Ins Glück stolpern (I):Die Zukunft ist eine optische Täuschung

Lesezeit: 6 min

Wir sehen kommende Ereignisse so wie ein Pilot ein Kornfeld: verschwommen und glatt. Und immer wieder lassen wir uns von der gleichen Illusion täuschen.

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem Buch "Ins Glück stolpern" wieder, das in den USA ein großer Erfolg war und jetzt in deutscher Sprache erschienen ist.

Ins Glück stolpern (I): Daniel Gilbert Ins Glück stolpern - Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen Aus dem Englischen von Burkhard Hickisch, Riemann Verlag, 2006, 448 Seiten, 19,00 Euro, ISBN: 3-570-50063-2

Daniel Gilbert Ins Glück stolpern - Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen Aus dem Englischen von Burkhard Hickisch, Riemann Verlag, 2006, 448 Seiten, 19,00 Euro, ISBN: 3-570-50063-2

Der Autor zeigt, dass alles, was wir tun und denken, nur eines zum Ziel hat: das Glück zu finden. Doch das Buch ist kein klassischer Ratgeber, wie man den Weg dorthin findet - im Gegenteil: Glück ist nicht planbar. Über Beweise stolpern wir jeden Tag - wir müssen nur mit der Nase darauf gestoßen werden.

Vor mehr als 50 Jahren verließ der Pygmäe Kenge in Begleitung eines Anthropologen das erste Mal die dichten tropischen Urwälder Afrikas und wagte sich hinaus auf die offene Savanne. Büffel tauchten in der Ferne auf - kleine schwarze Flecken vor einem hellen Himmel -, und der Pygmäe betrachtete sie neugierig. Schließlich wandte er sich dem Anthropologen zu und fragte ihn, was für Insekten das seien. "Als ich Kenge erklärte, dass die Insekten in Wirklichkeit Büffel seien, brach er in schallendes Gelächter aus und meinte, ich solle ihm nicht solche dummen Lügen erzählen."

Der Anthropologe war jedoch alles andere als dumm und erzählte auch keine Lügen. Kenge hatte sein ganzes Leben im dichten Urwald verbracht, der ihm keinen Ausblick auf den Horizont gewährte. Daher hatte er nicht gelernt, was für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit ist - dass Dinge nämlich anders aussehen, wenn sie weit weg sind.

Sie und ich, wir verwechseln keine Insekten mit Huftieren, weil wir es gewohnt sind, über weite Entfernungen zu blicken. Wir haben schon früh gelernt, dass Objekte kleinere Abbildungen auf unserer Netzhaut hinterlassen, wenn sie weit weg sind.

Wie weiß unser Gehirn, ob eine kleine Abbildung auf der Netzhaut von einem kleinen Objekt in unmittelbarer Nähe stammt oder von einem großen Objekt in weiter Ferne? Details, Details, Details! Unser Gehirn weiß, dass die Oberflächen nahe gelegener Objekte feinkörnige Details aufweisen müssen, die immer mehr verschwimmen und sich miteinander vermischen, wenn das Objekt in die Ferne entschwindet. Es benutzt die Menge der Details, die wir sehen können, um die Entfernung zwischen unserem Auge und dem Objekt abzuschätzen.

Wenn das kleine Bild auf der Netzhaut viele Details aufweist - und wir die feinen Härchen auf dem Kopf einer Fliege und die Zellophanstruktur ihrer Flügel sehen können -, dann nimmt unser Gehirn an, dass das Objekt wenige Zentimeter vor unserem Auge ist. Wenn das kleine Abbild auf der Netzhaut nicht detailliert ist - und wir nur die vage Kontur und die schattenlosen Umrisse des Büffels sehen können -, dann schlussfolgert unser Gehirn, dass das Objekt kilometerweit entfernt ist.

So wie Objekte in räumlicher Nähe detaillierter erscheinen als Objekte in großer Entfernung, erscheinen auch Ereignisse in der Zeit uns klarer, wenn sie in naher Zukunft liegen. Während die nahe Zukunft ziemlich detailliert ist, ist die entferntere Zukunft verschwommen und glatt.

Wenn zum Beispiel junge Paare gefragt werden, was sie fühlen, wenn sie sich vorstellen "den Bund fürs Leben zu schließen", dann stellen sich die Paare, die einen Monat von dem Ereignis entfernt sind (entweder weil sie in einem Monat heiraten werden oder weil sie vor einem Monat geheiratet haben), ihre Heirat ziemlich abstrakt und verschwommen vor und sprechen von Dingen wie "eine ernsthafte Verbindung eingehen" oder "einen Fehler machen".

Zur SZ-Startseite