Süddeutsche Zeitung

Corona und Sprache:Es ist Kastenzeit!

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Nie leuchtete der "Instrumentenkasten" heller als in der Pandemie - quasi minütlich wird er als Metapher bemüht. Eine Sprachkritik.

Von Martin Zips

Dreimal taucht Alfred Hitchcock in seinen Filmen mit einem Instrumentenkasten auf. Das erste Mal in "Spellbound" aus dem Jahr 1945. Da verlässt Hitchcock mit einem Geigenkasten einen Hotelaufzug. Zwei Jahre später, in "The Paradine Case", scheint es dann ein eingepacktes Cello zu sein, mit dem er in einer Filmszene aus dem Zug steigt, und 1951, in "Strangers on a Train", taucht der Regisseur wieder mit einem Instrumentenkasten auf. Diesmal transportiert er damit wohl einen Kontrabass.

Im Laufe der Zeit wurden die Instrumentenkästen bei Alfred Hitchcock also immer größer, das ist zu beobachten. Aber auch sonst, dies beweist ein Blick in das deutschsprachige Zeitungsarchiv, wuchs sich der "Instrumentenkasten" in den vergangenen Jahren zu einer Art Monstrum aus.

Häufig war von ihm zuletzt die Rede, etwa am Sonntagabend in der Talkshow von Anne Will. Vor allem der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bemühte ihn immer wieder als Metapher. In den 1950er-Jahren, als Hitchcock noch "Strangers on a Train" drehte, da fand der "Instrumentenkasten" in deutschsprachigen Zeitungen nur sehr selten Verwendung (und dann fast ausschließlich im Zusammenhang mit Medizinern oder Musikern).

Ab den 1960ern stand der Begriff dann vor allem für Maßnahmen in der deutschen Eigentums-, Wohnbau-, Ost- und vor allem Wirtschafts- und Finanzpolitik (der ehemalige Finanzminister Hans Eichel etwa war ein großer Freund des Ausdrucks "Instrumentenkasten"). Und so ist es auch keine Überraschung, dass der erste Artikel, in dem das muntere Wort im Zusammenhang mit der Pandemie zu finden ist, aus dem wirtschaftsaffinen Handelsblatt stammt. Bereits am 2. März 2020 war hier unter der Überschrift "Kampf gegen den Corona-Crash" zu lesen, das Finanz- und Wirtschaftsministerium in Berlin arbeite für die Unternehmen "an einem Instrumentenkasten".

Wann ist er halb leer, der Instrumentenkasten?

Seitdem ist der Kasten nicht mehr zu halten. Quasi minütlich findet sich irgendjemand, der etwa den "Instrumentenkasten des Infektionsschutzgesetzes" ausschöpfen möchte (FDP-Fraktionsvize Michael Theurer) oder zweifelt, "ob der Instrumentenkasten für die Zukunft reicht" (Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke). Gerne wird auch der alten schwarz-roten Koalition vorgeworfen, sie habe den "Instrumentenkasten halb leer gemacht" (Demokratie-Forscher Wolfgang Merkel). Komisch nur, dass der österreichische Finanzminister Gernot Blümel im Zusammenhang mit der Pandemie permanent von "Instrumentenkoffern" spricht. Mit "Koffern" sind im Voralpenland sonst eher Corona-Leugner gemeint.

Während die Verwendung des Ausdrucks "Instrumentenkasten" im hausärztlichen Kontext, in Komödien ("Der große Blonde") oder im Zusammenhang mit Autos wie dem vor vielen Jahren leider eingestellten "Fuldamobil" eigentlich überholt ist, so scheint er in der aktuellen Diskussion eine neue, leuchtende Bühne gefunden zu haben. Eine Bühne, auf der der Instrumentenkasten endlich strahlen kann, wie zuvor in keinem Orchestergraben. Dem Kasten sei es zu gönnen. Jetzt muss nur noch die Politik das richtige Werkzeug finden.

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