ihr Heimatfilm, den die ARD am Donnerstag um 20.15 Uhr ausstrahlt. Die Zeiten und Projekte haben sich geändert, George und Gies nicht.

SZ: Herr George, warum haben Sie einem zweiten Teil der Heimatkomödie Alpenglühen zugestimmt?

Hajo Gies: Ach je.

SZ: Ach je?

Gies: Alles, was ich in den vergangenen zwei Jahren gemacht habe, fand die Süddeutsche Zeitung schlecht. Das wollt Ihr wohl jetzt auch machen.

Götz George: Einen Film habe ich auch gesehen: Den fand ich nicht so doll.

Gies: Welchen?

George: Sag ich nicht, aber ich habe gedacht: Das ist doch nicht mein Hajo. Die Handschrift kenne ich doch sonst.

SZ: Wie ist die Handschrift?

George: Seine Handschrift? Wenn wir beide einen Film drehen, fließen so viele Elemente ein, die uns beide verbinden.

Gies: Ja, das kommt zusammen, durch die Kombination von ihm und mir.

George: Er kennt mich, meinen Humor, alles, und er lässt sich jetzt gnadenlos auf mich ein. Und ich mich auf ihn.

SZ: Am Anfang stand Schimanski. Das ist fast 25 Jahre her. Blicken Sie gerne zurück?

Gies: Wir hatten Erfolg. Man kann sich kaum noch erinnern, aber wir müssen damals den Zeitgeist getroffen haben. Schimanski hat eingeschlagen.

SZ: Und wer hat ihn erfunden?

Gies: Theoretisch gab es ihn schon vor 1981. Er stammt aus der Filmhochschule München, erster Kursus.

SZ: Und?

Gies: Weiß man das nicht?

SZ: Nein.

Gies: Filmhochschule München, A-Kurs, ist ein Mythos. Wim Wenders war der bekannteste.

SZ: Ihr Jahrgang?

Gies: Genau. Wir waren bald eine Gruppe innerhalb der Bavaria, und aus dieser Gruppe entstand eine Schimanski-Figur. Ich hatte bereits Tatorte mit Hans-Jörg Felmy gemacht, und wir wollten einen Kommissar, der etwas anderes darstellte. Man musste nur einen treffen, der das mitmachte.

George: Zuerst habe ich gesagt: In die Sache will ich nicht reinrutschen.

SZ: Wie immer.

George: Was?

SZ: Alpenglühen zum Beispiel.

George: Wie? Warte mal. Als die mich in Sardinien anriefen und sagten, wir möchten gerne, dass du einen Tatort-Kommissar spielst, habe ich gesagt: So ein Quatsch. Mach ich nicht. Ich leg mich doch nicht mit so einer Rolle fest. Ich musste aus einer Kneipe telefonieren...

SZ: In Sardinien?

George: Natürlich. Ich hatte noch kein Telefon in meiner Bude. Und so habe ich denen von der Bavaria stehend am Kneipentelefon erklärt, wie ich mir so eine Figur vorstellen könnte.

Gies: Und der Tatort hatte 1980 kein gutes Image. Der ging richtig runter. Wenn es da keinen Schimanski ge geben hätte, gäbe es heute keinen Tatort mehr.

George: Ich habe denen gesagt: "Wenn ich das spiele, wird das kein Anzug-Kommissar." Ich hatte mich sehr genau geäußert, und plötzlich sagten die von der Bavaria: Genau so wollen wir das auch.

Gies: Eberhard (Feik, Schimanskis Kollege Thanner, d.Red.) hatten wir vor dir verpflichtet.

George: Den kannte ich ja noch nicht.

Gies: Wir haben uns alle bei der Kostümprobe in deinem Haus auf Sardinien getroffen.

George: Der Eberhard kam gleich im schwarzen Anzug und einer Fliege. So stellte der sich das vor. Dann kamt ihr mit der Lederjacke für mich, und da bin ich rausgerannt und habe den grünen Parka meines Bruders geholt. Die saßen alle auf meiner Couch, und ich stand da in Jeans und der Jacke. Ihr wolltet aber Lederjacke und Cordhose.

Gies: Wir fanden den grünen Parka zu soldatisch. Wir waren ja alle anti-militaristisch und links. Es gab dann den Kompromiss, dass der Parka grau wurde.

George: Der wurde gefärbt, die Atzeklappen wurden abgerissen. Aber ich blieb bei meiner Kampfjacke. Und da habe ich blöde Gesichter gesehen auf meiner Couch.

SZ: Wäre es heute überhaupt noch möglich, einen Schimanski einzuführen?

Gies: Bestimmt nicht. Schimanski brach mit allem, was damals gut und wertvoll war im deutschen Fernsehspiel.

George: Außerdem haben sich später alle an der Figur orientiert.

Gies: Damals haben alle gedacht: Es gibt drei Schimanski-Episoden, dann ist Schluss, das will keiner. Und wir haben gemacht, was wir für richtig hielten. Das war das Paradies. Dummerweise hat ausgerechnet meine Generation das verändert. Die muss überall mitbestimmen und kontrollieren.

George: Wir sind immer weiter gegangen als das Drehbuch. Wenn da stand: Schimanski geht aufs Klo, dann ging Schimanski aufs Klo, aber daraus wurde dann eine Verhörsituation auf dem Klo. Was wir uns ausdachten, wurde umgesetzt. Das war bei Alpenglühen immer noch so.

SZ: Genau, Alpenglühen...

Gies: Ich hatte früher auch bei der Besetzung eine größere Freiheit. Für eine Rolle hat mir einer mal einen Bochumer Schauspielschüler empfohlen, der hieß Dietmar Bär. Ich kannte den nicht, traf mich mit ihm, und er bekam bei uns eine Hauptrolle. Anschließend habe ich den WDR in Kenntnis gesetzt, dass nun ein Herr Bär mitspielt. Das war's.

SZ: Heute ist Herr Bär ein Kölner Tatort-Kommissar. Stimmt es, dass die Sender nach Bunte-Titeln besetzen? Dass sie nicht schauen, wer gut, sondern wer gerade populär ist?

George: Was?

Gies: Nicht nur. Es gibt immer noch ernste Stoffe, Arthouse, viel Anspruch, für Preise gemacht.

George: Dass wir jetzt Alpenglühen gemacht haben, hätten wir uns in den achtziger Jahren natürlich nicht vorstellen können. Aber heute macht man schneller Kompromisse, wenn Besetzung und Regisseur stimmen.

SZ: Wie bei Alpenglühen?

George: Das war eine überhöhte Geschichte, und schräge Stoffe sind immer gut. Und daraus hat Hajo eine noch schrägere Geschichte entwickelt. Und ich hatte ein wunderbares Alibi. Wenn Christiane (Hörbiger, d.Red.) das spielt, dann habe ich ja eine große Schützenhilfe. Und in Hajo einen guten, schrägen Freund.

SZ: Sie meinen, Sie hatten Freiraum?

George: Der Hajo ist schon für die Partitur zuständig. Aber ich habe einen angeborenen Spieltrieb. Der muss vom Regisseur angenommen werden, sonst beschädigt man mich.

Gies: Du bist wie der Flaschengeist.

George: Es geht nicht mehr ums In-die-Flasche-Zurückkriegen. Wir wissen doch, was geht und was nicht. Und wir müssen in kurzer Zeit möglichst gut sein.

SZ: Ist Alpenglühen gut?

George: Ja klar. Es war ein schöner Lebensabschnitt.

SZ: Alpenglühen ist ein Produkt der ARD-Produktionstochter Degeto, und die Degeto ist eine industrielle Programm-Bäckerei, die seichtes Abendfernsehen backt. Schimanski hätte die Degeto nie fabriziert.

George: Wenn die Quote gepasst hätte - doch. Bei Alpenglühen1 stimmte die Quote, deshalb hatten wir für Alpenglühen 2 alle Freiheiten.

SZ: Dass Sie so lässig über Quoten sprechen. Schimanski hatte zuletzt keine guten Quoten.

George: Aber wir waren mit ihm für den Emmy nominiert. Das ist die größte Auszeichnung, die man für ein Fernsehspiel kriegen kann. Und nun bitte werde wieder freundlicher zu uns beiden.

Gies: Heute Emmy, morgen Degeto, das schließt sich nicht mehr aus. George: Wir müssen schon sehr darauf achten: Wollen wir arbeiten oder sind wir elitär? Vor 30 Jahren hatte ich nur Kino im Kopf und wollte kein Fernsehen machen. Das hat sich geändert. Fernsehen ist heute oft anspruchsvoller und besser als Kino. Außerdem wird pünktlich bezahlt. Beim Film musst du Geld mitbringen.

SZ: Und im Fernsehen muss man die Tralala-Stoffe annehmen, um sich den kunstvollen Film leisten zu können?

George: So großkotzig wie du kann man aber auch nicht sein.

Gies: Ich?

George: Nein, unser Journalist.

SZ: Okay. Wie lief's denn so 2004?

Gies: Ich habe 2004 mehr gedreht als je zuvor. Ich mache hauptsächlich Komödien. Meine Schimanskis waren ja gleichzeitig Krimi und Komödie.

SZ: Schimanski ist Ihre große Liebe?

Gies: Sicher. Mir fehlt Schimanski. Das kommt nicht wieder. George: Ich liebe den Hajo mehr als er mich.

SZ: Ach ja?

Gies: Götz ist aktiver. Ich bin sicherlich defensiver.

George: Einmal hat er am Set geweint.

Gies: Ich wusste nicht mehr weiter.

George: Da habe ich ihn in den Arm genommen und musste mir was ausdenken, damit er wieder lacht. Du kannst aber auch schamlos sein.

SZ: Sie scheinen beide wieder sehr viel stärker an Schimanski zu hängen als noch vor ein paar Jahren.

George: Nee. Ich kann die Figur morgen loslassen. Aber beim Emmy-Abend haben wir gemerkt, dass unsere Arbeit mit Schimanski unwahrscheinlich positiv aufgenommen wurde. Und das war nicht Köln, das war New York.

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Quelle:
SZ vom 27.1.2005
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