Integrationsdebatte:Polizei im Kulturschock

Berliner Polizeiakademie

Polizeischüler sitzen in der Berliner Polizeiakademie auf einer Bank vor einem Ausbildungsgebäude.

(Foto: dpa)

Schlechte Bildung, mangelnde Integration - oder doch Rassismus? Die Berliner Polizeiakademie verzweifelt an den großen Themen unserer Zeit.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Hast du schon gehört? Berliner Polizeischüler wollten nicht ins Schwimmbecken, weil vorher eine Unreine drin war! Geschichten wie diese bekommt Stefanie Steidel oft mit: "Jemand hat das von jemandem gehört, der das gehört hat. Aber wenn man dann nachfragt, hat es niemand tatsächlich erlebt." Steidel, die eigentlich anders heißt, ist Ausbilderin an der Polizeiakademie in Berlin-Spandau. Sie ist eine von vielen, die sich gerade Gedanken machen über das, was in dieser Akademie passiert - und über die Art, wie es nach außen dringt.

Die Polizeiakademie steht seit Tagen in der Kritik. Am Anfang stand eine Sprachnachricht eines Dozenten, der sich über Schüler mit Migrationshintergrund beschwerte: "Frech" seien sie, "dumm wie Sau". Das Fazit: "Das ist der Feind in unseren Reihen." Es folgten anonyme Beschwerden an den Polizeipräsidenten, an Politiker und die Medien. Mal ging es um arabische Clans, die angeblich die Polizei unterwanderten, mal um die mangelhafte Bildung und Deutschkenntnisse der Polizeianwärter. Polizeipräsident Klaus Kandt schoss zurück, wies die meisten Vorwürfe von sich und warf den anonymen Schreibern Rassismus vor.

"Die Polizei ist ein Spiegel der Gesellschaft"

Schlechte Bildung, mangelnde Integration, Rassismus: Es sind die großen Themen unserer Zeit, die hier verhandelt werden. Das ist kein Zufall, sagt der Staatsrechtsprofessor Christoph Gusy: "Die Polizei ist ein Spiegel der Gesellschaft." Das sei einerseits gut: "Polizisten sind Bürgerinnen und Bürger in Uniform, die die Regeln und Tugenden umsetzen, die wir alle vertreten sollen." Anderseits bedeute das auch, dass unter Polizisten dieselben Konfliktlinien auftreten, dieselben Debatten geführt werden müssen, wie im Rest der Gesellschaft.

Zum Beispiel darüber, was ein Schulabgänger eigentlich können muss - eine Debatte, die in Berlin besonders hitzig verläuft. In Bildungsstudien landen die Berliner Schulen und ihre Schüler regelmäßig auf dem letzten Platz. Wie erfolgreich Kinder in der Schule sind, hängt immer noch massiv vom sozialen Status der Eltern ab. Ein riesiges Problem in einer Stadt, die einen besonders hohen Anteil armer Familien hat. Wundersamerweise werden die Abiturnoten in der Hauptstadt jedoch immer besser - zulasten der Qualität, klagen Experten.

Steidel bestätigt das: "Die Mehrzahl unserer Schüler hat zwar Abitur, aber es kommt immer häufiger vor, dass manche nicht mal in der Lage sind, einen geraden Satz aufs Papier zu bringen." Das treffe keineswegs nur auf die Schüler mit Migrationshintergrund zu. "Anscheinend lernen sie das in der Schule nicht mehr richtig." Das Bildungssystem in Berlin sei "eine einzige Katastrophe".

Steidel ist nicht die Einzige, die so denkt. Ähnliche Klagen kommen auch aus der Wirtschaft. Die Polizei trifft das aber besonders, weil nach jahrelangem Sparzwang plötzlich sehr viele Anwärter gesucht werden. "Der öffentliche Dienst in Berlin wurde jahrelang kaputtgespart", sagt Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei. Deswegen müsse man heute mehr einstellen und nehme nicht wie früher die hundert besten Bewerber, sondern eben die 600 Besten. "Das ist dann unter Umständen eine andere Qualität."

Neue Strukturen, große Probleme

Der Berliner Gewerkschafter hat selbst versucht, die Schilderungen zu überprüfen. Und kann sie, wie sie zurzeit in den Schlagzeilen landen, weder in dieser Drastik noch in den geschilderten Details bestätigen. Er bestätigt jedoch Probleme in der Ausbildung. Es habe zwar schon immer Polizeischüler gegeben, die nicht in die Polizei gepasst hätten. Früher seien die Schüler allerdings den ganzen Tag von einem Zugführer oder Gruppenführer begleitet worden. Seit einer Strukturreform gibt es nur noch Klassenlehrer, die die Schüler nicht mehr den ganzen Tag sehen. "Damit verlieren die Auszubildenden stetige Ansprechpartner und Respektpersonen, die Fehlverhalten entgegenwirken könnten", sagt Jendro.

Christoph Gusy sieht dabei noch ein anderes Problem - und das hat weniger mit den Schülern, als mit den Ausbildern zu tun. "Die Polizei hat die vergangenen Jahre sehr wenige Leute eingestellt. Das verbleibende Personal ist teilweise überaltert", sagt er. Das merke man in den Einheiten und in den Polizeischulen: "Da treffen dann überspitzt gesagt Ausbilder, die in einer geteilten Stadt im Kleingartenverein sozialisiert wurden, auf Jugendliche aus Neukölln, die in einer völlig anderen Umgebung aufgewachsen sind."

Generationenkonflikt trifft auf Rassismus

Ein Generationenkonflikt, der wahrlich nicht ungewöhnlich ist, trifft in Berlin also auf kulturelle Unterschiede. Und schon ist man mittendrin im zweiten großen Thema: Integration. Wer muss sich hier an wen anpassen und warum? Die Berliner Polizei wirbt seit einigen Jahren intensiv um Schüler mit Migrationshintergrund. Zu Recht, sagt Christoph Gusy: "Wenn eine Gesellschaft multikulturell ist, muss es die Polizei auch sein." Sie brauche die Sprachkenntnisse der jungen Auszubildenden, noch mehr aber deren kulturelles Wissen. "In Neukölln gibt es andere Probleme als im Kleingartenverein in Spandau. Der Polizist aber muss alle gesellschaftlichen Probleme in polizeiliches Handeln umsetzen können."

Dafür brauche es unter anderem ein hohes Maß an Toleranz. "Ein Polizist trifft jeden Tag Leute, die Dinge anders machen als er selbst, die aber deswegen noch lange nicht kriminell sind. Er muss anerkennen, dass auch Fremdes seine Daseinsberechtigung hat und es von kriminellem Handeln unterscheiden." Diese Toleranz vermisst der Polizeirechtler nicht nur im Umgang mancher Polizisten mit den Bürgern, sondern auch mit den neuen Kollegen, die sich in Sprache und Verhalten vielleicht von einem selbst unterschieden. Weil sie jünger sind oder weil sie aus einem anderen Umfeld kommen als ihre Ausbilder.

Befehl und Gehorsam müssen sein

Dennoch gibt es natürlich bestimmte Regeln, die es als Polizist einzuhalten gelte, sagt Christoph Gusy: "Das Prinzip von Befehl und Gehorsam zum Beispiel braucht auch die moderne Polizei." In gefährlichen Einsätzen könne nicht jeder Schritt, den der Vorgesetzte anfordert, hinterfragt und diskutiert werden. Wo also liegen berechtigte Beschwerden über mangelnde Disziplin vor? Wo hingegen geht das in Rassismus über, in Intoleranz gegenüber Menschen, die anders aussehen, anders reden? Diese Frage ist insbesondere dann kaum mehr zu klären, wenn Vorwürfe anonym von Ohr zu Ohr wandern - und am Ende keiner mehr weiß, woher sie kommen.

Einigen Kollegen fehle jedenfalls das Einfühlungsvermögen und auch an Offenheit für diejenigen, die zu ihnen kommen, sagt Stefanie Steidel. "Die sagen: Das ist nicht mehr meine Polizei! Und ich denke: Stimmt. Als du vor 30 Jahren angefangen hast, da stand die Mauer noch, in der Polizei gab es nur Menschen mit deutschen Wurzeln und ihr habt euch mit Hausbesetzern gekloppt." Heute sei die Gesellschaft eine andere.

Steidel beobachtet, dass insbesondere für Schüler mit Migrationshintergrund der Polizistenberuf ein Schritt hin zu mehr Anerkennung in der Gesellschaft ist. "Es ist nicht so, dass die Schüler in der Schule die ganze Zeit bitterernst über ihren kulturellen Hintergrund nachdenken. Sie blödeln auch herum, nennen sich gegenseitig 'Schwarzköpfe' und 'Kartoffeln'." Aber die Schüler störe der gesellschaftliche Umgang mit ihnen. "Allein die Tatsache, dass sie immer als Deutsche mit Migrationshintergrund bezeichnet werden. Sie sagen: Wir sind Deutsche, warum braucht es immer diesen Zusatz?"

Verunsicherte Schüler, verunsicherte Lehrer

Nach ihrem ersten Einsatz auf der Straße seien viele ganz erstaunt, dass die Menschen da draußen auf einmal auf sie hören, ihre Autorität anerkennen, sagt Steidel. Diese Autorität verlangt umgekehrt natürlich viel Verantwortungsbewusstsein. Polizisten sind Träger staatlicher Gewalt und im Dienst stets auch Repräsentanten des Staates. Sind die Schüler, die auf der Polizeiakademie diesen Beruf lernen, dieser Verantwortung gewachsen?

Ein anderer Lehrer, der ebenfalls anonym bleiben will, sagt: "Klar müssen die sich hier erst mal akklimatisieren. Wenn die bei uns ankommen, kommt es schon mal vor, dass einer mit seinem Baseballcap in der Bank rumlümmelt. Aber der Moment, wenn sie zum ersten Mal ihre Uniform anhaben, der macht was mit denen." Die ganze Ausbildung sei ein Prozess, den die Schüler durchlaufen müssten. Es sei Aufgabe der Ausbilder, diesen Prozess zu begleiten und die jungen Menschen als Polizisten zu sozialisieren.

Lehrerin Steidel macht jedenfalls deutlich, was sie selbst von der Diskussion über ihre Schüler hält: "Viele der Anschuldigungen, die da an die Öffentlichkeit kamen, empfinde ich als rassistisch. Ich lege für 95 Prozent meiner Schüler die Hand ins Feuer." Von Aussagen wie "Der Feind in den eigenen Reihen" fühlten die sich kollektiv verurteilt.

Ob die Polizei generell ein Rassismusproblem hat, das wird immer wieder diskutiert. Ebenso, ob sie eine größere Nähe zu rechten Parteien aufweisen als der Rest der Bevölkerung. "Machen wir uns nichts vor", sagt dazu Christoph Gusy, "Menschen wie Polizisten, die stark in gesellschaftlichen Ordnungen denken, sind anfälliger für autoritäres Denken." Übrigens nicht nur in rechten Strukturen: "Das Staats- und Polizeiverständnis in der DDR zum Beispiel hatte starke Ähnlichkeiten zu dem, wie man es heute in rechten Parteien findet."

Die Polizei müsse überlegen, wie sie mit diesen unterschiedlichen, teilweise unvereinbaren Strömungen in ihren Reihen umgehe. Der erste Schritt dafür: miteinander reden. "Es müsste hier dringend eine institutionell verankerte Rückmeldungskultur geben", sagt Polizeiexperte Gusy. "Eine Organisation wie die Polizei, die auf Befehl und Gehorsam basiert, braucht immer eine unabhängige Beschwerdestelle." Der Vorgesetzte sehe Beschwerden und Anregungen im Zweifelsfall als Kritik an sich selbst und sei nicht daran interessiert, diese nach oben weiterzugeben.

Fatale Kommunikationsstrukturen

Im Fall der Berliner Polizeiakademie beschweren sich viele Ausbilder über die Kommunikationskultur. Das habe sich nicht zuletzt gezeigt, als die frühere Landespolizeischule zur Akademie umstrukturiert wurde, sagt Steidel. Es sollten mehr Praxisanteile in die Ausbildung integriert werden und das Militärische reduziert werden. "Ich bin absolut dafür, dass man nach 30 Jahren mal die Ausbildung ändern darf. Aber Kritik oder Anregungen werden oft übergangen und die Leute werden einfach nicht mitgenommen." Viele Ausbilder fühlen sich nicht wertgeschätzt - und sehen die Qualität der Ausbildung nicht wegen des kulturellen Hintergrunds der Schüler, sondern wegen der jüngsten Umstrukturierungen in Gefahr.

"Man muss ganz klar sagen: Wir haben keine klare Kritikkultur in der Berliner Polizei", sagt Benjamin Jendro. Das führe zu Unzufriedenheit - und dazu, dass Beschwerden sämtlicher Art anonym in den Medien, in sozialen Netzwerken kommuniziert werden, wo sie immer weiter verbreitet werden. Der Kontrolle der Polizeiführung entziehen sie sich auf diese Weise. Gerüchte von Tatsachen, Fehlverhalten von Generationenkonflikten, Rassismus von berechtigten Beschwerden zu trennen, wird so immer schwerer. Und die üblen Geschichten, die über die Polizei kursieren, werden immer mehr.

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