Intelligenzbestie:Der tut nichts, der will nur lernen!

Rico, der Collie aus Dortmund-Eving, kann sich 260 Begriffe merken und bringt damit die Verhaltensforscher durcheinander.

Von Michael Kläsgen

Kaum hat man bei Baus und Krzeslowski in Dortmund-Eving geklingelt, erfüllt lautes Kläffen das Mietshaus. Es ist kein aggressives Bellen, eher ein aufgeregtes. Aber man kann sich ja auch täuschen. Oben in der zweiten Etage öffnet sich dann eine Tür, und heraus springt ein Hund mit schwarzem Fell, weiß-grauer Brust und gefleckten Pfoten.

Intelligenzbestie: Eine Belohnung erhielt Rico nie...  Der schlaue Collie mit seinem Frauchen Susanne Baus.

Eine Belohnung erhielt Rico nie... Der schlaue Collie mit seinem Frauchen Susanne Baus.

(Foto: Foto: dpa)

Das muss Rico sein, der "intelligente Hund", ein Border-Collie. Er richtet sich auf, bellt, schleckt einen an Bauch und Beinen ab, läuft ins Wohnzimmer, nimmt mit der Schnauze ein Plüschtier und hält es dem Besucher hin.

Susanne Baus, sein Frauchen, ruft Rico zurück und bittet den Besuch, einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Da liegen mehr als 200 malträtierte Plüschtiere in acht Plastikkisten.

"Ich mach" jeden Tag eine Kiste mit ihm. Die Stofftiere sind seine Schafe", erklärt sie in Anspielung darauf, dass Border-Collies Arbeitshunde sind und oft als Schäferhunde genutzt werden. Ihr Mann weist unterdessen präventiv darauf hin, dass es mit der Unterhaltung etwas schwierig werden könnte.

In der Tat: Kaum sitzt man, legt Rico einem mehrere Plüschtiere auf den Schoß. Und ebenso ohne Umschweife gibt Susanne Baus eine Kostprobe von Ricos Künsten: ¸"ico", ruft sie. Der Hund stellt sich vor ihr auf und starrt sie an. "Rico, wo ist der Weihnachtsmann?" Rico zögert eine Sekunde, macht zwei Schritte zurück, dreht sich um, geht suchen und präsentiert kurz darauf den Weihnachtsmann aus Plüsch.

"Fragen Sie ihn mal nach dem Drachen", sagt Baus. "Rico, wo ist der Drache?" Das gleiche Spiel. Ein Blick wie unter Hypnose, zwei Schritte zurück - und schwupps kommt der Drache. Rico kann etwa 260 Namen bestimmten Objekten zuordnen. 1999, als er bereits hundert Vokabeln beherrschte, ist Rico bei "Wetten, dass" aufgetreten und "Wettkönig" geworden.

Eine Berühmtheit in der Fernsehunterhaltung

Etliche Auftritte bei Sat 1, ProSieben, RTL folgten - Rico war zeitweise eine Berühmtheit in der Fernsehunterhaltung. Meist tauchte in den Beiträgen auch die Kieler Hundepsychologin Dorit Feddersen-Petersen auf, immer mit derselben Aussage: "Das ist völlig unmöglich. Das muss ein Trick sein", wiederholte sie beharrlich.

Doch sie irrte. Hunde können ähnlich wie Kleinkinder die Bedeutung unbekannter Wörter erraten und erlernen. Das haben nun Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nachgewiesen.

Mehr als drei Jahre lang haben Julia Fischer und Juliane Kaminski mit Rico geforscht, bis feststand, dass die Fähigkeit, einen Zusammenhang zwischen Gegenständen und ihrer lautmalerischen Bezeichnung herzustellen, nicht nur Menschen vorbehalten ist.

Der Schluss, den man daraus ziehen kann, ist noch bemerkenswerter: Für jenes in der Fachsprache "fast mapping" genannte "schnelle Zuordnen" eines Begriffes zu einem bestimmten Objekt ist es nicht notwendig, die Worte selber artikulieren zu können. "Man muss nicht sprechen können, um viel zu verstehen", erklärt Fischer.

Der tut nichts, der will nur lernen!

Das lässt darauf schließen, dass sich gegenständliche Wahrnehmung und kognitives Erkennen von Gegenständen früher als die menschliche Sprache und zudem unabhängig von ihr entwickelt haben. Diese für die evolutionäre Anthropologie neuen Erkenntnisse veröffentlichen Fischer und Kaminski am heutigen Freitag im amerikanischen Wissenschaftsmagazin Science.

In einer ersten Phase hatten die Wissenschaftlerinnen geprüft, ob Rico ohne Tricks und ohne sein Frauchen die Namen seiner Spielzeuge kennt. Das war so. Anschließend wollten sie herausfinden, ob Rico auch neue Begriffe rasch zuordnen kann.

Fischer und Kaminski legten dazu jeweils ein neues Plüschtier in eine Reihe bekannter Spielsachen. Dann schickten sie Rico auf die Suche, indem sie Susanne Baus den Namen des unbekannten Spielzeugs zweimal laut aussprechen ließen.

Als der Hund zurückkam, hatte er in sieben von zehn Versuchen das richtige Objekt mitgebracht. Offenbar war er nicht nur von rascher Auffassungsgabe, sondern ging wie ein Kleinkind nach dem Ausschlussprinzip vor: Die Zweibeiner mussten mit dem unbekannten Begriff wohl das unbekannte Ding gemeint haben.

"Das ganze Brimborium"

"Das Besondere aber ist", sagt Verhaltensforscherin Fischer, "dass sich Rico die Beziehungen zwischen dem neuen Namen und dem Gegenstand merken kann. Das hat bisher noch niemand festgestellt."

Nach vier Wochen hatten die Wissenschaftlerinnen den Hund nämlich erneut aufgefordert, die neuen Plüschtiere zu apportieren, ohne dass Rico sie in der Zwischenzeit gesehen oder ihren Namen gehört hatte. Und wieder erkannte er sie.

Sein Frauchen Susanne Baus, die darauf Wert legt, dass es sich nicht um "Dressur" handelt, machen die Forschungsergebnisse zwar stolz. Andererseits kann sie "das ganze Brimborium" um ihren Hund nicht ganz nachvollziehen. Immerhin sei ihr seit langem klar, dass Rico sogar ein besseres Gedächtnis habe als sie selbst.

Von den mehr als 200 Kunstnamen, die Susanne Baus und ihr Mann sich in den vergangenen Jahren ausgedacht hatten, vergaßen sie immer wieder den einen oder anderen und begannen, sich die Namen zu notieren. Irgendwann wurden sie durch ihren Hund sogar darauf aufmerksam, dass sie die Plüschtiere Drache und Ungeheuer ständig verwechselten.

Rico indessen verwechselt Gegenstände eher dann, wenn die Namen zu ähnlich klingen. "Möwe" und "Möhre" bringt er schon mal durcheinander, oder auch "Pingu" und "Pinky". Und noch etwas stellten Susanne Baus und ihr Mann fest: Der Geruch, der bei Hunden eine Million mal feiner ausgeprägt sein soll als beim Menschen, spiele eine besondere Rolle.

Schwer falle es Rico, Plüschtiere zuzuordnen, die frisch gewaschen sind oder draußen bei starkem Wind zu apportieren, erzählen sie. Beabsichtigt hätten sie es jedoch nie, aus Rico ein Superhirn zu machen.

Susanne Baus wollte einfach einen Hund, der bewegungsfreudig ist. Erst später erfuhr sie, dass Border-Collies Arbeitshunde sind, die bis zu 50 Pfeiftöne unterscheiden können und vier bis sechs Stunden am Tag beschäftigt werden wollen. Am Ende wählte ihr Mann Rico aus, weil der sich streicheln ließ.

Der Hund wird "bekloppt"

Der für Ricos spätere Entwicklung entscheidende Moment trat ein, als er neun Monate alt war: Der Hund musste am Schulterblatt operiert werden, und für die Zeit der Rekonvaleszent kaufte Susanne Baus ihm einen Gummiknochen, genannt Gummi, und einen Stoffdrachen, genannt "Saurier".

Irgendwann fiel ihr auf, dass Rico beide Namen unterscheiden konnte. Aus Neugier schenkten ihm Bekannte weitere Stofftiere, und als Rico zehn davon auseinander halten konnte, dachten alle, bald würde der Hund "bekloppt".

Eine Belohnung erhielt Rico nie. Als er 100 Vokabeln beherrschte, kamen Susanne Baus" Freunde auf die Idee, ihn bei "Wetten, dass" vorzuschlagen. Bei seinem zweiten Auftritt in der "Wetten, dass"-Jubiläumssendung 2001 wurden die Wissenschaftlerinnen vom Max-Planck-Institut aufmerksam. Der Wettkönig mutierte zum Forschungsobjekt.

Fischer und Kaminski nehmen an, dass die Forschung nach ihrer Studie auf eine breitere Basis gestellt werden kann. Galten bislang Schimpansen, weil sie dem Menschen ähnlich sind, als ideal für die Forschung, könnten jetzt Hunde die neuen Schimpansen werden, heißt es in Science.

Affen, Delfine, Seelöwen, Papageien und Rico

Rico jedenfalls hat bewiesen, dass sein Wortschatz dem sprachtrainierter Affen oder auch Delfinen, Seelöwen beziehungsweise Papageien durchaus ebenbürtig ist. Bleibt nur die Frage, ob Rico ein einzelner "Einstein" unter Hunden ist oder einer von vielen.

Der Züchter, bei dem Susanne Baus Rico vor mehr als neun Jahren kaufte, hatte darauf eine Antwort: "Da sind zwei Extreme aufeinander getroffen", sagte er einmal: Ein hyperaktiver, "lernbegieriger" und nicht auf Schönheit gezüchteter Rassehund und ein Frauchen, das bereit ist und Zeit hat, mehrere Stunden am Tag mit ihm zu spielen.

Science, Bd. 304, S. 1682, 2004

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